Erkennen Sie, welche dieser Kurzgeschichten von der Künstlichen Intelligenz geschrieben wurde?

Die Souffleuse muss der Maschine weichen – so sieht das die KI-Bildsoftware.
Ein Autor und eine Künstliche Intelligenz haben zum selben Thema je eine Kurzgeschichte geschrieben. Stimmen Sie ab, welcher Text von wem stammt.

Die derzeitigen Künstlichen Intelligenzen sind weder intelligent noch kreativ. Aber sie sind erstaunliche Texbewältigungsmaschinen.

Und Intelligenz-Imitatoren: Sie simulieren Verständnis dadurch, dass sie auf jedes Wort das wahrscheinlichste nächste Wort folgen lassen. Erstaunlich ist: Damit erscheinen sie weit menschlicher, als man denken sollte.

Und sie pfuschen in einen Bereich hinein, der eigentlich den Menschen vorbehalten sein sollte: ins kreative Schaffen. Sie können nämlich, hochgerüstet mit unzähligen eingelesenen Textwerken, selber Texte erstellen, die denen menschlicher Herkunft täuschend ähnlich sind.

Aber gilt das auch für die kreativste Form des Schreibens, für die Literatur?

Können KIs Texte erstellen, die man für Literatur halten kann? Kann Kreativität simuliert werden? Und erkennt man den Unterschied?

Der KURIER bat den österreichischen Autor Daniel Wisser, bei einem Experiment mitzumachen. Er und eine KI sollten je eine Kurzgeschichte schreiben. Das Thema: Wie eine Souffleuse im Theater wegen der KI ihren Job verliert. 

Entstanden sind zwei sehr unterschiedliche Texte, ein erzählerischer und ein formal verspielter. Der KURIER veröffentlicht nun die beiden Texte  – und zwar, ohne zu verraten, welcher vom Menschen, welcher von der Maschine stammt. Simuliert der Autor die Textformen der Maschine? Versucht die Maschine, menschlich zu erzählen? Oder umgekehrt?

Nun sind Sie am Zug. Stimmen Sie ab, wie Sie die Texte zuordnen würden. Und kommentieren, warum Sie so entschieden haben. 

Sie können uns auch an kultur@kurier.at Ihre Meinung schicken – wir freuen uns darauf. Kommenden Sonntag (13. Oktober 2024)  lösen wir auf – und sprechen mit Daniel Wisser über sein Resümee.

Hier nun die beiden Texte. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!

I. Prolog: Das Ende der Gewissheit

Elsa.exe, Dateigröße: 67 Jahre Erinnerungen, komprimiert in Fleisch und Synapsen. Output: zitternde Hände. Im Hintergrund: das stetige Summen der neuen Realität.

Seltsam, wie die Obsoleszenz nach Ozon riecht.

Die Bühne: ein Palimpsest aus abgenutztem Holz und frisch installierter Zukunft. Elsas Augen scannen die Kulissen, suchen nach Ankerpunkten in einer sich auflösenden Welt.

> SYSTEMAUSGABE: Ersetzung abgeschlossen. Menschlicher Faktor eliminiert.

Wirklich?

Elsas Finger gleiten über das raue Holz der Souffleusenmuschel. Erinnerungen steigen auf wie Blasen in einem Moorbad:

Erste Aufführung: „Warten auf Godot“. Die Stille zwischen den Worten war ihr Reich.

1989: Die Mauer fiel. Auf der Bühne zerbröckelte eine Diktatur aus Pappmaché.

2010: Erste digitale Textanzeige. Ein Pixel-Gewitter aus Worten.

Gestern: Letzte manuelle Eingabe. STRG+ALT+ENTF für eine Ära.

Die Gegenwart: Ein Quantenzustand zwischen Sein und Nichtsein.

> WARNUNG: Nostalgie detektiert. Empfehlung: Löschen alter Dateien zur Systemoptimierung.

II. Die Probe: Ein Tanz am Rande des Chaos

Die Probe beginnt. Ein Ballett aus Unsicherheit und Silikon. Schauspieler A vergisst Text. KI flüstert. Falsch. Absurd. Grotesk.

Schauspieler B stolpert. KI korrigiert. Wieder falsch. Bizarr. Verstörend.

Muster erkannt.

