Stockinger und Maertens über Kraus: „Das ist ein Stück der Stunde“

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Das Burgtheater-Paar über „Die letzten Tage der Menschheit“ in einer Fassung von Dušan David Pařízek. Premiere am 25. Juli.

Anfang 2015 brachte man am Max Reinhardt Seminar „Die Affäre Rue de Lourcine“ heraus – unter anderem mit Marie-Luise Stockinger. „Es hieß, dass Nicholas Ofczarek und Michael Maertens sich eine Hauptprobe anschauen würden, weil sie kurz davor waren, selber das Stück zu probieren“, erzählt sie. „Wir alle waren so aufgeregt. Niki kam tatsächlich, Michi hat abgesagt.“ Wenig später, nach dem Studium, kam Stockinger ans Burgtheater. Mit Maertens spielte sie das erste Mal in Arthur Millers „Hexenjagd“ in der Regie von Martin Kusej, die Premiere war im Dezember 2016.

KURIER: Und wie ging es weiter?

Michael Maertens: Dass wir zusammengekommen sind, ist erst viel später passiert – in einer Inszenierung mit dem Regisseur, mit dem wir jetzt wieder zusammenarbeiten, mit Dušan David Pařízek („Vor Sonnenaufgang“, 2017, Anm.).

Wenn man als Paar gemeinsam spielt: Ist das einfacher oder komplizierter? Es schwappt ja der Beruf ins Private hinein …

Marie-Luise Stockinger: Ich habe gerne mein eigenes, kleines Universum. Aber es ist auch immer wieder schön, wenn man denselben Tagesablauf hat. Michi ist einer meiner Lieblingsmenschen und Lieblingskollegen. Mir macht es Freude, dem anderen beim Arbeiten zuzusehen oder über Fragestellungen zu diskutieren. Wenn man gemeinsam probt, erspart man sich die Frage: Und was hast du heute so gemacht?

Maertens: Bei mir ist das etwas anders. Ich freue mich natürlich, wenn man die Zeit gemeinsam verbringt. Aber man ist bei den Proben eh schon gehemmt: Man muss sich entäußern und Hürden überspringen. Und wenn dann noch jemand dabei ist, der einen so gut kennt, dann ist mir das noch unangenehmer. Man möchte ja nicht vor dem anderen fehlbar sein. Aber wenn die Premiere vorbei ist, ist es toll, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. „Hamlet“ spielen wir wahnsinnig gerne.

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„Die letzten Tage der Menschheit“ hat unglaublich viele Rollen. Sind Sie, Herr Maertens, der Nörgler? Und Sie, Frau Stockinger, die Kriegsberichterstatterin Schalek?

Stockinger: Pařízek hat sich auf sieben Positionen festgelegt: Peter Fasching spielt den Soldaten, Dörte Lyssewski die Schauspielerin, Felix Rech den Feldkurat, Elisa Plüss den Nörgler, Branko Samarovski den Patrioten. Michi spielt den deutschen Politiker – und ich tatsächlich die Kriegsberichterstatterin.

Maertens: Aber jede und jeder vereint mehrere Figuren in sich. Ich zum Beispiel habe Texte von 14 verschiedenen Figuren. Pařízek hat eine sehr interessante Collage erstellt, wir sind ganz begeistert.

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Fotoprobe "Die letzten Tage der Menschheit": Elisa Plüss, Marie-Luise Stockinger, Michael Maertens, Dörte Lyssewski, Branko Samarovski.

Stockinger: Mit vielen Verknüpfungen und Überlagerungen. Es fließen eben mehrere Figuren in einer Spielerin oder in einem Spieler zusammen: die kriegstreibenden Kräfte in der einen „Säule“, und jene, die sich gegen den Krieg wehren, in der anderen. Da kriegt man schon einen tiefen Eindruck in Politik, Gesellschaft, Medien und deren unheilige Allianzen. Und man lernt vielleicht dazu. Für meine Generation ist der Erste Weltkrieg so weit weg. In der Schule haben wir uns vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Ich finde, „Die letzten Tage“ sind ein Stück der Stunde, wenn man beobachtet, wie wieder gezündelt und aufgerüstet wird. Diplomatie verkommt zur Farce, militärische Vormacht gibt den Ton an. In der Rolle der Kriegsberichterstatterin stelle ich fest: Der Ton erinnert an damals.

Kraus hat viel dokumentarisches Material verarbeitet und erzählt die Geschichte chronologisch. Beginnt auch die Collage von Pařízek mit der Ermordung des Thronfolgers?

Stockinger: Ja, und sie endet mit der Frage: Wie holen wir jetzt den Fremdenverkehr wieder zurück?

Alice Schalek vollzog eine Läuterung: Aus der kriegsbegeisterten Reporterin wurde eine Mahnerin. Paulus Manker hat das in seiner überbordenden Inszenierung herausgearbeitet – und Kraus ergänzt. Wie geht Pařízek damit um?

