Die Ehe bleibt unter Verschluss

Max Frisch (1911–1991) ließ seine Tagebücher bis 2011 „sperren“. Vieles bleibt trotzdem geheim.
20 Jahre nach dem Tod von Max Frisch werden nur Teile der Berliner Tagebücher veröffentlicht.

Es waren nicht die Rechtschreibfehler, die im April 2011 am Zürcher Bellevue für Aufsehen sorgten.

Aber halten wir sie trotzdem fest (weil es wohltuend ist, dass sich selbst ein Weltschriftsteller mitunter mit der Sprache schwergetan hat);

Max Frisch schrieb zum Beispiel: „agressiv“. Dafür gab er an anderer Stelle einen Buchstaben zu viel her: „Errektion“.

„Dedektiv“ ist auch nicht ganz richtig, und mit der türkischen Stadt hatte er, wie du und ich, ebenfalls ein Problem: „Istambul“.

Es waren (unter anderem) fünf bunte Ringmappen, die von den Verwaltern seines Nachlasses aus dem Banksafe geholt wurden:

Tagebücher aus den Jahren 1973 bis 1980, als Max FrischZürich überdrüssig geworden – mit seiner Ehefrau in Berlin gelebt hatten.

„Hier kein Kopfweh: schon das spricht für Berlin, die leichtere Luft.“

Bachmann 2025

Er hatte sie, das sind seine Worte, erst einmal in die Tiefkühltruhe gelegt. Die Aufzeichnungen blieben bis 20 Jahre nach seinem Tod „gesperrt“. (Der Briefwechsel mit seiner Geliebten Ingeborg Bachmann bleibt es bis 2025.)

Wenn am Freitag das Buch „Aus dem Berliner Journal“ erscheint, wird man zwar lesen können:

„Ich habe schon öfter geträumt, dass der JAGUAR (Anschaffungspreis: 31.000 Franken) gestohlen worden ist, noch nie geträumt, dass etwa die Schreibmaschine gestohlen worden ist. Dabei wäre ich ohne Schreibmaschine in einer wirklichen Verlegenheit.“

Auch erfährt man, was er bei den vielen Einladungen gegessen hat („Abend bei Grass. Fisch.“) ... und er charakterisiert die Schriftstellerkollegen – etwa:

„Schwätzer sind aus dem gleichen Stoff gemacht, aber H. M. Enzensberger hat dabei eine so ungewöhnliche Intelligenz, das man ihn nicht als Schwätzer bezeichnen kann; anderseits reicht Intelligenz allein nicht aus, um eine Person glaubwürdig zu machen.“

Zum Schafott

Aber es sind nur Teilchen aus den Tagebüchern, vor allem – wie man so sagt – literarisch wertvolle Texte, also auch Gedanken über die DDR, über ein zweigeteiltes Zürich, über einen französischen Edelmann, der auf dem Weg zum Schafott um ein Blatt Papier bittet, um sich etwas zu notieren ...

Aus den Mappen drei bis fünf wurde überhaupt nichts veröffentlicht, das sind die intimsten Aufzeichnungen über Ehe und Frauen. Auf sie warten die Biografen seit Jahrzehnten, um das Bild des an sich zweifelnden Schriftstellers und Mannes (seine Nase gefiel ihm gar nicht) zu vervollständigen.

Die Ehe bleibt unter Verschluss

Die Nachlassverwalter verweigerten in Hinblick auf „persönlichkeitsrechtliche Gründe“. Das war ursprünglich in Max Frischs Sinn gewesen – Zitat 1982: „Es soll kein Ehemann eben mal schauen können, ob etwas war zwischen seiner Frau und mir.“ Aber jetzt?

Nicht einmal Witwe Marianne Frisch, 74, bekommt alles zu lesen.

Man hat sie auch nie nach ihrer Meinung gefragt. Selbst sie durfte nur die zusammengestrichenen Teile, die im Max-Frisch-Archiv in Zürich in einem Glaskasten liegen, durchschauen.

Unter Aufsicht.

INFO: MaxFrisch: „Aus demBerlinerJournal“ SuhrkampVerlag. 256 Seiten.20,60 Euro.

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