"Jedermann" vor dem Salzburger Dom: Ein Prahlhans lernt Demut

Fast war es Lästerung. Punkt 21 Uhr erschien Robert Carsen auf der Bühne vor dem Salzburger Dom. Es gäbe ein Risiko, dass es heute (also am Samstagabend) noch regnen könne. Aber man entschied sich, die Wiederaufnahmepremiere seines „Jedermanns“ nicht ins Große Festspielhaus zu verlegen. Und so bat der kanadische Regisseur, dass jeder beten möge – egal zu wem.
Aber bei einer derart gottgefälligen Inszenierung: Was soll da schon passieren? Das Wetter brachte sich sogar hoch dramatisch ein: Beim Fest des stinkreichen Manns, wenn sich das Unvermeidliche ankündigt, ließ es die Tischtücher gar bedrohlich flattern. Den Koksern, die sich gerne eine Line gezogen hätten, machte es einen Strich durch die Rechnung. Später glaubte man von der Ferne ein Donnergrollen zu vernehmen. Und man bangte nicht nur mit dem Jedermann, dass er seinen Seelenfrieden finden möge: Man bangte auch um sich, sah sich bereits pitschnass mit zweitausend anderen im Regen stehen.
Doch Papperlapapp: Nach nur Eindreiviertelstunden konnte jeder und jede die Lehr‘ aus dem köstlich Dargebrachten aufspüren. Spürbar ergriffen, applaudierte man zunächst zögerlich, um dann stehend Ovationen zu geben. Ja, das war ein packender Abend geworden.
Gegenüber 2024 dürfte sich nicht Wesentliches geändert haben. Aber der Unterschied zur Fernsehübertragung (die KURIER-Kritik vor einem Jahr schrieb ja Georg Leyrer) ist doch erstaunlich. Denn im Film sieht man die Umbauten nicht wirklich. Aber von der Tribüne auf dem Domplatz überblickt man alles.

Doch Carsen ist ein Magier. Er lenkt mit Dialogen und Konstellationen ab oder in eine bestimmte Richtung – und währenddessen ändert sich das Setting (von Carsen zusammen mit Luis F. Carvalho). Das ist tatsächlich raffiniert. Denn auch wenn man aufpasst wie ein Haftlmacher: Plötzlich hat sich, wenn es ans Sterben geht, an der Rampe ein Grab aufgetan – mit massiver, zur Seite geschobener Platte.
Zu Beginn glaubt man beinahe, als gäbe es gar keine eigene Bühne, als läge das riesige Feld aus eng verfugten Marmorplatten immer vor den drei Toren des Doms. Nur am schrägen Handlauf, der seitlich grotesk niedrig entspringt, erkennt man die Schimäre. Schon recht bald rollen die dienstbaren Geister über die gesamte Fläche den Rasen aus – in Windeseile. Und wie von Zauberhand wachsen sich Koniferen zu Obelisken aus, um die Heiligenstatuen zum Verschwinden zu bringen. Denn das Gotteshaus ist Jedermanns Palast.

Und sein Besitzer ein Prahlhans. Philipp Hochmair hat die Rolle vielleicht nicht bekommen, weil er ein derart exzellenter Charakterdarsteller ist, aber er verkörpert einfach das, was den Jedermann der Gegenwart auszeichnet, der mit Geld um sich wirft, aber für die Bettlerin nur eine Münze übrighat. Ja, Hochmair ist selbstsüchtig und er liebt den Adrenalinkick: Dass er bei seinem ersten Auftritt derart ins Publikum lacht, weil ihm einfach die Atmosphäre taugt, steht wohl kaum im Konzept von Robert Carsen.
Wenn Jedermann Selfies von sich samt dem schicken Mercedes-Goldcabrio macht, dann deckt sich das mit der Person Hochmair. Aber man muss dem Schauspieler zugutehalten: Er fügt sich eisern den Regieanweisungen, auch er spricht überdeutlich (insgesamt ein Atout!), und er steckt zurück. Die Showbühne hat er zumeist anderen zu überlassen. Dem dicken Vetter des Lukas Vogelsang zum Beispiel, der als schräger Entertainer „Live Until I Die“ von Clay Walker zum Besten gibt. Oder dem Mammon, neureich-peinlich herausgeputzt wie er, der mit all den nur geliehenen Werten – Ikonen der Kunstgeschichte, Koffer mit Geld – im E-Mercedes davonsurrt: überlegen breit grinsend, als sei Kristof Van Boven der Joker.

Gegenüber dem Schuldknecht (Arthur Klemt) und dessen Weib (Nicole Beutler), die im Blitzlichtgewitter der Sensationspresse stehen, spielt er den Macker, aber gegenüber seiner Buhlschaft ist dieser Jedermann eher ein Jammerlappen. Ihre Überlegenheit bringt Deleila Piasko weniger mit vorgegebenen Worten zum Ausdruck, aber sie umgarnt den Bräutigam gekonnt. Und beim Tango führt sie knallhart.
Carsen, der bloß ein wenig gestrafft hat, aber nicht bei der Opulenz, dürfte sich die Weisheit „Never change a winning team“ zu Herzen genommen haben: Andrea Jonasson hat als moralisierende Mutter nur einen (starken) Auftritt, Dominik Dos-Reis betört wieder als sanfter Tod im Ministranten-Gewand, und Christoph Luser, wahrlich kein guter Gesell!, begeistert erneut als Funken sprühender Iggy-Pop-Teufel mit knallroten Pupillen.
Neu im Ensemble sind lediglich Juliette Larat (als Glaube) und Kathleen Morgeneyer (als armer Nachbar und Werke). Anders als bei Hugo von Hofmannsthal begleiten beide den Jedermann, der Demut gelernt hat, in den Tod. Das Bild verweist auf Darstellungen von Jesus am Kreuz - mit zwei betenden Marias zu Füßen. Langsam geht das Licht in den Fenstern der Fassade aus, Carsen spart nicht mit Pathos. Sei’s drum: Larat und Morgeneyer berühren – und auf dem gesamten Domplatz ist es mucksmäuschenstill.
KURIER-Wertung: 4,5 Sterne (von 5)
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