Null Punkte: Der Song Contest hat jede politische Unschuld verloren
Am Ende siegte die Vernunft, wenn auch viel knapper als gedacht: Die Chefs der europäischen TV-Anstalten haben Israel den Weg zur Teilnahme am Song Contest geebnet. Das ist das Ergebnis der brisanten Sitzung, zu der die Europäische Rundfunkunion EBU am gestrigen Donnerstag in Genf gerufen hatte. Vorausgegangen war dem ein monatelanger Streit darüber, ob man das Land – konkreter: seine TV-Anstalt KAN – aufgrund des Nahost-Konflikts und der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Palästinensern im Gazastreifen von dem Großevent ausschließen solle.
Zumindest formal sind die Debatten, die von bedeutenden Song-Contest-Nationen wie Spanien und Irland befeuert wurden, nun beendet. Das politische Österreich und der ORF, die sich vehement für die Teilnahme Israels ausgesprochen haben, können aufatmen. Ein Song Contest in Wien ohne Israel – das hätte auch mit Blick auf die eigene Historie zum PR-Fiasko werden können.
Also wieder alles im Lot? Nein. Der Schaden ist angerichtet. Schon in den vergangenen Jahren fiel es den Song-Contest-Machern zunehmend schwer, die Mär vom "völlig unpolitischen" Gesangswettbewerb aufrechtzuerhalten. Spätestens mit dem Sieg der Ukraine 2022, den man nur als Solidaritätsbekundung Europas im Krieg gegen die russischen Invasoren verstehen konnte, bröckelt die Fassade vollends. Und dass beim diesjährigen ESC in Basel die Auftritte der israelischen Künstlerin immer wieder von Buh-Rufen begleitet waren, bleibt ebenso in Erinnerung wie die Aufregung, die Österreichs JJ hervorrief, als er im Siegestaumel unbedacht darüber schwadronierte, dass er sich den ESC in Wien ohne Israel wünsche.
Wie emotional und hochpolitisch die Israel-Debatten zuletzt geführt wurden, verdeutlicht nun einmal mehr, wie gespalten Europa ist. Auch, dass die Niederlande, Irland und Spanien (eine der "Big Five"-Nationen des ESC, die stets fix qualifiziert sind und Finanzierung und Reichweite garantieren) noch am Abend der Entscheidung ihre Boykott-Drohung wahr machten und nicht nach Wien reisen werden, wird fortan Teil der ESC-Geschichte sein. Die Rolle der EBU ist ein eigenes Kapitel: Sie sah der Eskalation taten- und machtlos zu. Man hat es nicht geschafft, zu einem echten Konsens zu finden. "Null Punkte" gibt es dafür jedenfalls. (Und was passiert, falls der israelische Interpret in Wien gewinnt und Israel das Recht erlangt, den nächsten ESC im eigenen Land auszutragen, darüber will man vorerst noch gar nicht nachdenken.)
Eine Lehre muss man aus dem traurigen ESC-Spektakel jedenfalls ziehen: Die Kunst ist und bleibt politisch. Und wenn die Welt – so wie derzeit – ganz im Zeichen von Krieg und Konflikten steht, dann lässt sich das nicht wegsingen. Auch nicht für nur einen Abend.
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