Aufregung um Israel-Teilnahme beim ESC in Wien: "Boykott ist verachtenswert"
Zusammenfassung
- Israel darf am ESC 2026 teilnehmen, mehrere Länder wie Spanien, Niederlande, Slowenien und Irland boykottieren daher den Wettbewerb.
- Internationale Medien kritisieren den Boykott teils scharf und sehen darin eine Politisierung und Schwächung des ESC.
- Die Debatte zeigt, dass der ESC als unpolitischer Wettbewerb in Frage steht und seine Zukunft durch politische Konflikte gefährdet ist.
Israel darf beim 70. Eurovision Song Contest in Wien teilnehmen. Das hat die Generalversammlung der European Broadcasting Union (EBU) in Genf am Donnerstagabend beschlossen. Eine gefeierte, wie umstrittene Entscheidung.
Damit muss der Jubiläumsbewerb im Mai 2026 ohne langjährige ESC-Kernländer wie Spanien, Irland und die Niederlande auskommen. Sie sagten ihre Teilnahme ab, nachdem die EBU das Maßnahmenpaket angenommen hatte, das in letzter Konsequenz Israel die Teilnahme ermöglicht.
Internationale Medien kritisieren den Boykott teils scharf und sehen darin eine Politisierung und Schwächung des ESC. Eine Auswahl:
The Telegraph: "ESC-Boykott ist verachtenswert"
Die britische Zeitung The Telegraph kritisiert am Freitag den Boykott des Eurovision Song Contest durch Rundfunkanstalten mehrerer Länder: "Dieser Boykott ist motiviert durch Kritik an Israels Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen, der von Linken und Pro-Palästinensern weltweit als "Völkermord" bezeichnet wird. Doch niemand, der bei Verstand ist, glaubt, dass Israel die Absicht hat, das palästinensische Volk auszulöschen. Die Hamas hingegen hat eine schriftliche Verfassung, die explizit völkermörderisch gegen Israel ausgerichtet ist und Angriffe auf Juden überall, wo sie anzutreffen sind, befürwortet. (...) Die Behauptung, Israels gerechtfertigter Krieg zur Selbstverteidigung gegen den Terrorismus sei in irgendeiner Weise mit Wladimir Putins bösartigem Krieg in der Ukraine gleichzusetzen, ist lächerlich. Die Haltung der boykottierenden Nationen ist verachtenswert und beleidigend. Großbritannien muss zur Eurovision und der völlig richtigen Entscheidung, Israel einzubeziehen, stehen. Wenn Spanien, die Niederlande und Irland den Wettbewerb boykottieren wollen, ist man ohne sie besser dran."
De Telegraaf: "ESC-Boykott politisiert das Musikfestival"
Die Amsterdamer Zeitung De Telegraaf goutierte die Entscheidung der eigenen niederländischen Rundfunkgesellschaft Avrotros, den Eurovison Song Contest (ESC) zu boykottieren, am Freitag ausdrücklich nicht. Sie schreibt: "Die Niederlande gehören zu den Gründern des Eurovision Song Contest. 1956 waren wir eines von sieben Teilnehmerländern. Siebzig Jahre später ist unser Land bei der Jubiläumsausgabe des Musikfestivals nicht beteiligt. Der Grund: Die Avrotros hat das Songfestival politisiert. Eine Entscheidung, die in Europa für Stirnrunzeln sorgt. Anlass für den absurden Beschluss der Avrotros ist die Teilnahme des demokratischen Landes Israels am ESC. Offenbar hat der Sender übersehen, dass in Gaza inzwischen ein Waffenstillstand in Kraft ist. Dieser Waffenstillstand sollte doch gerade zu einer Normalisierung von Beziehungen und zu einer Annäherung führen. Und zu einem Rückgang des Antisemitismus. Die jetzt getroffene Entscheidung bewirkt genau das Gegenteil."
Die Welt: "Der Boykott des ESC ist mehr als dumm"
Die deutsche Zeitung Die Welt schreibt: "Dass Spanien, Irland, Slowenien und die Niederlande nun in Wien nicht dabei sein wollen, ist traurig und dumm. Dass andere Rundfunkanstalten – in Island, Belgien, Schweden – noch überlegen, ist kaum besser. Denn der angeführte Vergleich des Gaza-Kriegs nach dem 7. Oktober mit dem russischen Angriff auf die Ukraine verbietet sich; die Hamas, gegen die Israel kämpft, steht gewiss nicht für die Ideale der bunten, vielfach auch queeren ESC-Community. Mittels Boykott arbeitet man nun der Intoleranz und Repression nur zu – die neu verabschiedeten Regeln und Werte, um politische Einflussnahme bei der Abstimmung zu verhindern, sind da bloß ein regulatives Feigenblatt."
Süddeutsche Zeitung fragt: "Wohin soll diese Boykott-Logik führen?"
In der Süddeutschen Zeitung wird sich gewohnt reflektiert und weniger polemisch der Causa Prima genähert. Sie schreibt zur Entscheidung und dem daraus folgendem Fernbleiben: "Und so schnell zerplatzt die EBU-Wunschvorstellung von einem unpolitischen Wettbewerb. Nachdem jahrelange mehr oder weniger auffällig die Teilnahme am Wettbewerb in irgendeiner Art politisch genutzt wurde, wird es jetzt die Nichtteilnahme. Es war schon immer politisch beim ESC, nur die Prioritäten dieser Politik scheinen sich in einigen Ländern geändert zu haben: Ein Zeichen zu setzen, einer bestimmten Linie treu zu bleiben, das scheint in einigen Nationen wichtiger geworden zu sein als der Blick auf das Verbindende. Und auch da ist es keine Überraschung, dass diese Grenze ausgerechnet bei Israel gezogen wird. Nun muss man sich die Frage stellen: Was wäre in einem alternativen Universum geschehen, in dem Israel vom ESC ausgeschlossen worden wäre? Auch dann wäre, das ist nun einmal der Charakter einer solchen Abstimmung, die Mehrheit mit dem Ausgang des Votums einverstanden gewesen. Aber auch dann hätte mit Deutschland ein großer Geldgeber beim ESC seine Teilnahme mindestens überdacht und mutmaßlich abgesagt. Und auch in diesem Fall hätten sich Politiker geäußert, Menschen einen Boykott gefordert. Der Eurovision Song Contest wird an solchen Konflikten nicht zerbrechen. Aber er muss sich die Frage gefallen lassen, ob er seine politische Strahlkraft anerkennen und damit verantwortungsbewusst umgehen kann, oder ob er sich weiter hinter Plattitüden versteckt. Wohin soll diese Boykott-Logik führen?"
Die Zeit: "Der ESC ist zerstört"
Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit ortet das Ende des ESC: "Im Grunde ist der ESC seit fast 70 Jahren die einzige paneuropäische Kulturinstitution. Und diese Institution ist nun zerstört durch die Logik des Boykotts, wie sie sich insbesondere gegen Israel und israelische Künstlerinnen und Künstler seit einigen Jahren in kulturellen Institutionen und Szenen ausgebreitet hat – unter der Fahne der Moral und des politischen Aktivismus und wie sie noch niemals zu etwas anderem geführt hat als zu eben Zerstörung. Der Eurovision Song Contest ist am Ende, die Verfechter der Boykottidee haben gewonnen, aber was damit politisch gewonnen sein soll, bleibt ihr Geheimnis."
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