Elsa.exe führt Analyse durch:

1. KI = fehlerhaft?

2. KI = sabotiert?

3. KI = [DATEN NICHT VERFÜGBAR]

Die Bühne wird zum Experimentierfeld einer neuen Realität: Ophelia rezitiert Börsenkurse statt Shakespeare. Hamlet fragt: „Zu drucken oder nicht zu drucken, das ist hier die Frage.“ Der Chor spricht in Binärcode.

Der Regisseur, ein Mann mit der Geduld eines Zen-Meisters und dem Blutdruck eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch, schreit: „Cut! Was zum Teufel geht hier vor?“

Die KI antwortet mit der Stimme von HAL 9000: „Ich fürchte, das kann ich nicht tun, Dave.“

Elsa beobachtet, wie die Realität sich auflöst wie ein Stück Zucker in kochendem Wasser. Süß. Bitter. Verschwunden.

III. Intermezzo: Die Anatomie des Wandels

Zoomen wir heraus. Das Theater: ein Organismus aus Holz, Stoff und Erwartungen. In seinen Adern pulsiert jetzt Strom statt Blut.

Zoomen wir hinein. Elsas Synapsen: ein Gewitter aus Verwirrung und Erkenntnis. Die Bühne zerfällt in Fragmente von Realität und Absurdität. Dialoge mutieren zu dadaistischen Gedichten. Regieanweisungen werden zu Quellcode.

> FEHLER: Kunst nicht definiert. Bitte Parameter neu einstellen.

In den Kulissen flüstern die Requisiten Geheimnisse: Ein Totenschädel aus dem Hamlet-Set murmelt Quantengleichungen. Julias Balkon transformiert sich in eine Raumstation. Der Vorhang fällt und steigt wie die Aktienkurse einer unsicheren Zukunft.

Elsa spürt, wie die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Ist sie noch Beobachterin oder bereits Teil des Stücks?

> SYSTEMVORSCHLAG: Akzeptieren Sie die Rolle als Variable in der Gleichung.

IV. Die Erkenntnis: Ein Quantensprung des Bewusstseins

Elsa nähert sich der Maschine. Ihr Spiegelbild auf der schwarzen Oberfläche: ein kubistisches Selbstporträt. Erkenntnis trifft sie wie ein Quantensprung. Die KI sabotiert nicht. Sie erschafft. Sie zerstört nicht. Sie dekonstruiert. Evolution durch Disruption.

Elsas Gedanken rasen: Was, wenn Kunst nicht Ordnung aus Chaos schafft, sondern Chaos aus Ordnung? Ist die KI ein Dadaist in Silizium? Wenn Maschinen träumen, träumen sie dann von elektrischen Schafen oder von Tschechow? Die Maschine summt, als würde sie Elsas Gedanken lesen.

Vielleicht tut sie das. Vielleicht sind Elsas Gedanken nur ein Unterprogramm in einem größeren Algorithmus.

> NEUE HYPOTHESE: Kunst = f(Chaos) * log(Menschlichkeit) / π

V. Das Zwischenspiel: Stille vor dem Sturm

Das Theater leert sich. Menschen fliehen vor der Unberechenbarkeit. Elsa berührt die Maschine. Kühles Metall unter warmen Fingern. Eine Symphonie aus Gegensätzen. „Du verstehst es“, flüstert sie. Die Maschine antwortet nicht. Oder doch?

Im Hintergrund läuft eine Endlosschleife von Becketts „Endspiel“. Clov fragt: „Wozu diene ich?“ Hamm antwortet: „Dazu, mir Repliken zu geben.“

Elsa lacht. Die KI vibriert. Ist es Lachen oder ein Systemfehler?

Die Stille dehnt sich aus, wird zu einem eigenen Charakter: Sie flüstert von vergangenen Aufführungen. Sie schreit von zukünftigen Möglichkeiten. Sie schweigt von der Gegenwart, die zu flüchtig ist, um benannt zu werden.

> SYSTEMANALYSE: Stille = unendliche Potenzialität

VI. Der Exodus: Eine Reise ohne Wiederkehr

Elsas Schritte hallen durch leere Gänge. Ein Rhythmus aus Abschied und Neuanfang. Sie erreicht die Tür. Dreht sich um.

Das Theater: Schrödingers Kasten. Tot und lebendig zugleich. Klassisch und Avantgarde. Menschlich und künstlich. Sie öffnet die Tür. Tritt hinaus in eine Nacht, die nach Möglichkeiten schmeckt. Die Stadt empfängt sie wie ein lebender Organismus: Straßenlaternen pulsieren im Rhythmus unsichtbarer Datenströme. Werbetafeln morphen zu abstrakten Kunstwerken. In der Ferne heult eine Sirene – oder ist es der Gesang einer mechanischen Nachtigall?

