Salzburger Festspiel-Chef Hinterhäuser: „Kein vorauseilender Pessimismus!“
Am Donnerstag gaben die Salzburger Festspiele ihr Programm für den Sommer 2021 bekannt. Intendant Markus Hinterhäuser, 1958 in La Spezia geboren, erklärt die Gründe, warum er sich hochfliegende Gedankenspiele verbietet.
KURIER: Die Salzburger Festspiele trotzten heuer Corona. Sie waren aber gezwungen, vieles absagen oder verschieben zu müssen. Hat das Überwindung gekostet?
Markus Hinterhäuser: Ja, das realisierte Programm hatte entschieden mit Subtraktion zu tun. Das war ein schwieriger, aufwendiger und sehr anstrengender Prozess. Das Addieren ist viel leichter – nicht nur beim Kopfrechnen! Für 2021 gibt es aber wieder ein volles Programm.
Es ist eigentlich die Realisierung des Programms 2020.
Wir haben den Künstlern und dem Publikum versprochen, nach Möglichkeit alles zu verwirklichen, was für 2020 geplant war.
Aber mit Abstrichen.
Es stimmt: Die Neueinstudierung der „Zauberflöte“ kommt erst 2022 – und „Boris Godunow“ zum ehestmöglichen Zeitpunkt. Die Pandemie hat beträchtliche logistische Probleme mit sich gebracht. Und man muss darauf mit einem wirklichkeitsnahen, klugen und konstruktiven Pragmatismus reagieren. Aber zwei der zentralen Produktionen, Mozarts „Don Giovanni“ und „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono, werden nächsten Sommer zu erleben sein. Insofern kommen wir der Realisierung des Jubiläumsprogramms schon nahe.
Ist das auch der Grund, warum „Elektra“ und „Cosi fan tutte“ wiederaufgenommen werden?
Dafür gibt es viele und gute Gründe! „Elektra“ hat eine ungeheure Wucht. Und „Cosi fan tutte“ entstand ganz spontan. Vielleicht verströmt diese Inszenierung auch deshalb eine solche Leichtigkeit, eine solche Anmut und Frische. Beide Produktionen konnten nur relativ wenige Menschen sehen – aufgrund der Sitzplatzbeschränkungen, aber auch, weil einfach weniger Besucher nach Salzburg gekommen sind. Es ist also ganz richtig, sie wieder zu zeigen. Das meine ich eben mit Pragmatismus. Den werden wir auch in der Zukunft brauchen. Denn die wirklichen Konsequenzen von Corona wird man erst in zwei, drei Jahren zu spüren bekommen, dann aber heftig. Wir können daher nicht weitermachen wie bisher, wir müssen anders denken und das immer mit der Maxime, dass jedes Programm künstlerisch sinnvoll ist, aber auch wirtschaftlich funktionieren muss.
Was zur Folge hat, dass für 2021 nicht viel Neues hinzukam. Aber was macht ein Intendant, wenn er nichts mehr zu intendieren hat?
Ich komme ganz bestimmt nicht in die Verlegenheit, meine Tage nicht sinnvoll ausfüllen zu können. Allein ein neues, realitätsbezogenes Planungssystem herzustellen, ist kompliziert genug! Wir haben eine Generalsanierung vor uns, die uns die nächsten zehn Jahre in Anspruch nehmen wird. Und wir beschäftigen uns selbstverständlich mit den Jahren 2022, 2023 und 2024, und für 2021 hatten wir auch andere Produktionen geplant.
Was wäre denn 2021 zu sehen gewesen, wenn es keine Corona-Epidemie gegeben hätte?
Das möchte ich jetzt nicht sagen, aber die Ideen werden hoffentlich in die Festspiele der nächsten Jahre einfließen.
Anders gefragt: Wenn 2021 nachgeholt wird, was für 2020 geplant gewesen war, zwängt man sich in ein enges Korsett. Denn Sie haben sich die Möglichkeit genommen, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Vielleicht hätten Sie ja ganz andere Opern angesetzt?
