"Mahagonny": Zahme Kapitalismuskritik

"Mahagonny": Zahme Kapitalismuskritik
Kritik: Die Premiere von Kurt Weills "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" an der Wiener Staatsoper begeistert musikalisch und enttäuscht szenisch.

Von der Uraufführung der Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", 1930 in Leipzig, wird berichtet, dass es Besucher gegeben hätte, die gleichzeitig applaudierten und heftig protestierten (siehe Begleittext von Jean-Claude Hemery zur Platte aus dem Jahr 1956 mit Weills Frau Lotte Lenya als Jenny, der besten Aufnahme dieses Werkes). Damals war es eine Mischung aus Ratlosigkeit und Begeisterung, die die Musik von Kurt Weill, bestehend aus klassischen und radikal neuen Opernelementen sowie Swing-, Jazz, Fox- und Tango-Einflüssen, hervorrief.


Heftig applaudieren und gleichzeitig den Kopf schütteln – diese Reaktion passt auch zur Erstaufführung dieses längst als bahnbrechend anerkannten Werkes an der Staatsoper. Wenn auch aus völlig anderen Motiven: Die massive Zustimmung gilt der musikalischen Gestaltung durch das grandiose Staatsopernorchester und manchen Sängerleistungen; der ebenso starke Protest der szenischen Umsetzung.

Philharmonischer Swing

Ingo Metzmacher und die Musiker des Staatsopernorchesters, denen zuzuschauen diesmal besonders Freude machte, weil manche zwischendurch körperlich mitshakten oder begeistert auf die Sänger blickten – sie setzten die Partitur von Weill farbenprächtig, mathematisch präzise, tänzerisch, dann wieder höchst dramatisch um. Wenn man dem Dirigenten einen Vorwurf machen kann, dann den, dass er manche Ecken, Kanten, Schärfen zu sehr glättete.


Aus der sehr guten Besetzung ragte Christopher Ventris heraus. Der Heldentenor sang die Partie des Jim Mahoney, der zum Tode verurteilt wird, weil er seine Rechnung nicht bezahlen kann, mit großer Kraft und lyrischer Schönheit: ein echter Tannhäuser in einem Weill-Werk – so muss man diese Oper besetzen. An seiner Seite überzeugten weitere Wagner-gestählte Protagonisten: Tomasz Konieczny, der Wotan und Alberich, diesmal als Dreieinigkeitsmoses, Norbert Ernst, der David, als Jack O’Brien, Herwig Pecoraro, der Mime, als Fatty. Und ein anderer ehemals grandioser Mime, Heinz Zednik, durfte leider nicht singen, gab aber als Sprecher hinreißend einen grantigen Bühnenregisseur. Clemens Unterreiner holte sich als Bill Applaus (ebenso wie der Chor).

Kulman begeisterte

Bei den Damen begeisterte Elisabeth Kulman als Leokadja Begbick mit großer Ausdruckskraft und mächtiger Tiefe, während Angelika Kirchschlager im Zwischenfach der Jenny Hill, angesiedelt zwischen Chansons und Operngeste, von ihrer Bühnenpräsenz profitierte – die Kostüme von Vanessa Sannino, die u. a. von Otto Dix inspiriert schienen, waren zumindest für sie hinderlich.


Problematisch für die Kapitalismuskritik von Weill und Brecht, die anhand der Stadt Mahagonny die alleinige Macht des Geldes anprangern, gestaltete sich die Inszenierung von Jérôme Deschamps. Der Regisseur bezieht sich zwar auf Brechts episches Theater, ist aber in der da geforderten Nüchternheit nicht konsequent, sondern behübscht die Geschichte immer wieder zu Tode. Steh-und Stadttheater mit plüschigen Ausritten, peinliche Effekte wie eine Windhose als Hurricane – so wird "Mahagonny" zahnlos. In seinem ästhetischen Ansatz solle Wiens Opernchef mehr Mut beweisen. Jetzt hat er ja bis 2020 Zeit.

KURIER-Wertung: *** von *****

 

Fazit: Endlich am Ring, leider zu zahm

Das Werk
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill (Text: Bertolt Brecht), 1930 in Leipzig uraufgeführt. Diese tolle Oper ist erstmals an der Staatsoper zu hören.

Der Dirigent
Ingo Metzmacher agiert am Pult des Staatsopernorchesters gut, dynamisch, swingend, etwas zu glatt.

Die Sänger
Eine feine Besetzung, Elisabeth Kulman (Begbick) und Christopher Ventris (Jim Mahoney) singen großartig.

Die Regie
Viel zu zahm.

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