Mit Hugo Portisch starb einer der angesehensten Österreicher
Das ist ein schwarzer Tag für den Journalismus, für die Geschichtsschreibung, ja für ganz Österreich. Hugo Portisch, der wohl bedeutendste Publizist des Landes, ist tot. Er starb gestern, Donnerstag, im Alter von 94 Jahren in Wien an den Folgen eines Schwächeanfalls. Österreich trauert um einen seiner angesehensten Bürger.
Mehr als ein Journalist
Hugo Portisch war viel mehr als ein Journalist. Er war Kommentator des Weltgeschehens, Geschichtslehrer der Nation, Fernsehlegende, das gute Gewissen des Landes. Wenn er in seiner lebendigen Art die Welt erklärte, hörte jeder gebannt zu, denn er hatte die einzigartige Gabe, die kompliziertesten Zusammenhänge auf einfache und verständliche Weise darzustellen. Hugo Portisch hat das Leben von Generationen begleitet und mitgeprägt.
Ab 1958 als Chefredakteur des KURIER, später als Chefkommentator des ORF, mit seinen historischen Serien „Österreich I“ und „Österreich II“. Und immer wieder als Mahner politischen und gesellschaftlichen Anstands, als unvergleichlich charismatischer Sympathieträger. Wie angesehen er war, zeigt, dass ÖVP und SPÖ den gemeinsamen Plan hatten, ihn als Bundespräsidentschaftskandidaten aufzustellen – doch er wollte Journalist bleiben.
Und das war er mit Leib und Seele. Hugo Portisch hatte es in den Genen. Sowohl sein Vater als auch sein älterer Bruder waren Journalisten. Die Familie stammt aus St. Pölten, doch der Vater ist Chefredakteur der Pressburger Nachrichten, als Hugo 1927 in Pressburg zur Welt kommt.
Er besucht dort das deutsche Gymnasium, studiert ab Mai 1945 Geschichte und Publizistik an der Universität Wien und heiratet im Alter von 19 Jahren die Kinderbuchautorin Traudi Reich. Portisch absolviert Praktika bei mehreren Zeitungen, studiert auch in den USA, besucht die New York Times und die Washington Post. 1953 begleitet er als Pressesprecher des Österreichischen Informationsdienstes Bundeskanzler Julius Raab bei seinem ersten USA-Besuch nach New York.
Wechsel zum KURIER
Dort erreicht Hugo Portisch ein Telegramm des damaligen KURIER-Chefredakteurs Hans Dichand, der ihn einlädt, zum KURIER zu wechseln – und zwar mit den Worten: ,Schon die Türken fanden es lohnend, von weit herzukommen, um Wien zu erobern.’“
Portisch telegrafiert zurück: „Bin Türke. Komme.“
Zunächst stellvertretender Chefredakteur, erfährt Portisch im April 1955 durch seine guten Kontakte, dass Österreichs Regierung bei Verhandlungen in Moskau den Durchbruch zum Staatsvertrag erzielt hat. Der KURIER druckt eine Extraausgabe mit dem Titel „Österreich wird frei“. Diese wird mangels verfügbarer Kolporteure von Portisch und seinen Kollegen selbst auf der Straße verkauft.
Als Dichand 1958 die Kronen Zeitung gründet, wird Portisch zum Chefredakteur des Neuen KURIER bestellt. „Mit dem KURIER bin ich erst zum richtigen Journalisten geworden“, wird Portisch später sagen. „Ich hatte dort jede Verantwortung, und der KURIER war auch ein fantastisches Instrument, um mitzureden und mitzugestalten. Auch für mich persönlich war der KURIER die größte Herausforderung, ich musste jeden Tag dran sein.“
Rundfunkvolksbegehren
Unter Portisch wird der KURIER zu Österreichs führender Tageszeitung, als deren Chefredakteur er 1964 das „Rundfunkvolksbegehren“ initiiert, das sich für die Unabhängigkeit des ORF einsetzt. Es war das erste und eines der erfolgreichsten Volksbegehren in der österreichischen Geschichte.
Als 1965 der Wiener Hochschulprofessor Borodajkewycz in seinen Vorlesungen durch neonazistische und antisemitische Aussagen auffällt, schreibt Hugo Portisch in seinen Leitartikeln heftig dagegen an. Borodajkewycz wird zwangspensioniert.
Große Reisen
Ab Mitte der 1960er-Jahre unternimmt Portisch neben seiner Tätigkeit als Chefredakteur große Reisen, schreibt Bestseller wie „So sah ich China“, „So sah ich Sibirien“, „So sah ich die Sowjetunion“, die als viel gelesene Serien im KURIER vorabgedruckt werden.
