"Im Zentrum": Der Staat als "ganz großer Gewinner" der Teuerung
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Vergangene Woche wurde an dieser Stelle geschrieben, dass bei „Im Zentrum“ nach monatelanger coronabedingter Experteneinigkeit wieder einmal lebhaft diskutiert wurde. Ein Leser merkte an, dass ins Wort fallen allerdings kein Zeichen für Diskussionskultur sein kann.
Weil das grundsätzlich stimmt, ist hierbei vielleicht noch zu präzisieren, dass es auch eine Art Kunst des Hineinredens gibt. Geht man damit sparsam um, fügt hie und da einen Kommentar ein, kann das Gegenüber den Ball sofort auffangen und die Debatte nimmt mehr Tempo auf. So war das gemeint.
Die ORF-Diskussionssendung am vergangenen Sonntag hatte wieder nur indirekt mit Corona zu tun: „Heizen, Tanken, Wohnen - wie teuer wird es noch?“
Und es war eine angenehme, produktive Debatte mit unterschiedlichen Standpunkten, bei denen aber oft gegensätzlich argumentierende Denkfabriken plötzlich ähnliche Vorschläge machten.
Der Sideletter
Zu Beginn wurde allerdings Vizekanzler Werner Kogler auf die derzeitige Causa prima abgeklopft: Sideletter, also Nebenvereinbarungen zum Koalitionsvertrag.
Kogler zeigte wieder einmal sein Talent zum wortreichen Interpretieren von Widersprüchen. Zunächst sagte er, dort fänden sich „ganz wenige Projekte, die eben noch nicht so weit ausgereift waren, aber man trotzdem eine gewisse Festhaltung trift, weil man muss sich ja auch absichern. Und wir als Grüne waren zwar neu in den Regierungsverhandlungen, aber mit Sicherheit nicht naiv, und darum ist es da gegangen.“
Dass die grüne Basis von diesem Dokument nichts wusste, als der Koalitionsvertrag abgestimmt wurde, habe „keine reale Bedeutung“. Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen sei „de facto ein Nullum" gewesen, „weil nämlich gesetzwidrig“, es stehe im Sideletter nur als "Psychologie für die ÖVP“.
Moderatorin Claudia Reiterer: „Gut, wenn man es nicht braucht, braucht man es ja auch nicht reinschreiben.“
Kogler: „Ja, aber irgendwer hat es aus psychologischen Gründen gebraucht.“
Jetzt fragte man sich schon: Brauchte man den Sideletter nun zur Absicherung oder nur aus psychologischen Gründen?
Es galt aber noch das eigentliche Thema zu besprechen: Wie viel von unserem Geld die Inflation noch auffressen wird und wen das vor allem betrifft.
"Quiet period"
Dazu war auch Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann geladen, er befinde sich allerdings in der „quiet period“, das heißt, in der Woche vor der Sitzung des EZB-Rates dürfen Notenbankchefs zu tagesaktuellen geldpolitischen Angelegenheiten nichts sagen.
Nun ist es für eine TV-Debatte nicht gerade förderlich, wenn jemand gerade eine „stillen Zeitabschnitt“ hat. In einem absurden Sketch könnte man sich nun einen Holzmann vorstellen, der den ganzen Abend lang kein einziges Wort sagt.
Das war nicht so. Holzmann plauderte aus dem geldpolitischen Nähkästchen und das hörte sich dann so an:
„Wenn nichts passiert, dann werden wir erwarten, dass wir Ende des Jahres wieder gegen zwei Prozent (Inflation, Anm.) gehen. Falls aber die jetzigen Schocks dazu führen, dass es zu überhöhten Lohnforderungen kommt oder dass einzelne Unternehmen ihre Preisforderungen durchsetzen, die nicht gerechtfertigt sind, dann können Zweitrundeneffekte auftreten und diese Zweitrundeneffekte können dazu führen, dass die Inflation sehr langsam zurückgeht oder sogar explodiert, wie es in den 80er Jahren passiert ist und dann wird es sehr teuer, aber auch sehr schmerzhaft.“
Sorgen
Reiterer zog nun jemand heran, der mit seiner Agenda Austria selten eine „quiet period“ einlegt. „Herr Schellhorn, müssen sich die Menschen Sorgen machen?“
Think-Tank-Leiter Franz Schellhorn machte es kurz und schmerzhaft: „Ich würde sagen, ja.“
Zurzeit würden mehrere „ungünstige Ereignisse“ zusammentreffen. „Wir haben nach wie vor Produktionsausfälle aufgrund der Pandemie. Wir haben einen weltweiten Chipmangel. Wir haben eine geopolitische Krise um die Ecke in der Ukraine warten.“
Im Energiebereich werde noch einiges auf uns zukommen, er sehe „noch keine großen Anzeichen der Entspannung“,sagte Schellhorn, zudem seine „die Mieten an die Inflation gekoppelt, die Gebühren des Staates sind an die Inflation gekoppelt. Also da wird es, glaube ich, noch ein bisschen was geben.“
Überhaupt sei der Staat „ein ganz ,ganz großer Gewinner dieser Situation derzeit“, die Klassen würden klingeln, meinte Schellhorn.
Anna Parr, Generalsekretärin von der Caritas Österreich, legte noch ein Scheit drauf auf die Energieproblematik. Die Inflation betreffe armutsbetroffene Menschen ungleich mehr, „weil diese Menschen wirklich ihr gesamtes Einkommen ausgeben für Wohnen, Heizen und für Lebensmittel. Wenn also dort so eine starke Teuerung kommt, gleichzeitig aber auf der Einnahmensseite, der Einkommensseite, nicht dieselbe Valorisierung, also Steigerung kommt, bringt das armutsbetroffene Menschen wirklich in existenziell sehr schwierige Situationen.“
Gut gemeint, aber ...
