Malewitsch und Maidan: Über die politische Kraft von Kunst
Der Krieg gegen die Ukraine lässt niemanden kalt. Auch in Russland nicht. Viele würden Stellung beziehen, verbeißen sich aber einen Kommentar. Weil niemand eine Insel ist: Jeder hat Familie. Und wer sich nicht fügt, dem droht, was dem Regisseur Kirill Serebrennikow, jahrelang in Hausarrest, widerfahren ist. Dies könnte man hierzulande mitbedenken, bevor man russische Künstler ächtet oder mit Auftrittsverbot belegt.
Und wer Mut zur Distanz vom Regime einfordert, sollte sich zurückerinnern: In der NS-Zeit waren nicht alle Nazis, aber viele haben sich als Schutzschirm das Hakenkreuz an den Kragen geheftet.
Mit Zeichen der Zustimmung arbeitet auch Wladimir Putin. Zum Beispiel mit dem Buchstaben Z, obwohl es ihn gar nicht im kyrillischen Alphabet gibt. Man bezeichnet den Einsatz gegen die Ukraine als „Operation Z“; das „Z“ sei eine Abkürzung der russischen Wortkombination „für den Sieg“. Und unter den Buchstaben, mit denen russische Panzer markiert sind, ist auch das Z, manchmal in ein Quadrat eingeschrieben.
Schwarz und Orange
Verbreitet ist zudem das Sankt-Georgs-Band, das als militärisches Abzeichen bereits im Zarenreich und später als Erkennungszeichen russischer NS-Kollaborateure verwendet wurde. Es setzt sich aus drei schwarzen und zwei orangen Streifen zusammen. Nun dient es als Zeichen der Unterstützung für den Kurs von Putin – und die „Intervention“ in der Ukraine.
Das Band hat schon im Winter 2013/’14 Bedeutung erlangt, als man in Kiew für die Hinwendung zur EU auf die Straße und auf den zentralen Platz der Unabhängigkeit, kurz Maidan genannt, ging: unter jenen, die mit Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorgingen.
Aber nicht alle tragen – manipuliert, gezwungen, aus Überzeugung – das Georgsbändchen. Es gibt Furchtlose, denen es trotz der Staatsmacht ein Anliegen ist, sich gegen den Brudermord auszusprechen: Mit den Wörtern „Kein Krieg!“ – oder Punkten statt der Buchstaben. Oder sie verwenden Symbole.
Kürzlich wurde in einer Zeitschrift für russische Kultureinrichtungen (von Museen und Theatern über Bibliotheken bis zu Schulen) namens „Aktion Kultur“ eine Richtlinie über „Digitale Hygiene“ veröffentlicht, quasi eine Anleitung zur Selbstzensur in sozialen Medien. Denn die Generalstaatsanwaltschaft und der Föderale Dienst für die Aufsicht im Bereich der Informationstechnologie und Massenkommunikation, kurz Roskomnadsor, würden alles kontrollieren, was vom Staat subventionierte Organisationen im Netz publizieren. Roskomnadsor kann z. B. Internetseiten blockieren lassen und auch Verstöße gegen das Verbot des Fluchens ahnden.
Den Mitarbeitern der Kultureinrichtungen wird daher nicht nur nahegelegt, alle drei Stunden die Infrastruktur zu kontrollieren, da Oppositionelle Botschaften aufgeklebt haben könnten.
Blau und Gelb
Man solle keine Bilder vom Krieg (selbst wenn sie verschwommen sind) veröffentlichen – und keine Symbole, die doppeldeutig sein könnten, darunter Fahnen ander Staaten (wie jene der Ukraine?) oder stilisierte Vögel.
Doch nicht nur Tauben und die Farben Blau/Gelb bringen die Zensurbehörden zur Raserei. Eindringlich rät man: „Veröffentlichen Sie keine schwarzen Quadrate!“
Schwarze Quadrate? Weil Kasimir Malewitsch mehrere schwarze Quadrate auf weißem Grund gemalt hat?
Auch wenn sein erstes „Schwarzes Quadrat“ bereits 1913 entstanden ist: Als Geburtsstunde gilt die Eröffnung einer Gruppenausstellung mit abstrakter Kunst Ende 1915 in der Galerie Dobytschina von Petrograd, wie St. Petersburg damals hieß. Denn „der russische Künstler Kasimir Malewitsch (1878 – 1935)“ präsentierte, so war zum 100-Jahr-Jubiläum im KURIER zu lesen, erstmals ein „Schwarzes Quadrat“.
Es markiert, wie Kollege Georg Leyrer bereits 2013 ausgeführt hat, einen radikalen Endpunkt. Ziel war nicht länger die möglichst realitätsnahe Darstellung von Wirklichkeit, Malewitsch ging es mit der Reduktion auf das Notwendigste um die Überwindung der Welt: „Diesen Erlösungsgedanken durch die Kunst hatte er sich beim pessimistischsten aller Philosophen, Arthur Schopenhauer, angelesen. Denn die Welt lügt, so der Gedanke, und die Malerei lügt noch viel mehr: Sie bietet nur schöngefärbte Täuschungen, die noch dazu Machthabern dienen sollten. Nichts davon aber ist real. Damit war es nun zu Ende.“
Schwarz auf Weiß
Längst ist das „Schwarze Quadrat“ eine Ikone – in der Ausstellung 1915 hing es auch als eine solche. Und es hängt in Moskau in der Tretjakow Galerie. Was also hat Putin gegen das Quadrat?
Ganz einfach: Malewitsch wurde 1878 in eine polnische Familie geboren – in Kiew. Er bezeichnete sich als Pole oder Ukrainer. Sein erstes Quadrat malte er 1913 – und 100 Jahre später protestierten die Ukrainer auf dem Maidan. Pavlo Klimkin, von 2014 bis 2019 Außenminister, setzte das „Schwarze Quadrat“ als „Revolutionspunkt in der Kunst, an dem ein grundlegender Paradigmenwandel erfolgte“, in Analogie zu den Ereignissen, die ebenfalls zu einem Paradigmenwechsel führen würden. „In diesem Zusammenhang ist es symbolisch, dass gerade das ,Schwarze Quadrat‘ zu einem Trauersymbol auf Millionen Facebook-Seiten wurde, als auf dem Maidan die Menschen getötet worden waren.“
Leider, leider stimmt es nicht ganz mit dem „grundlegenden Paradigmenwechsel“: Malewitsch fiel unter Stalin in Ungnade – und durfte still zur gegenständlichen Malerei zurückkehren. Möge dies keine Analogie nach sich ziehen.
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