Nicht zuletzt durch seine TV-Auftritte in der „Runde der Chefredakteure“ steht fest, dass Portisch ein außergewöhnliches Bildschirmtalent ist. Also holt ihn Generalintendant Gerd Bacher 1967 als Chefkommentator zum ORF. Von nun an bewegen seine Kommentare ganz Österreich, Portisch berichtet vom Prager Frühling, von der Studentenrevolution in Paris und live über die Mondlandung im Jahr 1969. Darüber hinaus dreht er Fernsehsendungen wie „Friede durch Angst“, „Nixons Kampf ums Weiße Haus“, „Hört die Signale“, „Schauplätze der Zukunft“ und – gemeinsam mit Henry Kissinger – eine weltweit aufsehenerregende Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg. Von 1973 bis 1978 berichtet Hugo Portisch als Korrespondent für den KURIER und für den ORF aus London.
Österreich I und II
Völlig neue Wege beschreitet Portisch, als er ab 1981 gemeinsam mit Sepp Riff die Dokumentarfilm-Reihe „Österreich II“ gestaltet, in der die Geschichte Österreichs nach 1945 aufgearbeitet wird. 1989 entsteht die zwölftei-
lige Dokumentar-Serie „Österreich I“ über die Geschichte der Ersten Republik vom Zusammenbruch der Monarchie bis zum „Anschluss“ an Hitler-Deutschland. Hugo Portisch prägt als „Geschichtslehrer der Nation“ das Geschichtsbewusstsein des Landes, er selbst begründete sein Engagement mit den Worten: „Wir können unsere Gegenwart nicht beurteilen, wenn wir nicht wissen, was damals geschehen ist.“
Abseits der historischen Zusammenhänge und der Politik macht Portisch sein Hobby zum Beruf und schreibt 1982 als begeisterter Pilzesammler mit seiner Frau das Buch „Pilze suchen – ein Vergnügen. Die besten Speisepilze und ihre Doppelgänger“. Gemeinsam mit Traudi Portisch verfasst er auch das Buch „Die Olive und wir“, in dem das Ehepaar Erlebnisse und Eindrücke auf seinem Landgut in der Toskana einfließen lässt. Ein Bestseller wie alle seine Bücher sind seine 2015 erschienenen Lebenserinnerungen „Aufregend war es immer“.
Im Jahr 1991 ist Hugo Portisch Wunschkandidat von SPÖ und ÖVP als Nachfolger des scheidenden Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Nach dem angeschlagenen Image im Ausland soll ein über alle Parteigrenzen hinweg angesehener Mann in dieses Amt gewählt werden. Doch Portisch lehnt ab: „Der Bundespräsident hat nicht so viele Gestaltungsmöglichkeiten. Man hat mir schon früher angeboten, Abgeordneter oder Minister zu werden. Ich habe das immer für einen Anschlag auf meine Freiheit gesehen. Ich lasse mich ungern zu etwas zwingen, und als Politiker wird man immer zu etwas gezwungen.“ Seine Frau war seiner Meinung, „sie hätte sich als First Lady nicht wohlgefühlt“.
Der große Journalist hat sich immer als unabhängige Instanz gesehen, nur zwei Mal bekennt er Farbe, als er sich für die Wahl der Präsidentschaftskandidaten Heinz Fischer und Alexander Van der Bellen einsetzt. Er selbst bezeichnet sich als Kosmopolit, Humanist und überzeugten Europäer.
Schicksalsschläge
Hugo Portisch musste auch schwere Schicksalsschläge hinnehmen. 2012 stirbt sein einziger Sohn Edgar an den Folgen einer Tropenkrankheit, und im Jänner 2018 geht ihm seine geliebte Frau Traudi nach 72-jähriger Ehe in den Tod voraus.
In den letzten Jahren mit der Neubearbeitung seiner Serien „Österreich I“ und „Österreich II“ beschäftigt, zieht er sich als Kommentator aktueller Ereignisse zurück, „weil jetzt junge Leute ranmüssen. Ich hab das lange und mit großer Freude getan, aber irgendwann muss Schluss sein.“ Nur zu großen historischen Ereignissen wie zuletzt dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs lässt er sich ins Studio holen, wo er die Zusammenhänge schildert, wie nur er es kann.
Tod als Teil des Lebens
Trotz der schweren Verluste in seinem Privatleben hat Hugo Portisch seinen unerschütterlichen Humor nie verloren, er sah „den Tod als einen Teil des Lebens. Aber wenn man eine Hetz hat bis zum Schluss, dann ist das Leben erfüllt.“
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