"Ich gebe Sigi Maurer vollkommen recht" - Talk über Frauenmorde

Sigrid Maurer (Grüne) und Udo Landbauer (FPÖ) über verschiedene Männerbilder
TV-Tagebuch: Bei "Pro & Contra" auf Puls 4 wurden auch die jüngsten Aussagen von Innenminister Herbert Kickl diskutiert.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

„Pro & Contra“ auf Puls 4 – das kann vier Tage vor „Im Zentrum“ im ORF sein, aber auch drei Tage danach. Wie im aktuellen Fall, als über die Welle an Frauenmorden in Österreich diskutiert wurde. Das Thema wurde auf dem Küniglberg bereits am Sonntag besprochen. Ebenfalls mit Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP). Um sie herum hat der Privatsender aber Gäste mit mehr Brisanz und Wortgewalt gruppiert. Die aus ihrem Sabbatical zurückgekehrte Corinna Milborn begrüßte Österreichs populärsten Gerichtspsychiater Reinhard Haller, den zumindest in der eigenen Partei rehabilitierten FPÖ-Politiker Udo Landbauer, Ex-Grünen-Abgeordnete und „Hass im Netz“-Opfer Sigrid Maurer und die Staranwältin Astrid Wagner.

Dass sich die Themenlandschaft sehr schnell verändern kann, sah man daran, dass zu Beginn der jüngste Ausritt des Innenministers besprochen werden musste. Herbert Kickl (FPÖ) hatte im ORF-„Report“ am Dienstag ja sehr laut über eine Aufweichung der Menschenrechtskonvention nachgedacht.

Edtstadler: Gesetzlich alle Möglichkeiten ausschöpfen

Staatssekretärin Edtstadler hielt fest: „Das Recht geht vom Volk aus“ und das Parlament sei für Gesetze zuständig. Sie sagte aber auch, dass Gesetze „immer wieder angepasst“ werden müssen, zum Beispiel in Themenbereichen wie der Digitalisierung. Das Wort Verfassungsgesetz nahm sie dabei nicht im Mund. Und rasch war sie auch bei der Tempoerhöhung (da denk ich an 14), eher: rascheren Abschiebungen von straffälligen Asylwerbern, mit dem bekannten Wording: „Jeder, der Schutz braucht und einen Asylgrund vorzuweisen hat, wird Schutz finden. Aber wer unsere Wertehaltung nicht akzeptiert und Gesetze mit Füßen trampelt, hat diesen Schutz nicht verdient.“ Die Europäische Menschenrechtskonvention befinde sich freilich im Verfassungsrang, betonte Edtstadler, und der Innenminister werde eben alle Möglichkeiten ausschöpfen, im Rahmen dessen, was verfassungskonform ist.

 

Landbauer, der sich vor einem Jahr aus dem Landtagswahlkampf in NÖ zurückziehen musste, weil in seiner Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt antisemitische Lieder lagerten, durfte nun auch seine Meinung über die Bundesverfassung zum Besten geben. "Die Europäische Menschenrechtskonvention ist auch Bestandteil des geltenden Rechts", gab er zu bedenken. Gewählte Abgeordnete hätten geradezu die Pflicht, "Gesetze anzupassen, wenn geltendes Recht den Anforderungen der Zeit nicht entspricht". Übersetzt heißt das: Landbauer hätte wohl auch kein Problem mit einer Anpassung völkerrechtlicher Vereinbarungen.

Menschenrechte für Landbauer "kein Fundament der Republik"

Sigrid Maurer zeigte sich von Beginn an angriffig. Als Gegenmaßnahmen bei Gewalt gegen Frauen (sonst: Themensprung, vorher haben wir noch über die Verfassung geredet) zählte sie Gewaltschutz, Präventionsarbeit mit potenziellen Tätern und konsequente Polizeiarbeit auf. Gerade im Bereich Gewalt gegen Frauen habe die Bundesregierung Mittel aber gekürzt, erklärte sie, dabei gelte es Vereine zu fördern, die mit Jugendlichen, die einen starken Ehrbegriff haben, arbeiten. Der FPÖ warf sie den Sager „Frauenhäuser zerstören Ehen“ vor. Jetzt wolle die Partei das Thema instrumentalisieren. Auf die Menschenrechtskonvention wollte Sigrid Maurer nicht genauer eingehen. Nur soviel: Diese auszuhebeln sein „ein Wahnsinn“, das sei das Fundament der Zweiten Republik. 

Landbauer  „Das Fundament der Zweiten Republik, Frau Maurer, ist schon was anderes und nicht die Menschenrechtskonvention, ich glaub, da sind wir uns einig.“

Anmerkung, weil es in der Sendung keiner getan hat: Sie ist Teil der Verfassung und daher mindestens als Teil des Fundaments zu bezeichnen.

