Lisa Gadenstätter: Das war vor allem bei der Doku über Analphabetismus nicht so leicht, weil sich viele Menschen dafür genieren, dass sie nicht lesen und schreiben können. Es gibt viele Vorgespräche mit der Redaktion – es steckt ja ein Team dahinter – und vier Personen haben dann mit mir gesprochen. Sie wollten vermitteln, dass sie trotzdem wertvolle Menschen sind, obwohl sie nicht lesen und schreiben können und andere dazu animieren, vielleicht auch aus diesem Schatten herauszutreten. Ich weiß nicht, was es ist, dass sie mit mir reden. Aber es freut mich, dass es so ist und sie mir dieses Vertrauen schenken.
Gibt es eine „Dok 1“, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Meine Herzens-Doku war „Nie zu spät – Die Träume der Hundertjährigen“ (heute im Fernsehen, siehe Infobox). Da wollte ich zeigen, wie es jungen Frauen vor 100 Jahren mit ihren Berufswünschen gegangen ist. Und das andere war die Rassismus-Doku im Herbst. Es hat mich sehr bedrückt, zu sehen wie schnell es geht, dass man Menschen verurteilt und sich von anderen beeinflussen, lässt. Aber es ist jede „Dok 1“ irgendwie besonders. Das kann man gut oder schlecht finden, aber ich haue mich in jeden Film hinein, ich brenne für jedes Thema und für die Menschen, die mit mir sprechen. Deswegen sind diese Dokus auch immer sehr intensiv für mich.
Sie sprechen diesen persönlichen Zugang auch oft in den Sendungen an. Macht man sich dadurch angreifbarer?
Ja, wahrscheinlich macht man sich angreifbarer. Aber ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man den Menschen, der das präsentiert, auch spürt und dass dieser Mensch auch Ecken und Kanten hat. Ich möchte nicht eine bestimmte Meinung verbreiten, aber ich habe eben schon eine Haltung zu gewissen Themen. Das ist, glaube ich, für die Zuschauerinnen und Zuschauer auch spannend zu sehen, und sie können dann sagen: Ja, ich finde das aus diesem Grund auch interessant oder genau deshalb nicht interessant.
„Talk 1“ trägt jetzt den Untertitel „Die Menschen der Woche“. Es wird also nicht mehr zu einem bestimmten Thema getalkt.
Ja, wir haben das Format ein bisschen umgestellt, um es noch näher an die Zuschauerinnen und Zuschauer zu bringen. Ich finde es sehr schön, dass man bei den „Menschen der Woche“ mehr Zeit hat, in den Gesprächen in die Tiefe zu gehen und auch die Menschen besser darzustellen. Die Rückmeldungen sind sehr gut und wir möchten auch dabei bleiben.
Man hört oft, dass es schwierig ist, Frauen als Talk-Gäste fürs TV zu gewinnen. Hat sich daran etwas geändert?
Es ist ein bisschen besser geworden, aber die altbekannten Hürden sind nach wie vor da, wie etwa die Kinderbetreuung. Frauen sagen gerade am Abend: Das geht nicht, ich muss oder ich möchte bei den Kindern zu Hause bleiben. Frauen überlegen auch länger als Männer, ob sie zu einem Thema etwas sagen wollen oder nicht. Wir bemühen uns bei „Talk 1“ wirklich sehr, immer Hälfte-Hälfte bei den Studiogästen zu haben. Es gelingt uns nicht immer. Wir haben aber auch schon einmal nur Frauen im Studio gehabt.
Was kann man tun, damit sich mehr Frauen trauen, vor die Kamera zu treten? Haben Sie eine Strategie?
Wir reden ihnen gut zu, gerade, wenn sie unsicher sind. Wir wollen in „Talk 1“ ja niemanden vorführen. Wenn wir eine Expertin einladen oder eine Person, die gerade einen Film gedreht hat, dann wollen wir diesen Personen eine Möglichkeit geben, sich als Frauen zu präsentieren und zu zeigen, was sie Tolles machen. Ich merke schon im Vorgespräch, dass manchmal Sorgen da sind: Was werde ich jetzt gefragt? Und was, wenn ich nicht mehr weiter weiß? Sind die Fragen böse? Und diese Angst kann man dann schon nehmen. Die Fragen sind vielleicht kritisch, aber nie so, dass jemand an den Pranger gestellt wird.
Sie haben früher die „ZiB 20“ und „ZiB 24“ in ORF1 moderiert und damals gesagt, dass Sie es sehr schätzen, jeden Tag etwas anderes in Ihrem Job zu erleben. Vermissen Sie das Tagesaktuelle?
Es ist vielleicht nicht jeden Tag alles anders, aber alleine im Laufe einer Woche sind schon sehr viele unterschiedliche Themen dabei: Das kann von der Recherche über Lebensmittelverschwendung über Gespräche mit Menschen gehen, die schlecht lesen und schreiben können, bis zu einem Interview mit Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz oder einer Long-Covid-Patientin. Ich habe mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun und mache das sehr gerne. Das ist eigentlich mein Traumjob.
Sie wollten ursprünglich Kamerafrau werden, haben aber die Aufnahmeprüfung an der Uni nicht geschafft. Sind Sie rückblickend enttäuscht, dass es nicht geklappt hat?
Ich finde es total wichtig, dass man als junger Mensch Träume hat und versucht, diese auch zu verwirklichen. Bei mir war es so, dass ich mich zu wenig damit beschäftigt habe. Nach wie vor habe ich ein großes Herz für schöne Bilder und fürs Fotografieren. Aber der Beruf der Kamerafrau hat auch sehr viel mit Technik zu tun und ist sehr anstrengend. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das, was ich als junges Mädchen machen wollte, eigentlich genau das ist, was ich jetzt mache: Ich wollte Filme gestalten und Themen präsentieren. Also ich bereue eigentlich nicht, dass ich es nicht geschafft habe.
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