"Mach doch den ,Zauberberg‘"

Thomas Jonigk inszeniert Stefan Zweigs Roman "Ungeduld des Herzens" im Landestheater St. Pölten: Moritz Vierboom, Michael Scherff, Swintha Gersthofer, Tobias Voigt (v.l.)
Regisseur Thomas Jonigk sagt, warum deutsche Bühnen Klassiker lieben und Krisen gut fürs Theater sind.

Was im Kino selbstverständlich ist, hat sich nun auch im Theater etabliert. Immer wieder liest man auf Spielplänen die Ankündigung "... nach dem gleichnamigen Roman von ...". Ob Capotes "Frühstück bei Tiffany" im Theater in der Josefstadt oder Tolstois "Anna Karenina" im Tiroler Landestheater; Virginia Woolfs "Mrs. Dalloway" im Linzer Landestheater oder Horváths "Jugend ohne Gott" im Schauspielhaus Graz: Inszenierungen von Romanen sind, neben den oft gespielten Klassikern, zu Stammgästen auf den Bühnen geworden.

Das Landestheater Niederösterreich zeigt diese Woche gleich zwei Romanadaptionen: Heute hat Robert Musils Debütroman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" in der Theaterwerkstatt Premiere, ab Freitag ist Stefan Zweigs Roman "Ungeduld des Herzens" in der Theaterfassung von Thomas Jonigk zu sehen.

Jonigk, 49, (Bild unten) debütierte 1991 als Theaterautor, 1995 wurde er zum "Nachwuchsautor des Jahres" gekürt. Nach dem Hype kam die Ernüchterung: Dem "Verlust des Status Jungautor" folgte bald die "Realität des Berufs Theaterautor" und damit zahlreiche Sinnkrisen: Doch Jonigk schreibt, im Gegensatz zu vielen Kollegen von damals, die wegen ausbleibenden Erfolgs irgendwann Job wechselten, bis heute: Theaterstücke, Hörspiele, Libretti, Drehbücher und Romane.

"Mach doch den ,Zauberberg‘"
honorarfrei
Stefan Zweig verschlang er bereits als Jugendlicher, vor wenigen Jahren entdeckte er ihn neu. "Ungeduld des Herzens" begeisterte Jonigk unter anderem wegen der differenzierten Darstellung seiner Hauptperson: "Edith, die im Rollstuhl sitzt, ist anders als das, was man sonst zum Thema weiblicher Opfer liest. In der Literatur dieser Zeit sind das oft anämische Figuren, die dekorativ leiden und dann, á la Kameliendame, hinwelken. Edith hingegen ist widerständig, nervtötend. Eine moderne Figur, die kein Klischee bedient. Das hat mir wieder enormen Respekt vor Zweig eingeflößt."

Jonigk nimmt sich bei seiner Fassung viele Freiheiten. Unter anderem löst er den Stoff aus dem zeitlichen Korsett: Er baut mit "Frau Engelmayer", gespielt von Babett Arens, eine neue Figur ein, die mehr über die Handlung weiß als die anderen. Als Spielleiterin steigt immer wieder aus dem Spielverlauf aus, um Ausblicke auf die Zukunft zu geben. Ein cleverer Trick, um den Roman auf die Bühne zu bringen. So gestaltet Jonigk ein Kammerspiel, in dem eine Erzählerin dem Publikum alle Illusionen auf ein Happy End raubt. "Ich wollte keine Kitschdramaturgie." Fasziniert hat ihn die offensichtliche Parallele zwischen der Romanwelt vor dem Ersten Weltkrieg und dem Heute: "Auch damals war man so sehr mit sich selbst beschäftigt, während auf der Welt eine Krise die nächste jagte. Und allen saß und sitzt die Angst vor dem Krieg in den Knochen. Man spürt: Es dräut etwas."

Respekt für den Roman

"Ungeduld der Herzens" ist nicht der erste Roman, den Jonigk dramatisiert: Er brachte Romane von E.T.A. Hoffmann und Gottfried Keller auf die Bühne. "Man darf das Narrative nicht verleugnen und so tun, als sei die Vorlage ein Theaterstück." Er hat deshalb immer Prosapassagen in den Stücken beibehalten – "aus Respekt dem Roman gegenüber".

Nicht jeder Roman ist für die Bühne geeignet, Jonigk hat viele einschlägige Angebote abgelehnt. Allerdings: "Die Theater bieten einem fast nur noch Romane an. Man wird selten gefragt, ob man auch ein Stück schreiben mag." Der deutsche Sprachraum sei fixiert auf Klassiker oder Romane. "Das kommt von der Sehnsucht nach den ganz großen Stoffen. Dann hört man: ,Mach doch den ,Zauberberg‘ für die Bühne‘. Meistens können die Dramaturgien dabei gar nicht benennen, was sie konkret wollen." In Israel hat Jonigk andere Erfahrungen gemacht. "In Tel Aviv ist das Publikum an neuen Stücken interessiert. Die Theater sind dort brechend voll, und es laufen zu 80 Prozent neue Texte." Warum das so ist? "In Krisengebieten sucht man nach Stoffen, die etwas mit der eigenen Wahrnehmung zu tun haben. Verunsicherte Gesellschaften fördern das Theater. Wir sind eine Luxusgesellschaft, in der man bequem geworden ist. Da sucht man eher die Wiedererkennung als die Herausforderung."

Immer mehr Theater in Deutschland würden gar keine Aufträge für neue Stücke vergeben. Jonigk leitete früher ein Autorenlabor am Düsseldorfer Schauspielhaus. Heute fehle die Unterstützung für junge Autoren. "Man müsste aus den zarten Pflanzen etwas wachsen lassen. Allerdings müssen auch die Autoren darum kämpfen. Es ist falsch, junge Autoren mit Preisen zu überhäufen. Das müsste man eher bei älteren machen, die schon bewiesen haben, dass sie wirkliche Beiträge liefern. Ich bin froh, dass es mich noch gibt. Viele aus meiner Generation machen jetzt nicht mehr Theater."

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