Die Realität erlaubt keine Großzügigkeit für solche Gedankenspiele. Es geht vor allem darum, was in der gegenwärtigen Situation möglich ist. Vielleicht habe ich auch schon beim letzten Interview auf den von Robert Musil so formulierten Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn hingewiesen. Ja, wir hätten andere Möglichkeiten gehabt, aber jetzt haben wir eine Wirklichkeit, und die ist weder erfreulich noch macht sie die Planung einfacher. Und ob es mir gefällt oder nicht: ich habe mich nach ihr zu richten und versuche trotzdem, ein anspruchsvolles Programm zu ermöglichen. Ein Beispiel: Wir haben die „Ouverture spirituelle“ mit dem Thema „Pax“ nahezu vollständig vom ursprünglichen Programm 2020 übernommen, und wir gratulieren mit der Gesamtaufführung des epochalen Zyklus „Spiegel“ Friedrich Cerha zu seinem 95. Geburtstag, den er am 17. Februar feiern wird. Darauf freue ich mich sehr.
Hat die sakrale Musik wegen Corona mehr Gewicht bekommt? Denn neben dem Händel-Oratorium gibt es eine „Hausandacht“ mit Bach und mehrere Kirchenkonzerte.
Es gibt in der Musik durchaus eine metaphysische Qualität, die unserer Welt immer mehr verloren geht. Bei Bach gibt es ein Ordnungssystem, das auch uns eine Objektivierung ermöglicht. Er ist das Alpha und Omega der Musik. Vom Komponisten Mauricio Kagel gibt es einen schönen Satz: Es mag sein, dass nicht alle Musiker an Gott glauben, an Bach jedoch alle. Der Bach-Zyklus, den wir unter dem Titel „Himmelwärts“ ins Programm genommen haben, hat aber nichts mit der Pandemie zu tun.
Es ist doch nichts dabei, wenn es so wäre?
Nein, aber ich mag nicht das reflexartige Reagieren, ich bin kein Freund von Anlass-Programmierungen. Dennoch bekenne ich mich ausdrücklich zum Kirchenkonzert von Patricia Kopatchinskaja, das einen deutlichen Gegenwartsbezug hat. Unter dem Titel „Dies irae“ geht sie der Frage nach, wie viel Zeit uns angesichts der Klimaerwärmung noch bleibt.
Auch der Pianist Hinterhäuser taucht wieder auf – als Begleiter von Asmik Grigorian, die Lieder von Richard Strauss singen wird. Dieser Abend kam neu hinzu?
Nur im Umfang und als eigenständiges Programm. Im vergangenen Sommer wären die Lieder in einem Konzert der Reihe „Moments musicaux“ verborgen gewesen.
Warum gibt es denn die Überraschungskonzerte nicht?
Ich weiß ja nicht, was die Pandemie im nächsten Sommer zulässt – und wie hoch die Bereitschaft der Menschen sein wird, nach Salzburg zu kommen. Ich bin zwar optimistisch, aber ich brauche nicht noch zusätzliche Überraschungen.
Zum Glück finden die Festspiele erst im Sommer statt.
Ja, da haben wir einen gewissen Vorteil gegenüber anderen: Wir haben die Perspektive, dass sich die Situation bis Juli beruhigen wird. Aber ich habe keine Glaskugel.
Planen Sie die Vorstellungen mit Pausen oder ohne?
„Tosca“, eine Produktion der Osterfestspiele, wäre vielleicht ohne Pause möglich, „Don Giovanni“ bestimmt nicht. Wir gehen derzeit von einer Art Normalzustand aus. Schon jetzt in einem vorauseilenden Pessimismus klein beizugeben hielte ich für falsch. Und sollten doch keine Pausen möglich sein, haben wir ja bereits eine gewisse Übung im raschen Umplanen. Aber ich wünsche mir natürlich, dass uns das erspart bleibt, und wir nicht wieder subtrahieren müssen. Addieren ist tatsächlich nicht nur leichter, es ist deutlich inspirierender.
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