Van der Bellen-Doku: Im Raucherkammerl mit Strache
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
„Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“ Bundespräsident Alexander Van der Bellen feierte am 18. Jänner 2024 seinen 80. Geburtstag. Dazu zeigte der ORF die neue „Menschen & Mächte“-Doku „Alexander Van der Bellen – Vom Flüchtlingskind zum Präsidenten“. Roland Adrowitzer und Viktoria Tatschl erzählen die Biografie vom Flüchtlingskind aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs über den politisch aktiven Wirtschaftsprofessor bis zum ersten Staatsoberhaupt, das nicht aus den Reihen der Großen Koalition kommt.
Das erste Kapitel schildert den Weg der estnisch-russischen Flüchtlingsfamilie ins Tiroler Kaunertal. Vor Stalin floh man aus Estland nach Wien, wo Van der Bellen 1944 zur Welt kam. Nach dem Vormarsch der Roten Armee auf die Stadt entschloss sich die Familie im Frühjahr 1945 dazu, weiter in den Westen zu gehen. Altbürgermeister Joseph Raich berichtet in der Doku, dass das ganze Tal begeistert gewesen sei, dass sich mit Van der Bellens russisch-holländischstämmigen Vater ein „Weltkaufmann“ niedergelassen hatte. Raich habe ihn Jahrzehnte später quasi eingebürgert, berichtet Van der Bellen selbst. „Als Flüchtlingskind bischt kemman. Jetzt bischt einer von uns“ habe Raich vor der versammelten Dorfgemeinschaft gesagt.
Dies sei keine „leere Phrase“ gewesen, sagt Raich.
Cleveres Bürscherl
Dass er später im Gymnasium in Innsbruck Schulsprecher wurde, bezeichnet der damalige Schulkollege Tilmann Märk „gewissermaßen als erste politische Tätigkeit“ Van der Bellens. Auch die spätere ORF-Chefin Monika Lindner lernte ihn damals – als Tanzschulpartnerin – kennen. Van der Bellen sei „ein cleveres Bürscherl“ gewesen.
Heute hängt im Akademischen Gymnasium ein Plakat mit Van der Bellen, das die Schüler daran erinnert, was man mit Bildung alles erreichen kann, berichtet Schülerin Rebecca Pelech, die heutige Schulsprecherin.
Van der Bellen sei damals schon herausgestochen, mit Louis-Armstrong-Platten und Sonnenbrillen, sagt Märk.
Von den beschaulichen Studentenprotesten in Innsbruck geht es in der Doku weiter in die Bundeshauptstadt. Der promovierte Volkswirt trat zudem der SPÖ bei.
Rauchen im TV
Großartig sind die Szenen aus dem „Club 2“, wo Van der Bellen als Wirtschaftsexperte seine Redegewandtheit unter Beweis stellte - „obwohl er sich gerade eine dreht“, wie Gastgeber Günther Nenning sagte. Mit „eine“ ist freilich eine Zigarette gemeint, denn damals konnte man im TV-Studio noch ungehemmt pofeln.
➤ Mehr lesen: "Was ist denn jetzt schon wieder passiert?": Van der Bellen wird 80
SPÖ-Beitrag nicht mehr eingezahlt
Wegen nicht mehr eingezahlter Mitgliedsbeiträge lief dann Van der Bellens SPÖ-Mitgliedschaft einfach aus – unter Parteichef Vranitzky. Sein Vorgänger als Bundespräsident, Heinz Fischer, bedauert im Nachhinein, dass niemand ihn umstimmen wollte: „Van der Bellen war ein politisch denkender Mensch, wie man ihn sich in einer Partei nur wünschen kann.“
Peter Pilz, der bei Van der Bellen Doktorand war, holte ihn dann 1993 zu den Grünen. Er schildert, dass der „Professor“ damals vielen seiner Parteifreunde zu rechts gewesen sei.
Unglaublich eigentlich.
Pilz sah das Engagement Van der Bellens als „nächsten Schritt“ von der „Vier-Themen-Partei zu einer wirklichen Reformkraft“.
Auch die langjährige Salzburger Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler kommt zu Wort. Sie fasst die Entwicklung mit einem Van-der-Bellen-Zitat zusammen: Er wurde "vom arroganten Antikapitalisten zum großzügigen Linksliberalen“.
