Experten-Kritik an geplanten ORF-Novellen hält an
Medienwissenschaftler Matthias Karmasin kritisiert den Entwurf fürs neue ORF-Gesetz. „Ziel verantwortungsvoller Medienpolitik sollte eine Gesamtkonzeption einer möglichst soliden Infrastruktur der Demokratie sein, und nicht, historisch gewachsene Gesetze – stellenweise aus der vordigitalen Zeit – da und dort zu adaptieren“, sagt Karmasin zum KURIER. Der Medienökonom von der Universität Klagenfurt formuliert als Ziel, „qualitätsvollen unabhängigen Content möglichst pluralistisch mit hoher Wertschöpfung in Österreich zu finanzieren. Und das in einer Branche, in der Marktversagen die Regel und nicht die Ausnahme ist. Das braucht wohl gerade in kleinen Märkten einen dualen Markt – aber eben unter den Prämissen einer mediatisierten digitalen Gesellschaft“.
Zu wenig Forschungsförderung
Dass die blaue Seite des ORF (orf.at) zu einem „crowding-out“ führt, also zur Verdrängung privater Angebote durch mehrheitlich staatlich finanzierte Angebote, könne die Medienökonomie mangels solider Datengrundlage nicht verlässlich beantworten: „Analogien aus anderen Märkten greifen im Mediensektor oft nicht“, sagt Karmasin. Er kritisiert, dass es zu wenig Förderung unabhängiger Medienforschung gibt, um solche Studien zu ermöglichen. In der neuen Qualitäts-Journalismus-Förderung sind 50.000 Euro für Medienforschung vorgesehen. "Das kompensiert den Ausfall der ÖNB-Förderungen aus dem Jubiläumsfonds in diesem Bereich fast gar nicht", meint der Experte.
Karmasin stellt auch in Frage, "ob eine stärkere Reglementierung von ORF.at die Zahlbereitschaft für digitale Abos bei anderen Anbietern steigert". Er verweist darauf, dass die New York Times gerade angekündigt habe, ihre Paywall wieder zu reduzieren. "allerdings in einem ganz anderen Marktverhältnis. Es gibt international die Vermutung, dass nationale Werbemärkte von traditionellen Medien ohnehin weiterhin die Tendenz haben zu den Big Five abzufließen, also zu personalisierter Werbung in anderen Kontexten."
Als "Big Five" bezeichnet man die Tech-Riesen Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook) und Microsoft.
Die Standpunkte von Interessensvertretungen wie VÖZ (Verband Österreichischer Zeitungen) und VÖP (Verband Österreichischer Privatsender) könne er allerdings "gut verstehen". Auch der ORF-Stiftungsrat müsse das finanzielle Wohl des ORF im Auge haben und die Medienpolitik müssse aktuell ein Urteil des VfGH umsetzen. "Aber", so Karmasin, "das Prinzip der Medienkonvergenz bedingt, dass man Mediengattungen zumindest theoretisch nicht isoliert voneinander betrachten sollte".
Begutachtung ernst nehmen
Für den weiteren Gesetzwerdungsprozess hofft Karmasin, „dass im Unterschied zum Wiener Zeitungsgesetz Anregungen aus der Begutachtung ernst genommen werden und der Ministerratsvortrag nicht nur legistisch feingeschliffen wird“.
Mehrere im VÖZ organisierte Printmedien protestierten zuletzt gegen die geplante ORF-Reform. Durch ein Mehr an digitalen Möglichkeiten für den ORF ohne ausreichende Einschränkung der Seite orf.at seien Tageszeitungen „existenziell bedroht“.
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