Stockinger: Es geht uns nicht ums Biografische. Ich bin daher nicht die jüdische Journalistin Schalek, sondern nehme die Position der Presse ein. Wir werden am Ende von diesen Positionen zurücktreten – und die Fragen abgeben: Was denken Sie über diese nationalistischen, kriegsverherrlichenden Äußerungen?

Maertens: Dieser Szenenreigen hat aber auch einen kabarettistischen Einschlag, es gibt richtiggehend Sketche. Und das gehen wir sogar ein bisschen weiter.

Sie schauen daher auf den Kamerad Schnürschuh herab?

Maertens: Ich schau auf ganz Österreich herab! Ich werde ja hier so oft schlecht als Piefke behandelt ... Nein, das war ein Witz! Mir geht es hier großartig! Aber manchmal krieg’ ich auch einen auf den Deckel, wenn ich mich zum Beispiel an Arthur Schnitzler versuche.

Sie spielten den Hofreiter im „Weiten Land“ hervorragend!

Maertens: Das sagen Sie! Manche sehen das aber anders. Die wollen einen Österreicher. Das verstehe ich auch. Aber jetzt, in den „Letzten Tagen“, darf ich die Österreicher überheblich behandeln. Das bringt Spaß, ist aber nur eine Facette. In meiner Figur deutet sich vieles an, auch der aufkommende Nationalsozialismus. Und Dörte Lyssewski ist als Schauspielerin meine Frau: Sie treibt mich immer an. Nach außen hin tue ich so, als hätte ich alles im Griff. Aber im Grunde ist mir alles zu viel. Man merkt, dass sie der Motor ist. Das erinnert ein wenig an Lady Macbeth.

Stockinger: Es gibt also nicht nur Geschichtsunterricht, sondern auch kulinarische Aspekte.

Maertens: Denn gleichzeitig habe ich ein Verhältnis mit Frau Schalek!

Stockinger: Erzähl doch nicht so viel! Wir geben uns wirklich Mühe, diesem ersten Doku-Drama der Theatergeschichte in drei Stunden irgendwie gerecht zu werden.

Die Halle auf der Pernerinsel hat keine Drehbühne, keine Seitenbühnen. Die unterschiedlichen Dimensionen waren zum Beispiel bei „Ingolstadt“ ein Problem. Denn das Bühnenbild musste in die Breite gezogen werden. Wie ist das heuer?

Stockinger: Wir haben ein offenes Bühnenbild, das Publikum sieht unsere Umzüge und Auftritte. Also: Die Inszenierung ist für Hallein konzipiert, aber Pařízek hat immer auch das Burgtheater im Hinterkopf!

Maertens: Ich bin eigentlich ein Gegner von Koproduktionen. Ein Festival wie die Salzburger Festspiele müsste in der Lage sein, etwas eigenständig zu produzieren – so wie das früher der Fall war. Es ist auch ein bisschen absurd, dass man die gleiche Produktion ein paar Wochen später um den halben Preis in Wien sehen kann. Aber wir beschweren uns nicht, ich bin sehr gern in Salzburg.

Noch immer? Sie durften ja nur für ein Jahr der Jedermann sein.

Maertens: Es herrscht wieder Friede, Freude, Eierkuchen! Absolut!

Wäre die Buhlschaft eine Rolle für Sie, Frau Stockinger?

Stockinger: Nein. Für meinen Vater wäre es die Erfüllung seines Lebenstraums für mich. Aber mich interessiert der „Jedermann“ nicht wirklich. Das hat nichts mit der Größe der Rolle zu tun.

Und wie geht es mit Ihnen weiter?

Stockinger: Ich mache mit Lucia Bihler „Glaube, Liebe, Hoffnung“ von Ödön von Horváth.

Maertens: Und ich arbeite wieder mit Simon Stone: Auf „Komplizen“ folgt nun „Das Ferienhaus“ – mit mehreren miteinander verzahnten Dramen von Henrik Ibsen. Da freu ich mich wahnsinnig drauf. Simon Stone ist weltweit derart gefragt, ein erstaunlicher Regisseur! Es ist gar nicht so leicht, ihn zu kriegen. Toll, dass er wieder hier inszeniert!

Gibt es auch ein gemeinsames Projekt?

Stockinger: Einen Film, er kommt nächstes Jahr ins Kino. Sebastian Brauneis hat eine schwarze Komödie über das Arbeitsmarktservice gedreht – und der heißt daher „AMS“. Ich spiele eine Sachbearbeiterin.

Maertens: Und ich war, weil ich neugierig war, was sie so macht, bei den Dreharbeiten. Da wurde mir eine Statistenrolle angeboten.

Stockinger: Dadurch haben wir zumindest eine gemeinsame Szene!

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