"Jedermann" Philipp Hochmair: "Nur in Salzburg zu sitzen würde mich verrückt machen"

Jüngst beim Proben in Salzburg: Ein Buch versucht, dem Textbeschwörer Hochmair (51) näherzukommen.
Die deutsche Autorin Katharina von der Leyen kannte Philipp Hochmair noch nicht, als er in München eines Abends „von irgendwo her“ auftauchte, wie sie schreibt, „barfuß und nur unvollständig bekleidet mit Hose zwar, aber nacktem Oberkörper“. Dann habe er mit „sehr präzisem Diener“ überzeugt – und seiner wuchtigen Rave-Version von Schillers Balladen. Daraus sei eine „komplizierte Freundschaft“ entstanden und die nun vorliegende Biografie, in der sie sich dem oft als Bühnentier und Textbeschwörer titulierten Schauspieler annähert.
KURIER: Es gab schon mehrere Anläufe für eine biografisches Buch. Warum?
Philipp Hochmair: Der Verlag hatte mir schon einmal eine Biografie angeboten, die war auch mehr oder weniger fertig. Ich war damit unzufrieden. Aber zumindest der Titel hat mir gefallen: „Eigentlich gibt es mich gar nicht“. Das Buch ist dann nie erschienen. Sechs Jahre später heißt das jetzige Buch „Hochmair, wo bist du?“ Das ist doch eine ganz gute Chronologie.
Was bedeutet der Buchtitel für Sie?
Hochmair: Es ist metaphorisch gemeint, dass ich mich immer zwischen verschiedenen Rollen befinde, mich selbst permanent suche. Für mich ist das eine Lebensfrage. In meinen Aufführungen beschwöre ich zu Beginn die Autoren, indem ich sie rufe: „Schiller, wo bist du?“ Aus dieser voodoo-artigen Sehnsuchtsfrage ist eine Frage an mich selbst geworden.
Wie war die Arbeitsweise?
Katharina von der Leyen: Die meiste Zeit bin ich mit flatternden Ohren hinter ihm her gerast. Und dann haben wir in diesem ganzen Tohuwabohu, vor allem letztes Jahr in Salzburg, Zeitinseln gefunden, in denen wir uns mit den verschiedenen Lebensthemen auseinandergesetzt haben. Und das war schwierig, aber Philipp hat sich auch an diesen Prozess gewöhnt.
Die Beziehung zu den Eltern wird im Buch als nicht so einfach beschrieben ...
von der Leyen: Ich kenne niemanden, der eine einfache Kindheit hatte – selbst wenn Eltern alles tun für ihre Kinder. Kunst entsteht aus der Not, nicht aus dem Überfluss. Die Eltern waren wahnsinnig damit beschäftigt, diese Kinder gut großzuziehen und haben sich möglicherweise ein bisschen zu wenig darum gekümmert, wer sie in Wirklichkeit waren. Als Philipp als Butohtänzer verkleidet mit geschorenem Kopf zum Abendessen erschien, hat der Vater nicht gefragt, „Wieso siehst du so aus?“, sondern nur gesagt: „Bitte setz dich so hin, dass ich das nicht sehen muss.“

Schon früh theatralisch mit dem jüngeren Bruder (li. oben), das künstlerische „Coming-out“ folgte mit einer „Totentanz“-Rezitation in der Schule. Hochmair stieg dabei laut einer Schilderung im Buch auf den Tisch.
Wie war für Sie dieser Rückblick in die Kindheit und Jugend?
Hochmair: Sehr wichtig. Ich bin ja ständig unterwegs und meine Wohnungen sahen daher ziemlich überfüllt aus. Daher habe ich jemand engagiert, der professionell aufräumt. So etwas hat Katharina auch mit meinem Leben gemacht. Sie hat mein Leben ein bisschen sortiert und aufgeräumt und das schafft jetzt eine ganz andere Ruhe in mir selbst. Ich hätte das alleine nicht geschafft und hätte mir für solche Reflexionen überhaupt keine Zeit genommen.

Lebensstationen: Hausruckviertel, Ottakring, Bühnenwelt.
Sind die vielen Ortswechsel ein weiterer Aspekt des Buchtitels?
Hochmair: Freud hat gesagt: „Berufswahl ist Symptomwahl“ – und das ist ein Symptom meiner Lebensform, ja.
Wie blicken Sie zurück auf den großen Theatermenschen Claus Peymann, der gerade verstorben ist?
Hochmair: Er hat mich sehr geprägt. Ich bin in Wien groß geworden, und er arbeitete dort genau in der Phase, in der ich Theater zu lieben begonnen habe. Davor empfand ich es als fremd und verstaubt, aber er hat etwas völlig Neues gebracht. Ich habe auch sehr genossen, wie viel Energie er in diese Stadt gepumpt hat, dass da so viel Wind ums Theater gemacht wurde. Theater war plötzlich ein Energiezentrum. Und nicht diese heilige Bildungsinstitution, wie ich es als Kind erfahren habe, wo man ordentlich angezogen hingehen musste.
von der Leyen: Ich glaube, Philipp hat seine Unerschrockenheit von Leuten wie Peymann gelernt. Er ist der geistige Sohn dieser Generation von Regisseuren. Die haben unglaublich provoziert, polarisiert und hatten überhaupt keine Angst vor den Reaktionen. Verglichen mit diesen Leuten, von denen es nur noch wenige gibt, ist Robert Carsen („Jedermann“-Regisseur in Salzburg, Anm.) natürlich kein Provokateur, er macht phänomenales Entertainment in Broadway-Manier. Da aber Philipp von Leuten wie Peymann geprägt wurde, ist es für ihn schwer, mit so einem detailbesessenen Powerpoint-Genie zusammenzuarbeiten.

Autorin Katharina von der Leyen.
Wenn Sie jetzt mehrere Wochen in Salzburg verbringen, wie gelingt es Ihnen, Ihre Art zu leben beizubehalten?
Hochmair: Wenn ich einen Tag nicht spiele, trete ich woanders auf. Es gibt vielleicht drei Tage, an denen ich gar nicht spielen werde. Das ist wie ein Dynamo. Wenn ich am nächsten Tag den „Hagestolz“ in Worms spiele, dann wird das aufgeladen von „Jedermann“ und „Hagestolz“ lädt dann wieder „Jedermann“ auf. Es würde mich verrückt machen, einfach in Salzburg zu sitzen und zu warten, wie der Sommer ins Land zieht.
Ihr Vertrag für den Salzburger „Jedermann“ läuft bis 2026. Wie lange wollen Sie diese Rolle, auch als „Jedermann reloaded“, spielen?
Hochmair: Noch 100 Jahre? So lange gibt es den „Jedermann“ schon in Salzburg. Es gibt sicher bald Möglichkeiten, das Leben zu verlängern. (lacht)
von der Leyen: Philipp baut auf Anti-Aging. (lacht)
Sie haben fürs Buch alternative Titel formuliert. Welcher davon wäre Ihnen der Liebste?
Hochmair: „Das OberÖsterreichExperiment“.
Warum?
Hochmair: So nehme ich mein Leben wahr. Aus einem kleinen Dorf in Oberösterreich stammend, in die Welt hinauszufahren und mich zu fragen: Hochmair, wo bist du?

Katharina von der Leyen, Philipp Hochmair: „Hochmair,
wo bist du?“ Brandstätter Verlag. 256 Seiten. 26 Euro.
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