Amazon Prime Video: "Wir verfilmen nicht das Leben der Waldameise"
Der Kampf der Streaminganbieter kann beginnen: Noch dominieren Amazon Prime Video und Netflix den Markt, Anfang November starten Disney und Apple mit ihren neuen Services. Andere scharren bereits in den Startlöchern. Christoph Schneider, Chef von Amazon Prime Video in Deutschland und Österreich, erzählt im Interview, wie sich sein Streamingdienst trotz wachsender Konkurrenz behaupten will.
KURIER: Wie soll Amazon Prime Video die sogenannten „Streaming Wars“ bestehen?
Christoph Schneider: Prime Video ist der beliebteste Videostreaming-Dienst in Österreich und Deutschland. Unsere Kunden belohnen, dass wir uns auf ihre Wünsche und Bedürfnisse fokussieren und nicht auf die Konkurrenz. Das werden wir weiter tun. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir sind bestens gerüstet, nicht zuletzt, weil wir schon früh mit Eigenproduktionen angefangen haben – auch im deutschsprachigen Raum. Streaming ist im Mainstream angekommen, aber es gibt noch Kundensegmente, etwa ältere Zielgruppen, für die es neu ist und die durch die neuen Anbieter davon überzeugt werden, das mal auszuprobieren. Wenn der Markt wächst, profitieren alle davon. Es ist kein „Winner takes it all“-Spiel. Immer mehr Kunden haben mehrere Streamingabos.
Das ist aber auch eine Kostenfrage. Nicht alle werden es sich leisten können, mehrere Streamingdienste parallel zu abonnieren.
Richtig, es ist eine Kostenfrage und auch eine Zeitbudgetfrage. Viele Leute schauen weiterhin lineares Fernsehen und müssen sich entscheiden: Wie viele Stunden habe ich am Tag Zeit, fernzuschauen oder zu streamen? Die Masse wird sich nicht vier oder fünf Services holen. Da stellt sich auf lange Sicht natürlich die Frage, wie viele Anbieter sich halten können.
Und wer wird leer ausgehen?
Ich weiß es nicht. Unser Ziel ist jedenfalls, dass es Prime Video in jedem Haushalt gibt. Dann kann sich jeder gerne noch so viele Services dazu buchen, wie er möchte.
Sie haben natürlich den Vorteil, dass die Kunden bei Ihnen nicht nur Streaming bekommen.
Wir wollen als eigenständiger Service überzeugen, aber natürlich würde ich jetzt lügen, wenn ich verleugnen würde, dass wir Teil eines sehr attraktiven Angebots sind. Prime-Mitglieder bekommen neben Video-Streaming u. a. kostenfreien Versand ihrer auf Amazon gekauften Artikel und mit Amazon Music einen Musik-Streamingdienst inklusive.
Man muss ja nicht nur um Kunden kämpfen, sondern auch um jene Menschen, die Filme und Serien produzieren. Wie geht das, abgesehen vom richtigen Honorar?
Aus meiner Erfahrung ist den Kreativen wichtiger als das Honorar, wie und ob sie ihre kreativen Vorstellungen umsetzen können, und wie viel Freiheit man ihnen lässt. Ich denke, da haben viele aktuell und in der Vergangenheit sehr gute Erfahrungen mit uns gemacht.
Sie können also nischiger sein?
Sagen wir es so: Je größer unser Streaming-Service wird, desto größer wird auch die „Nische“. Wir wollen Programm für alle unsere Kunden haben. Und was früher vielleicht als Nische gegolten hat, erreicht heute ein immer größer werdendes Publikum. Je größer man wird, desto vielfältiger wird das eigene Programm, desto eher muss man auch die sogenannten „Nischen“ bedienen. Aber das heißt nicht, dass wir jetzt das Leben der Waldameise verfilmen (lacht).
In dieser Woche ist bei Amazon Prime Video die dritte Staffel von „Goliath“ mit Billy Bob Thornton gestartet. Darin legt sich ein abgehalfterter Anwalt mit scheinbar unbesiegbaren Gegnern an. Ab 18. Oktober zeigt der Streamingdienst die romantische Comedy-Serie „Modern Love“ mit Anne Hathaway, Tina Fey, Dev Patel und Andrew Scott. Am 1. November geht dann die Action-Serie „Tom Clancy’s Jack Ryan“ mit John Krasinski in die zweite Runde. Als CIA-Agent legt er sich mit dem venezolanischen Präsidenten an.
Traditionelle TV-Sender diskutieren derzeit, wie sie neben Streaming-Giganten bestehen können. Sind Sie da das Feindbild?
So sehen wir uns nicht und so handeln wir auch nicht. Bis jetzt haben wir mit vielen sehr gut zusammengearbeitet. Wir haben noch keine Koproduktionen mit dem ORF, der ARD oder dem ZDF gemacht, aber wir sind Lizenzpartner (d. h. ORF-Produktionen werden teilweise auch bei Amazon Prime Video angeboten, Anm.). Die Sender sehen auch, dass sie durch uns Zielgruppen erreichen, die sie sonst mit ihren Serien oder Filmen nie erreicht hätten. Am Ende konkurrieren wir alle um die Aufmerksamkeit er Zuschauer, aber wie schon gesagt: es ist kein „Winner takes it all“-Spiel.
Sie sind Chef von Amazon Prime Video in Deutschland und Österreich. Wie viel Entscheidungsspielraum haben Sie da?
Viel. Wir haben ein speziell für das deutschsprachige Publikum abgestimmtes Programmangebot. Zusätzlich zu den in den USA produzierten Amazon Originals von Amazon Studios wie "Tom Clancy’s Jack Ryan" oder "The Marvelous Mrs Maisel" produzieren wir deutschsprachige Serien wie "Bibi&Tina" oder "Deutschland89" und kaufen gezielt exklusive Serien ein wie Lucifer. Über die Zusammenstellung und Gewichtung all dieser Zutaten entscheiden wir selbst.
Alle sind auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, dem neuen „Game Of Thrones“. In Charts sind aber oft weniger aufwendige Produktionen wie „The Big Bang Theory“ ganz vorne. Gibt es eine Diskrepanz zwischen den Wünschen von Serienmachern und Konsumenten?
Ich antworte mal mit einer Metapher: Ich gehe auch gerne mal ins Drei-Sterne-Restaurant, aber im Alltag ist man mit Leberkäse und Kartoffelsalat zufrieden. Ich will damit sagen: Wir brauchen und wollen den Leuchtturm, der alle begeistert. Die große, ambitionierte Serie. Aber ebenso wichtig ist ein gutes, breit gefächertes Angebot, das auch funktioniert, wenn man abends müde nach Hause kommt und einfach nur gut unterhalten werden will.
Also sollten sich die Serienmacher eher auf den Leberkäse konzentrieren?
Wenn sie den gut machen, ja. Das ist sicher noch mal breiter und erfolgversprechender, als wenn man eine Nischen-Super-Show hat, die vielleicht von der Presse hochgelobt wird. Gerade die einfachen Sachen perfekt zu machen, ist sehr schwierig. Ich glaube, das ist die größte Kunst.
Manche haben mittlerweile überhaupt genug von Serien.
Das soll es geben. Serien haben für viele Inhalteanbieter den Vorteil, dass man damit Zuschauer im Idealfall länger binden kann. Einen Film hingegen schauen sie einmal an und dann sind sie weg. Aber das heißt nicht, dass der Kunde Filme jemals weniger wertgeschätzt hat. Jeder spricht über Serien, aber die Abrufzahlen von Filmen sind nach wie vor sehr hoch. Der Film war nie tot.
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