Barbara Blaha leitet die zweite Denkfabrik, die in der Öffentlichkeit regelmäßig befragt wird, das Momentum Institut. Blaha schlug genau in dieselbe Kerbe wie Parr. „Und das Maßnahmenpaket, das die Regierung jetzt vorgelegt hat, ist sicherlich gut gemeint, aber wenn wir genau hinschauen im Detail, eigentlich nicht gut gemacht. Statt dass wir jene Sozialleistungen die wir ja erfunden haben, um genau die Menschen, von denen Frau Parr gerade gesprochen hat, über die Armutsgrenze zu heben, hantieren wir da jetzt wieder mit umständlichen Einmalzahlungen herum, die auf der einen Seite Leute bekommen, die es wirklich nicht brauchen.“
Damit war natürlich Vizekanzler Kogler angesprochen. Er sagte: „Das ist, glaube ich, schon mehr als gut gemeint. Es ist insofern auch gut gemacht, weil die Überweisungen ganz schnell geschehen können und da kommt, glaube ich, schon was zusammen.“ Er nannte „zwei Mal 150 Euro Teuerungsausgleich für diejenigen, die wirklich wenig haben, also Ausgleichszulagenbezieher, Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher“, das sei „einmal durchaus gut auf ganz schnell.“
Zu den von Blaha angesprochenen 150 Euro pro Haushalt sagte er: „Ja, die soll aber im übrigen auch nicht jeder kriegen, tatsächlich sozusagen der klassische General … niemand bös sein, ja, der Generaldirektoren-Haushalt soll das nicht kriegen.“
Das sagte er mit Blick auf Holzmann. Der blieb dazu angemessen „quiet“.
Einen Punkt machen
Kogler blieb aber gar nicht still und kam dann noch auf eine Pensionsanhebung zu sprechen, „manche kritisieren uns ja dafür, vielleicht auch der Herr Schellhorn, dass die untersten, die niedrigsten Pensionen auf über 1.000 Euro gehoben wurden erstmals.“ Dann erwähnt er noch den Sozialversicherungsbonus und überhaupt, den Familienbonus …
„Jetzt muss ich wahrscheinlich einen Punkt machen bei Ihrem …“, sagte Reiterer.
„Kann man eh“, meinte Kogler, „aber es passiert ja auch zwischenzeitlich sehr viel. Also wenn man dieses alles aufsummiert …“
So, jetzt machen wir hier auch einen Punkt.
Schlechte Idee
Schellhorn, angesprochen auf Mehrwertsteuersenkungen in anderen Ländern, meinte: „Es ist auf jeden Fall eine schlechte Idee, jetzt großflächig Steuern zu senken und das ist aus meinem Mund eher selten, weil ich bin normalerweise in jeder Lebenslage für Steuersenkungen …“
Man hat tatsächlich das Gefühl, man könnte Schellhorn mitten in der Nacht aufwecken und ein Mikro vors Gesicht halten und das erste Wort wäre wohl „Steuersenkung“.
„Aber in der jetzigen Phase, wo wir eine Situation haben, wo ein eingeschränktes Angebot auf eine sehr, sehr hohe Nachfrage trifft - für eine Krisenzeit eher ungewöhnlich“, sagte Schellhorn, „hier noch einmal Geld nachzuschießen, großflächig, das ist so, wie wenn Sie Fieber mit einem heißen Bad kurieren wollen.“
Er gab Frau Parr und sogar Frau Blaha recht, man müsse punktuell vorgehen, „statt mit der Förder-Gießkanne wieder durchs Land laufend. Die Milliarden fliegen uns ja nur mehr so um die Ohren. Aber es wäre doch viel gescheiter gewesen, den Heizkostenzuschuss zu erhöhen und die Ausgleichszulage für die Mindestpensionisten zu erhöhen.“ Das sei „zu viel vom Falschen“.
Holzmann stimmte zu, „man muss den Armen helfen, aber nicht jedem, sondern sehr spezifisch“.
Blaha geißelte noch einmal die „Doktrin der Einmalzahlungen“ der Bundesregierung. „Aus meiner Perspektive das Wichtigste, was man machen könnte: Sozialleistungen armutsfest machen. Daran scheitern wir schon viel zu lange.“
Reiterer erinnerte Kogler: „Der Sozialminister heißt Mückstein, das heißt, von Ihrer Partei.“ Ob eine Reform beziehungsweise Valorisierung der Sozialhilfe kommen werde?
Nach einem kurzen Koglerschen Exkurs mit den Stichworten „Treffsicherheit“, „Co2-Bepreisung“ und „Nettoeffekt“ fragte Reiterer noch einmal: „Aber ist eine Valorisierung der Sozialhilfe vorstellbar?“
Kogler: „Schauen Sie, wenn ich das jetzt … Ja, natürlich wird darüber gesprochen. Die Frage ist ja eine andere. Wenn ich das jetzt ankündige, als Fixum, dann werden wir vielleicht in drei Wochen wieder da sitzen und Sie werden sagen: ‚Na, das ist aber noch nicht.‘ …“
Diesem Risiko ist man als Spitzenpolitiker tatsächlich ausgesetzt.
„Ich kann das nicht garantieren, aber ich kann Ihnen garantieren: Es gibt Leute, die sich dafür einsetzen“, sagte Kogler.
Das steht bestimmt in keinem Sideletter.
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