Maximilian-Freiheits-Dollfuß-Göring-Roosevelt-Platz
Das „Lexikon der Wiener Straßennamen“ von Peter Autengruber ist ein Quell des eher nutzlosen Wissens – und dennoch faszinierend.
Im Vorwort zur elften Auflage werden die wichtigsten Änderungen seit der zehnten aufgezählt: die Eva-Popper-Gasse wurde zum Weg degradiert; die Luftgasse löste sich in Luft auf (die Luftbadgasse gibt es aber weiterhin); und die nach der Autorin Ida Bohatta benannte Verkehrsfläche heißt jetzt prosaisch Platz der sozialen Sicherheit.
Auf Grundlage des Lexikons könnte man ein treffliches Quiz zusammenstellen. Selbst Kollege Dieter Chmelar, der Meister des nutzlosen Wissens, würde da ins Straucheln kommen. Ein Beispiel: Wie heißt das ehemalige Hundsfottgässel in der Inneren Stadt heute? Tipp: Die Gasse galt die längste Zeit mit 17 Metern als die kürzeste von Wien. Seit 2014 ist dies aber die Tethysgasse in der Leopoldstadt (elf Meter).
Orientierungssystem
Sehr erhellend ist die Geschichte der Straßennamen. 1850 wurden 34 Vorstädte innerhalb des Linienwalls, also des heutigen Gürtels, und Favoriten eingemeindet. Das stellte den Magistrat vor einige Probleme. Der Prozess war erst 1861 beendet. Im Jahr darauf wurden zahlreiche Verkehrsflächen umbenannt. Denn allerorts gab es Hauptstraßen sowie Herren-, Pfarr- oder Kirchengassen.
Zudem wurde eine konsequente Durchnummerierung der Häuser – erstmals inklusive der Baulücken – beschlossen. Und man führte ein gefinkeltes Orientierungssystem ein. Mit einem Blick wusste jeder, wo er sich in etwa befand. Denn die Tafeln waren verschiedenfarbig umrandet. Zum Beispiel im zweiten Bezirk violett, im sechsten Bezirk gelb, im neunten Bezirk braun und im ersten Bezirk rot. Zudem hatten die Längsgassen eckige, die Quergassen ovale Tafeln. Die ins Blech gestanzte Frakturschrift war schwarz, nur bei Plätzen rot lackiert.
1890 vereinigte man die Vororte mit Wien. Die Fläche der Stadt verdreifachte sich, die Einwohnerzahl explodierte von 525.000 auf 1,365 Millionen. Nur zwei der 43 Orte, Währing und Unter-Meidling, hatten sich für die Eingemeindung ausgesprochen.
1920 wurde die verschiedenfärbige Umrandung der Tafeln abgeschafft. Und drei Jahre später brach das Rote Wien mit der Vergangenheit: Man führte blaue Emailtafeln mit lateinischer Schrift ein.
1926 beschloss man, die Tafeln der Quergassen an den Schmalseiten halbkreisförmig abzurunden. Doch dies haben die Nationalsozialisten 1944 abgeschafft. In der NS-Zeit wurde zudem die Rückkehr zur Frakturschrift ventiliert, aber im Zweiten Weltkrieg hatte man dann doch vordringlichere Probleme.
Die SPÖ hielt sich ab den 1980er Jahren nicht mehr lückenlos an die Reform – und setzte mitunter wieder die Frakturschilder aus der Monarchie ein. Was zu Verwirrungen führen kann. Denn 1981 wurde beschlossen, mehrgliedrige Straßennamen durchzukoppeln, also „Dr.-Heinrich-Maier-Straße“ und „Dr.-Heinrich-Müller-Gasse“. Auf den neuen Frakturschildern hingegen fehlen die Stricherln – wie etwa beim „Josef Meinrad Platz“, benannt nach dem Ifflandring-Träger und Burgtheaterschauspieler.
Doch zurück zu den Umbenennungen. 1919, nach dem Ende der Monarchie, verschwanden viele Habsburger-Namen. Der Franzensring mutierte zum Ring des 12. November; das war der Tag im Jahr 1918, an dem die Republik ausgerufen wurde.
Wer an der Macht ist
Und der Maximilianplatz hieß fortan Freiheitsplatz. Aber nur 15 Jahre. Denn die Austrofaschisten waren an der Macht. Die Umbenennung in Dollfußplatz erfolgte 1934 nach der Ermordung des Klein-Diktators. An Engelbert Dollfuß, der den Teufel Hitler mit Beelzebub auszutreiben trachtete, wollte das NS-Regime natürlich nicht erinnern: Gleich nach dem Einmarsch im März 1938 nahm man die Umbenennung in Hermann-Göring-Platz vor. Der Platz vor der Votivkirche hieß nach dem Ende des Dritten Reiches kurz wieder Freiheitsplatz, bevor er 1946 in Rooseveltplatz umgetauft wurde. Nach dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Der Platz befand sich ja auch im amerikanischen Sektor.