Im Raucherkammerl mit Strache
Zur Illustration der Parlamentszeit Van der Bellens gibt es wieder Nikotinhältiges aus dem ORF-Archiv. Der Grünen-Abgeordnete rauchte während eines Interviews eine Zigarette. Ob er öfter Gesetze breche, wurde er damals gefragt. „Selten“, sagte Van der Bellen nach einer kurzen Nachdenkpause.
Der heutige Van der Bellen sagt, dass er sich mit dem ehemaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zumindest im Raucherkammerl gut verstanden habe. "Beim Rauchen redest über dieses und jenes", sagt er.
Dann geht es ziemlich rasch von Regierung zu Regierung. Den Grund fürs Scheitern der Koalitionsverhandlungen 2003 zwischen Schwarz und Grün sehen Van der Bellen und Wolfgang Schüssel im Rückblick naturgemäß sehr unterschiedlich.
Es kommt auch Brigitte Bierlein,, die Van der Bellen als Bundeskanzlerin der Übergangsregierung quasi erfunden hat, zu Wort, außerdem die slowenische Präsidentin Nataša Pirc Musar und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Hofer mit bitterem Beigeschmack
Für kritische Worte sorgt der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ), der Van der Bellen 2016 in einem denkwürdigen und turbulenten Wahljahr unterlag. „Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung“ war damals das Unwort des Jahres.
Hofer sieht in der damaligen Polarisierung lediglich ein Klarmachen der unterschiedlichen Standpunkte. In seiner Amtsführung habe Van der Bellen bisher „nicht ganz überparteilich“ agiert.
Die danach folgenden Regierungskrisen und zahlreichen Angelobungen, die Van der Bellen mit „der Eleganz und Schönheit der Verfassung“ im Gepäck meistern musste, werden im temporeichen Galopp genommen.
Sehr staatsmännisch-pragmatisch äußert sich der Präsident zum Sinnbild des Establishments, dem Opernball. "Soll man nichts Schlechtes mehr über den Opernball sagen“, erklärt Van der Bellen. Der Ball habe seinen Charakter verändert, schließlich werde ein Teil der Einnahmen gespendet.
Das Klimakleben bezeichnet er als nicht sachdienlich. Zum Schutz der Aktivisten vor Dämonisierung könnte man den Bundespräsidenten noch „mehr in die Pflicht nehmen“, meint Klimaaktivistin Lena Schilling.
Kickl-Sager
Die Doku glänzt mit detailreicher Archivarbeit, dem Aufsuchen wichtiger Schauplätze, einer Reihe an stimmigen und wichtigen Gesprächspartnern und einer auffallend liebevollen Musikauswahl - von Air, über Louis Armstrong bis Nirvana.
Der Bogen wird bis in die politische Gegenwart gespannt. Dass Van Der Bellen im Februar des Vorjahres in einem Fernsehinterview ankündigte, FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einem etwaigen Wahlsieg nicht automatisch einen Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen, könnte die Innenpolitik heuer noch ziemlich beschäftigen.
Journalistin Alexandra Föderl-Schmid bezeichnet es in der Doku als „nicht klug“, sich als Staatsoberhaupt derart früh festzulegen.
In der Doku zeigt sich Van der Bellen in dieser Hinsicht wesentlich vorsichtiger in Hinblick auf die Nationalratswahl: „Ich werde mich hüten, jetzt in irgendeiner Weise dem Wahlergebnis vorzugreifen.“
Und: „Man wird schauen, was das Programm der FPÖ bis dahin glaubwürdig verrät.“
➤ Mehr lesen: Van der Bellens Kickl-Ansage, die aus der Dunkelheit kam
Ironie und Sympathie
Die ironischen Fähigkeiten Van der Bellens werden anhand seiner Festspielrede in Salzburg illustriert, als er auf offener Bühne dem Instagram-Account von Norbert Hofer folgte.
Rabl-Stadler lobt ihn für seine unorthodoxen Gedanken und humorvollen Wendungen. „Das Sympathische an ihm ist, dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt.“ Das sei ein gutes Beispiel „für alle Männer, die sich so wichtig fühlen.“
Nach weiteren Blicken in den Arbeitsalltag des Präsidenten - ob auf internationaler Bühne oder beim Gassigehen mit der Hundedame Juli – endet das Porträt – wo sonst? – im geliebten Kaunertal.
Kommentare