Sämtliche Erzählungen - Von Ingeborg Bachmann

Sämtliche Erzählungen - Von Ingeborg Bachmann
Bachmanns Prosa zeichnet sich durch eine unglaubliche Sogwirkung aus, die in der Tiefe ihrer Figuren, aber auch in der Wucht ihrer Sprache ihren Ursprung hat.

Die Meisterin deutschsprachiger Prosa hinterließ uns ein zwar schmales, aber umso intensiveres literarisches Oeuvre. Die 1982 edierte Gesamtausgabe ihrer Werke enthält 24 Erzählungen, die auch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung nichts an Modernität, Eindringlichkeit und künstlerischer Kraft verloren haben.

Ingeborg Bachmann veröffentlichte zu Lebzeiten zwei Prosabände: 1961 "Das dreißigste Jahr" und 1972 "Simultan". Besonders ersterer gilt als Meilenstein nicht nur der deutschsprachigen Prosa der Nachkriegszeit, sondern auch als frühe und dennoch verblüffend differenzierte Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen: Die beiden Erzählungen "Ein Schritt nach Gomorrha" und "Undine geht" etwa gehören zu den ersten feministischen Texten nach 1945 und sind bis heute große Literatur.

In "Das Gebell" zeichnet Bachmann das unglaublich filigrane Porträt zweier Frauen: der Mutter sowie der Ehefrau des Psychologen Leo Jordan. Beide leben in einer Welt des Selbstbetrugs, idealisieren Sohn bzw. Ehemann, der doch nicht mehr ist als ein Egomane. Sinnbild für dieses Netz ist der Hund der alten Frau Jordan, Nuri, der ihren Sohn anzubellen pflegte, bis sie ihn mit gebrochenem Herzen weggab. Ein zerbrechliches, atemberaubendes Stück Literatur.

Bachmanns Prosa zeichnet sich durch eine unglaubliche Sogwirkung aus, die in der Tiefe ihrer Figuren, aber auch in der Wucht ihrer Sprache ihren Ursprung hat. Dem fast mythischen Gebrauch der Worte merkt man die Lyrikerin an: 1953 debütierte die 1926 in Klagenfurt geborene Schriftstellerin mit ihrem berühmten Gedichtband "Die gestundete Zeit". Ihre Poesie übertrug Bachmann auch auf die Prosa – bis hin zu ihrem einzigen, 1971 veröffentlichten Roman "Malina".

Sämtliche Erzählungen - Von Ingeborg Bachmann
Ein Königreich für ein Bild!

Ingeborg Bachmann – ihr Leben war eine Legende: Sie studierte in Wien, lernte Ende der Vierzigerjahre Paul Celan kennen und lieben, lebte ab 1953 in Italien, verlor sich nach einer Beziehung mit Max Frisch in Alkohol- und Tablettenabhängigkeit. 1973, gerade einmal 46-jährig, starb sie an den Folgen eines Brandes in ihrer römischen Wohnung. Die Sprachmagie ihrer Erzählungen bezaubert nach wie vor, ihre Wirkung ist ungebrochen: Der seit 1979 in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrte Nachlass, mehr als 6000 Blätter umfassend, wird immer wieder von Literaturwissenschaftlern gesichtet, 2007 wurde ein Platz in der Wiener Donaustadt nach ihr benannt. Bachmann, die der Frau eine neue, kraftvolle und eigene Stimme verlieh, ist so aktuell wie nie. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", schrieb sie einmal. Und lässt die Nixe in ihrer Erzählung "Undine geht" sagen: "Nie hat jemand so von sich selber gesprochen. Beinahe wahr. Beinahe mörderisch wahr."

Diese fast unerträgliche Wahrheit zeigt uns die Autorin in ihren Erzählungen. Der Fokus liegt dabei auf alltäglichen Lebenssituationen, die dennoch mit der Wucht eines homerischen Epos daherkommen. In "Ihr glücklichen Augen" etwa erleben wir das Liebesleid Mirandas, die ihre extreme Kurzsichtigkeit dafür nutzt, nur das zu betrachten, was sie wirklich sehen will. Miranda erspart sich den Anblick der gelben Zähne ihres Liebsten und knallt dafür eben gegen Glastüren, sie fügt sich ihre Welt wie es ihr gefällt: Zwischen Groteske und Drama balanciert nicht nur diese Erzählung auf der scharfen Schneide der Sprache Ingeborg Bachmanns.

24 Erzählungen hat Ingeborg Bachmann geschrieben, entstanden zwischen 1946 und 1972. 24 Texte, manchmal fünf, manchmal fünfzig Seiten lang. Jede einzelne ein Meisterwerk.

Kommentare