Dann sagte Maurer noch: Alle abzuschieben, sei reiner Populismus, man treffe damit auch jene, die hier hergekommen seien, gerade weil es ein freies Land sei mit Frauenrechten.

Edtstadler und der "Schutzfaktor plus"

„Ich gebe Sigi Maurer vollkommen recht“, sagte Edtstadler, „jeder einzelne Mord ist einer zu viel, und wir müssen danach trachten, etwas zu tun.“ Einmal mehr verwies sie auf die Task Force, die vor einem Jahr ins Leben gerufen worden sei. Die Maßnahmen der Regierung stünden auf drei Beinen: Strengere Strafen; niederschwelliger Opferschutz; Frauen müssen rasch und leicht Hilfe bekommen. Die Wegweisung werde erleichtert, es soll aktive Täterarbeit vom ersten Moment an geben, bereits ab der Aussprache eines Betretungsverbots. Mit der Bannmeile von 50 Metern wolle man einen „Schutzfaktor plus“ bieten.

Aber zunächst gelte es, einmal die Gewaltspirale zu unterbrechen, wenn das erreicht sei, „kann man auch die Werte vermitteln, die bei uns gelten“, sagte Edtstadler. „Ich sage gar nicht, dass das nur Ausländer betrifft, wir haben auch viele Österreicher, die Mörder sind.“ - „Mehr als die Hälfte“, warf Milborn ein. Edtstadler wies aber auf eine Häufung hin. Bei fünf von sechs Morden der letzten Wochen habe es einen Migrationshintergrund gegeben, dieser Tatsache müsse man ins Auge sehen, sagte die Staatssekretärin im Innenministerium.

Landbauer: „Wir schützen unsere eigenen Leute nicht mehr“

Landbauer hat hingegen keine große Lust auf Differenzierung. Man dürfe nicht wegschauen, „wenn wir Kriminalität importieren“. Es könne nicht sein, dass man sich um die Menschenrechte von „Personen, die zu uns kommen“ mehr bemühe als um die Menschenrechte der eigenen Leute, das „Recht auf Leben“. Er sehe ein Zeichen „für eine völlig dekadente Gesellschaft“, weil: „Wir schützen unsere eigenen Leute nicht mehr.“

Maurer: „Was soll das heißen?“ Es gebe einen Rechtsstaat, der dafür zuständig sei. Der FPÖ gehe es in Wahrheit darum, die Menschenrechte aufzuweichen, damit mehr Länder als sicher gelten, damit mehr Leute abgeschoben werden können. Landbauer stimmte zu.

Nicht zustimmen konnte Landbauer hingegen bei Gender-Workshops für alle Schüler. Man solle nicht jeden in eine Schublade stecken, nicht alle hätten so etwas notwendig.

In Richtung der Regierung monierte Maurer, die Vorschläge seien im Detail noch gar nicht präsentiert worden, sie frage sich auch, wie die Maßnahmen finanziert werden sollen.

Ein kleines Machtwort sprach hier Gerichtspsychiater Haller: Das Thema eigne sich „nicht für politisches Hickhack“. „Ich kenne keine Lösung“, obwohl er schon mit mehr als 400 Menschen mit Tötungsdelikten zu tun gehabt habe. Man könne noch so viel tun, aber wenn jemand „vollgejunkt am Bahnhof“ warte, wie jüngst der Spanier am Hauptbahnhof, sei man machtlos. Es gebe viele Vorschläge, man könne nur sagen: „Probieren wir es doch einfach einmal aus.“

„Die Delikte werden immer motivärmer“ sagte Haller, das ziehe sich durch, schon aus kleineren Gründen werde getötet und nicht nur in den eigenen vier Wänden. Im Gegensatz zu klassischen Beziehungstätern werde bei den letzten Fällen „nicht die ganze Familie ausgelöscht, nicht suizidiert“. Es gehe um Machtausübung, Machtdemonstration in der Öffentlichkeit, „die Täter lassen sich festnehmen“.

Mangelnde Wertschätzungskultur

Natürlich gebe es Nachahmungseffekte, sagte Haller. Er beobachte auch einen Aggressionsstau. Es würden Möglichkeiten fehlen, die Aggression zu kanalisieren. „Wer muss heute noch Bäume fällen oder Holz hacken?“ Auch eine mangelhafte Wertschätzungskultur konstatierte der Experte, Narzissmus nehme überhand, es herrsche eine „Digitalisierung der Emotionalität“.