Alle konnten mit Lueger
Am ehemaligen Franzensring musste man nicht so häufig die Schilder auswechseln. Er wurde 1934 zum Dr.-Karl-Lueger-Ring. Mit dem antisemitischen wie populären Bürgermeister konnten die Austrofaschisten, die Nationalsozialisten, die Besatzer und auch die Sozialdemokraten. Erst 2012, nach jahrelangen Debatten, folgte die Umbenennung in Universitätsring.
Die Stadt Wien hat eine Scheu vor Umbenennungen. Denn damit sind Kosten verbunden – und die Behördengänge nerven die Anrainer. Daher gibt es weiterhin viele bedenkliche Benennungen – etwa den Herbert-von-Karajan-Platz, die Dusikagasse, den Josef-Weinheber-Platz, die Stelzhamergasse sowie – gleich dreifache Ehre! – die Robert-Hamerling-Gasse, die Hamerlinggasse und den Hamerlingplatz.
Hin und wieder kam es doch dazu: Der Kernstockplatz heißt seit 1992 Familienplatz, die Ottokar-Kernstock-Straße seit 1993 Jägerstätterstraße. In Graz hingegen ehrt man noch immer den Verfasser des Hakenkreuzliedes. Und 2018 wurde der Richard-Kuhn-Weg, benannt nach einem NS-Sympathisanten, Nobelpreisträger und Giftgasforscher, in Stadt-des-Kindes-Weg umbenannt.
2007 hat man den Marathonweg einfach weitergeführt: Er schluckte die nach einem NSDAP-Mitglied benannte Heinrich-Maxa-Gasse.
„Eine kreative Lösung“ sei, so Autengruber, die Umcodierung des Schlesingerplatzes gewesen, an dem sich das Josefstädter Bezirksamt befindet: Er erinnert jetzt nicht mehr an den Antisemiten Josef Schlesinger, sondern an die Frauenrechtlerin Therese Schlesinger.
Niedriger Frauenanteil
Damit gelang sogar ein Doppelschlag. Denn man ist ja bestrebt, den nach wie vor beschämend niedrigen Anteil an Frauennamen zu erhöhen (wie erwähnt hatte die Kinderbuchautorin Ida Bohatta dem Platz der sozialen Sicherheit zu weichen).
Von den 6.777 Verkehrsflächen heißen zwei Drittel, genau 4.439, nach Personen. Von diesen sind etwa 4.000 nach Männern benannt – und etwa 500 nach Frauen. Die Rechnung geht sich aus, da es Straßen gibt, die nach Mann und Frau benannt sind, etwa die Arndtstraße: benannt nach Ernst Moritz Arndt und nun auch nach der Holocaust-Überlebenden Ilse Arndt.
Wie schon festgestellt, versucht man, Verdoppelungen zu vermeiden. Denn es soll schon Touristen gegeben haben, die in Penzing die Ordination von Sigmund Freud aufsuchen wollten. Auch dort gibt es eine Berggasse.
Ein Kriterium bei Neubenennungen ist daher die Unterscheidbarkeit. Laut Autengruber hätte nach der Ethnologin Eugenie Goldstern keine eigene Gasse benannt werden können, da es bereits eine Goldsterngasse gibt. Aber durchgehalten wird das nicht. Es gibt seit 1991 gleichzeitig einen Bruno-Kreisky-Platz und auch eine Bruno-Kreisky-Gasse. An das Ehepaar Bauer erinnern die Otto-Bauer-Gasse und der Helene-Bauer-Platz. Das Schauspie- lerehepaar Wilhelmine und Anton Friedrich Mitterwurzer bekam die Mitterwurzergasse (nach ihm benannt) und den Mitterwurzerweg (nach ihr benannt), das Pädagogenehepaar Glöckel den Otto-Glöckel-Weg und den Leopoldine-Glöckel-Weg.
Et cetera. Ach ja: Auch Autengruber weiß nicht alles. Mitunter, etwa beim Hornspergsteig, steht nur: „Herkunft unbekannt.“ Und die Irisgasse ist jetzt nicht mehr die kürzeste Gasse von Wien.
Peter Autengruber: „Lexikon der Wiener Straßennamen“
Wundergarten Verlag. 352 Seiten. 21,30 Euro
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