Ende 2019 musste Manker die sogenannte Serbenhalle von Wiener Neustadt verlassen. Heuer bespielt er die Alte Remise Meidling, 1907 für die Badner Bahn errichtet, inmitten einer öden Geröllhalde. Denn auf dem Gelände entsteht das „Wohnquartier Wolfganggasse“. Kaum ein anderer Schauplatz könnte die Schlachtfelder eindrucksvoller symbolisieren – zumal neben der Kirche Maria Empfängnis soeben ein Haus abgerissen wird. Es wirkt wie ausgebombt.
Das Drama beginnt aber in der Halle – um Punkt 18 Uhr wieder mit dem bombastischen „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss, untermalt von höchst unheilvoll klingendem Brummen.
Der Soundtrack erschlägt einen fast. Denn die Halle, die mit ihrem Dachstuhl aus Holz und einer längslaufenden Galerie aus Stahl besticht, ist viel kleiner als jene in Wiener Neustadt. Es fehlt daher die – unter normalen Umständen notwendige – Weitläufigkeit. Und es gibt keine klar voneinander abgegrenzten Schauplätze: Sie gehen mehr oder weniger fließend ineinander über. Manker konnte auch nur einen Bruchteil des Fundus, den er zunächst für das Simultandrama „Alma“ und in der Folge für „Die letzten Tage“ angehäuft hat, unterbringen. Der Rahmen ist also, wiewohl beeindruckend, ein weit intimerer. Dass daher in Zeiten von Corona die Besucherzahl auf 120 reduziert werden musste, liegt nahe.
Aber man kann es nicht hoch genug bewerten, dass Manker trotzdem spielt. Und dass sein 23-köpfiges Ensemble sechseinhalb Stunden tatsächlich das Letzte gibt, wenngleich die Masken mitunter nur Showcharakter haben. Denn die Schauspieler wurden natürlich mehrfach getestet, von ihnen dürfte keine Gefahr drohen. Aber vielleicht vom Publikum?
Der Impresario, der nicht nur sein Team, sondern auch die Zuschauer herumdirigiert („Abstand halten!“), hat die Wege zwischen den Szenerien minimiert: Man bleibt mitunter einfach eine Stunde auf seinem Platz sitzen – und muss nur den Kopf wenden.
Zunächst defilieren die Passanten im Mittelschiff der Halle (als Ringstraßenkorso) vorbei – und die Zeitungsausrufer drücken einem die Extraausgabe in die Hand: „Ermordung des Thronfolgers! Da Täta vahaftet!“
Manker gelingen unter diesen besonderen, seinem Konzept an sich zuwiderlaufenden Umständen erstaunlich flüssige Übergänge. Es brennt zwar kein Sarajevo-Schriftzug, aber man fährt wieder mit der Diesellok hinaus. Es gibt Nebelschwaden, Feuerschalen, Fackeln, Finsternis und großes Spektakel mit passender Beschallung (von Luigi Cherubini, Goran Bregovic, Jozsef Kiss, Leonard Bernstein). Und der „Turmwagen“ rollt mehrfach durch die Halle – etwa als Triumphwagen des deutschen Kaisers oder als Katafalk.
Alles wird abgehandelt: der Jubel der Kriegstreiber, die Ereignisse an der Front, die Geschäfte der Wucherer, die Not der Bevölkerung, das Chaos in der Bürokratie.
Trotzdem vermag Manker zu überraschen. Nicht, weil die Rolle der zunächst sensationsgeilen, später nachdenklichen Berichterstatterin Alice Schalek (Iris Schmid) noch einmal aufgewertet wurde. Auch nicht, weil er etliche „Deutsche“ engagiert hat, um die „Piefke“-Szenen glaubwürdig gestalten zu können (das Vorhaben, in Berlin zu spielen, musste auf 2021 verschoben werden). Sondern weil er viel stärker auf brutale Kontraste setzt. Und weil er mehr als bisher Musik einsetzt. „Die letzten Tage der Menschheit“ werden phasenweise zur bizarren Revue – inklusive Wienerliedern, Kaiserhymne und den Saufgesängen der Burschenschafter, die auch noch die siebte Million schaffen wollen.
Manker selbst tritt nur kurz als Major Bambula in Erscheinung; den Nörgler, das Alter Ego von Karl Kraus, hat er komplett gestrichen. Zu bestechen vermögen u. a. Henry Arnold, Okan Cömert, Michael Jamak, Ralph Saml und Gerhard Swoboda in einer Vielzahl von Rollen. Sowie Benedikt Haefner, der als Irrsinniger die Wahrheit spricht: Er prophezeit schon bald ein „verkrüppeltes Österreich“.
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