Wodka und Zigaretten
Gitte ist hochschwanger, Mutter dreier vernachlässigter Kinder und alkoholkrank. Ihr zuzusehen, wie sie mit hochschwangerem Bauch Zigaretten raucht und Wodka kippt, ist ganz schön schwierig.
Doch zumindest, was den Schwangerschaftsbauch anbelangt, war das Spiel einfach, grinst Stockinger: „Die Schwangerschaft musste ich gar nicht erspielen, weil der Spielbauch auf mich angepasst wurde und sich tatsächlich sehr angenehm angefühlt hat.“ Und was die Alkoholsucht ihrer Figur anbelangt: „Es gibt viele Frauen, die alleine oder mit einer Suchtproblematik in eine Schwangerschaft hineingehen. Doch in der Gesellschaftsschicht, in der wir uns bewegen, nehmen wir das gar nicht wahr. Ich habe Freunde, die in karitativen Einrichtungen arbeiten, die schildern können, was passiert, wenn Armut und Überforderung aufeinandertreffen. Für uns ist es schockierend, weil Gitte raucht und trinkt, aber sie hat keinen anderen Umgang mit Belastung und Stress gelernt als Verdrängung durch Alkohol.“
Deswegen war es ihr beim Spielen ganz besonders wichtig, „diese Frau nicht zu verurteilen“: „Das wäre sonst so, als würde ich eine Person vorführen. Man muss sich einer Rolle mit so viel Empathie als möglich nähern.“
Tatsächlich neigt man beim Zusehen dazu, ein Gefühl von moralischer Entrüstung zu verspüren, und tut sich schwer, Gitte nicht zu bewerten. „Mir würde es ähnlich gehen“, ist Marie-Luise Stockinger ehrlich überzeugt: „Ich ertappe mich oft dabei, wie schnell man am Verurteilen ist. Wenn ich mich durch Wien bewege und irgendwelche Szenen beobachte, und so was denke wie: ,Die passt aber nicht gut auf ihre Kinder auf!’, bin ich im nächsten Moment richtig wütend auf mich. Ich habe ja überhaupt keine Ahnung über deren Lebenssituation und Probleme! Wenn also der Film diesen Impuls auslöst, dass man verurteilen möchte, dann aber doch innehält, fände ich das ganz toll. Denn dann schulen wir uns in Empathie.“
Kein Elendstourismus
Und eines wollte sie unter allen Umständen vermeiden: „Dass es so rüberkommt, als würde eine Schauspielerin vom Burgtheater vorführen, wie es einer armutsgefährdeten, suchtkranken Mutter irgendwo im Wiener Speckgürtel geht. Das wäre mir dermaßen zuwider.“
Konkrete Vorbilder für Gitte hatte Marie-Luise Stockinger keine, aber zu „jeglicher Vorbereitung“ schaue sie sich „wahnsinnig gerne ,Alltagsgeschichten‘ von Elizabeth T. Spira an, weil es so ein Sammelsurium an interessanten Rollen und Menschen bietet.“ Auch Dokus und Talkshows gehören dazu: „Ich schaue, wie die Leute reden. Im Schauspiel ist alles Nachahmung. Wir alles tricksen und schauen ab. Wie wir es dann spielen, ist dann die Originalmischung.“
Fan von Dialekten
Am Burgtheater spricht man bekanntlich das viel gerühmte „Burgtheater-Deutsch“ – doch das hat Marie-Luise Stockinger für ihre Rolle in „GINA“ gleich einmal abgelegt: „Ich bin ein totaler Fan von Dialekten“, so die geborene Oberösterreicherin begeistert: „Ich pflege beispielsweise mit meinen Cousins und Cousinen das Hobby, die tiefsten, oberösterreichischen Dialektwörter auszugraben. Und es war Ulrike Kofler sehr wichtig, dass wir so reden, wie man im Wiener Speckgürtel redet. Der Dialekt, den ich im Film spreche, ist nicht mein Dialekt. Aber auch da habe ich wieder Talkshow und ,Alltagsgeschichten‘ als Inspiration genommen.“
Ein großes Thema in „GINA“ ist der Begriff des Schicksals, das man in seine eigenen Hände nehmen muss: „Ich glaube überhaupt nicht an Schicksal und finde den Begriff auch gruselig. Die Vorstellung, dass man keine eigene Wirkungsmacht im Leben hat, ist erschlagend.“
Sie selbst hat jedenfalls ihr Schicksal sehr erfolgreich in die Hand genommen: „Einmal war ich echt mutig, als ich damals mit 18 an der Schauspielschule des Reinhardt-Seminars vorgesprochen habe. Und seitdem ...“
Seitdem ist sie – ab dem Alter von 22 – am Burgtheater engagiert. Doch Marie-Luise Stockinger liebt das Kino. Dank des Non-Stop-Kino-Abos geht sie noch öfter als sonst: „Manchmal sogar zwei Mal am Tag, wenn es die Zeit zulässt.“ Ihr nächstes Kinoprojekt steht auch schon fest: „AMS – Arbeit muss sein“ unter der Regie von Sebastian Brauneis: „Darin spiele ich eine furchtbare Sachbearbeiterin für Menschen auf Arbeitssuche. Das wird eine ziemlich schwarze, systemkritische Komödie.“ Trotzdem sei sie Dramen ganz besonders zugeneigt, sagt sie und lacht: „Ich muss ehrlich sagen, ich mag gern harten Stoff.“
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