Im Grunde gehe es um Machtkämpfe in Beziehungen. Männer können mit Liebesentzug und Kränkungen weniger klarkommen. Frauen würden hier die Dinge eher hinunterschlucken, während Männer kurzfristige Lösungen wollen. Man habe zwar nicht Mord importiert, aber doch ein gewisses Problem. „Der achtsame Umgang mit Frauen ist die größte Leistung die von Zuwanderern gefordert wird, und damit kommen sie schwer zurecht.“

Auffallend sei, dass während der klassische Beziehungstäter beispielsweise zum Messer in der Küche greife, zuletzt ein neues Muster aufgetaucht sei: das mitgeführte Messer.

Wagner: „In Österreich keine Kuscheljustiz“

Anwältin Astrid Wagner, die unter anderem den der Bluttat am Hauptbahnhof verdächtigen Spanier vertritt, glaubte nicht,“dass die Psyche der österreichischen Männer anders funktioniert“. Dass die Täter ein Beziehungsende nicht akzeptieren können, das ziehe sich durch, auch durch alle Schichten. Sie wolle von Tötungsdelikten sprechen, der Begriff „Mord“ werde derzeit populär verwendet, aber es gehe um noch nicht Verurteilte. Es sind meistens „nicht die Schläger“, sondern jene, „die Vieles in sich hineinfressen.“

Sie sehe grundsätzlich keinen Zusammenhang mit Migration, aber einen Punkt gebe es schon: Die Täter würden zum Teil Kriegstraumata aufweisen, die sich auf die Psyche auswirken können.

Strengere Strafen bezeichnet Wagner als „billigste aller Lösungen“, sie würden nicht gegen Affekthandlungen greifen. In Österreich gebe es jetzt schon „keine Kuscheljustiz“.

 

Maurer, dunkle Duschgels und harte Männer

Maurer beschäftigte sich mit dem grundsätzlichen, klassischen Männerbild. Landbauer bezeichnete sie als „Vertreter einer toxischen Männlichkeit“, schließlich sei er Mitglied in einer schlagenden Burschenschaft, wo man einander absichtlich verletze, keine Schwäche zeigen, nicht zurückweichen dürfe. Plötzlich sprach sie von „Männer-Duschgels, die immer schwarz eingefärbt sind“, „in der Rasierer-Werbung seilen sich harte Männer aus Flugzeugen  und Hubschraubern ab.“

Landbauer musste lachen, den Kopf schütteln, und sagte: „Das ist jetzt pathologisch, oder?“ Und: „Ich glaube, die Frau Maurer hat ein veritables Männerproblem.“ Jeden Mann als „harten Rambo darzustellen, der nicht zurückweichen darf“, sei vereinfachend. Milborn: „Ich glaube, das ist persönlich an Sie gegangen, Herr Landbauer.“ Das Studiopublikum fand die Vorstellung von Landbauer als Rambo offenbar lustig.

„Für mich ist Mann und Frau auch nicht dasselbe“, sagte Landbauer, die Grünen hingegen, „die Gott sei Dank politisch nicht vertreten sind“, würden überall Unisex-Toiletten planen. Diese Gleichmacherei sei eine gefährliche Politik, "Frauen und Männer müssen nicht in Konkurrenz treten.“ – Kopfschütteln bei Maurer.

Haller sprach wohl vielen aus der Seele, als er sagte, er wolle die Diskussion wieder versachlichen.

Edtstadler erklärte: „Selbst wenn es bei uns patriarchalische Strukturen gibt, sind sie nicht zu vergleichen mit denen in Syrien oder Afghanistan.“

Maurer entgegnete: „In Ländern, wo Frauen keine Rechte haben, ist es noch viel schlimmer, aber die Strukturen sind ähnlich.“ Sie blieb dabei: „Der Mechanismus ist derselbe: Männer dürfen keine Schwächen zeigen.“

„Das Aggressionspotenzial ist nicht vergleichbar mit solchen Personen“, sagte Landbauer, man könne nicht „jeden mitteleuropäischen Mann als Mörder“ darstellen, es gebe ein „kulturelles Problem, das müssen sie ganz einfach zugeben.“

0800 222 555

Wohltuend war die Beiziehung von Frauenhäuser-Chefin Maria Rösslhumer, die im Publikum saß und auf unbelegbare Annahmen verzichtete. Ruhig berichtete sie, dass pro Jahr 9000 Männer weggewiesen werden.  Jene, die Tötungsdelikte verüben, seien „meistens schon auffällig geworden, aber bekommen noch die Gelegenheit, die Frau zu töten.“ Am Wichtigsten sei die Gefährlichkeitseinschätzung. „Das Gute ist“, sagte Rösslhumer, „dass sich viele an die Frauenhelpline (0800 222 555, Anm.) gegen Gewalt wenden.“ Sie sprach von jährlich 6000 Frauen.

Kritik, aber auch ein bisschen Hoffnung lag in Wagners abschließender Aussage: „Jeder einzelne Fall hätte verhindert werden können mit entsprechender Täterarbeit.“

LINK: Die Sendung zum Nachschauen auf Puls 4

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