Sonderpreis der Jury an Megan Twohey und Jodi Kantor
„Eine Recherche der New York Times fand zuvor unveröffentlichte Vorwürfe gegen Mr. Weinstein, die sich über fast drei Jahrzehnte erstrecken und in Interviews mit derzeitigen und früheren Angestellten und Menschen aus der Film-Industrie dokumentiert sind, als auch in rechtlichen Aufzeichnungen, Emails und internen Dokumenten der Firmen, die er geleitet hat, Miramax und die Weinstein Company.“
Das ist der zentrale Satz jenes Artikels, der am 5. Oktober 2017 in der US-Zeitung veröffentlicht wurde und bis heute Auswirkungen hat, und zwar weltweit, nicht zuletzt auch in Österreich.
Mit dem Artikel der beiden Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor wurde jene Schweigemauer durchbrochen, die der einst megamächtige Filmmogul Harvey Weinstein mithilfe seiner Anwälte und seines Einflusses im Filmbusiness um sich errichtet hatte. Hinter dieser Mauer hat er Schauspielerinnen und Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und missbraucht – und ihnen dann gedroht, ihre Karrieren zu vernichten, wenn sie sich wehren.
Heute ist Weinstein im Gefängnis, der Artikel stand am Anfang der weltweiten #MeToo-Bewegung. Und er stand nun auch im Zentrum eines überaus sehenswerten Films namens „She Said“, den Regisseurin Maria Schrader über die Arbeit der beiden Journalistinnen gedreht hat und der im Dezember 2022 im Kino lief.
Sonderpreis der Jury
Bei der ROMY-Gala in Wien am Samstagabend verleiht die Jury Schrader, Twohey und Kantor den Sonderpreis – für einen so hervorragenden wie wichtigen Film und den herausragenden Journalismus, der in dessen Zentrum steht. Schrader, bereits ROMY-Preisträgerin, nimmt die Auszeichnung persönlich entgegen; Twohey und Kantor haben sich mit einem Video bedankt, das während der Gala gezeigt wird.
Wie Jodi Kantor und Megan Twohey es schafften, betroffene Frauen ausfindig zu machen und dazu zu bewegen, gegen den mächtigen Mann auszusagen, erzählt Schrader in ihrem Hollywood-Debüt – und als Zuseher bekommt man erst so einen Eindruck, gegen welche Widerstände die beiden kämpfen mussten. Weinstein sicherte sich rechtlich mit Schweigegeldzahlungen bei den Frauen, die er belästigte und vergewaltigte, ab – und übte während der Recherchen Druck auf die New York Times aus.
Im KURIER-Interview bezeichnete Schrader den Film als „ein sehr vielstimmiges Projekt, was ich sehr gut finde“. Denn „wir haben das Projekt all den betroffenen Personen gegenüber geöffnet. Die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey haben aktiv Einfluss auf das Drehbuch genommen, Szenen im Detail nacherzählt – auch aus ihrem eigenen Privatleben. Wir hatten Zugang zu einigen Interviews, die mit betroffenen Personen – Männern und Frauen – geführt worden sind. Bei so einem Projekt ist es in meinen Augen zwangsläufig, den Opfern Mitsprache zu geben, wie wir ihre Erlebnisse erzählen. Nachdem sie von Hollywood so schlecht behandelt und dann zum Schweigen gebracht wurden, kehren sie jetzt anders nach Hollywood zurück: als diejenigen, die jetzt eine Stimme haben.“ Sie selbst habe das Buch der beiden Journalistinnen, auf dem auch der Film basiert, „atemlos gelesen. Es ist ein Thriller, auch wenn wir den Ausgang der Geschichte kennen.“
Als sie den ersten Artikel in der New York Times sah, war sie „schon schockiert“ – „über das Ausmaß des Missbrauchs und wie lange das ging. Gleichzeitig war ich auch nicht komplett überrascht“, sagte Schrader. Man bekomme „gemeinsam mit Jodi und Megan den Verdacht, dass es – auch unabhängig von Weinstein und seiner spezifischen Firma – gesellschaftliche Strukturen gibt, die in so einem Fall eher die Täter schützt, als den Menschen hilft, sich gegen sie zu wehren. Missbrauch ist natürlich ein großes und Jahrhunderte altes Thema.“
„Überall auf der Welt“
Und Harvey Weinstein ist „eine Repräsentationsfigur für etwas geworden ist, das überall auf der Welt in unterschiedlichen Arbeits- oder Abhängigkeitsverhältnissen passiert ist und immer noch passiert. Machtmissbrauch hat viele unterschiedliche Gesichter und ist sicher nicht auf die Filmindustrie beschränkt.“ Seit fünf Jahren nun wird weltweit gegen diesen Machtmissbrauch aufbegehrt – auch in Österreichs Kulturbranche. Die ROMY ehrt drei Frauen, die denjenigen, die lange schweigen mussten, eine Stimme geben.
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