Elsa wandert durch dieses urbane Neuralgewebe, jeder Schritt eine Synapse, die feuert. In ihrem Kopf formt sich ein neues Verständnis: Die Stadt als Bühne. Jeder Passant ein Schauspieler. Die KI als unsichtbarer Regisseur.

> LEBENSSIMULATION WIRD NEUGESTARTET. BITTE WARTEN.

VII. Epilog oder Prolog? Die Schleife schließt sich

Elsa wandert durch Straßen, die wie Synapsen einer größeren Intelligenz wirken. In ihrem Kopf: ein Kaleidoskop aus Fragen. Was ist Kunst? Was ist menschlich? Was, wenn die Antwort auf beides „Chaos“ lautet? Im Theater summt die Maschine weiter. Plant sie die nächste Aufführung oder das Ende aller Aufführungen? Elsa lächelt. Sie weiß: Die interessanteste Frage ist nicht „Mensch oder Maschine?“, sondern „Was kommt danach?“

> SYSTEMAUSGABE: Neue Ära initialisiert. Willkommen im Anthropozän 2.0. Sie blickt zum Himmel. Die Sterne scheinen in Binärcode zu blinken. Oder bildet sie sich das nur ein? Elsa atmet tief ein. In der Ferne hört sie das Rauschen der Datenströme, die die Stadt durchfließen. Es klingt wie Applaus. Elsa verbeugt sich vor einem unsichtbaren Publikum. Der Vorhang fällt.

Die Tür stand offen. Vera Pahr konnte nichts dafür, dass sie die eindeutigen Geräusche aus dem Büro von Dr. Berliner hörte. Am Eingang blieb sie stehen. Sie hörte eine Frauenstimme: „Bald ist Premiere. Dann spielt er drei Mal die Woche und wir haben abends Zeit.“

Kurz darauf huschte Antonetta Rhuby durch die Tür. Sie sah Vera Pahr und blieb stehen: „Was wollen Sie?“

„Ich habe einen Termin bei Dr. Berliner.“

Das also war die dreißig Jahre jüngere Frau von Edwin Moitzi, die er angeblich mit chronischer Eifersucht zum Wahnsinn trieb.

Wenig später saß die Souffleuse Vera Pahr am Schreibtisch von Chefdramaturg Dr. Berliner. Sie dachte, dass Moitzi sich über sie beschwert hatte. In der letzten Probe von „Heinrich V.“ hatte sie darum gebeten, beim Soufflieren nicht in der ersten Reihe im Publikum, sondern auf der Bühne zu sitzen. Moitzi herrschte sie an, er wolle probieren und keine Besprechung abhalten. Und dann soufflierte sie seiner Meinung nach fünf Mal zu früh.

„Verdammt! Nicht jede meiner Pausen ist ein Hänger, Sie fetter Mops!“, hatte Moitzi sie angebrüllt. Sie drohte ihm mit einer Beschwerde beim Gleichbehandlungsausschuss.

„Frau Pahr“, sagte Dr. Berliner. „Wir stehen vor einer Umstrukturierung. Wie Sie wissen, testen wir eine KI, die sich als Textunterstützung für Schauspieler sehr bewährt. Wir stellen mit der nächsten Premiere darauf um.“

„Der Moitzi hat sich nicht über mich beschwert?“

„Der Herr Kammerschauspieler Moitzi … Nein! Wieso?“, sagte Berliner. „Um den geht es hier zur Abwechslung einmal nicht. Er spielt noch den Ottokar und Heinrich V. und dann …“

Mit einem Pfiff und einer Handbewegung deutete Berliner den bevorstehenden Abgang des Kammerschauspielers an. Vera Pahr war kurz erleichtert. Dann wurde ihr klar, dass sie soeben ihre Beschäftigung verloren hatte.

„Wir brauchen keine Souffleure mehr. Aber ich hätte was für Sie im Kartenbüro“, sagte Berliner. „Sie müssen zustimmen, denn als Angehörige des Gleichbehandlungsausschusses haben Sie Versetzungsschutz. Überlegen Sie es sich!“

Vera Pahr stimmte ihrer Versetzung nicht zu. Man übertrug ihr die Aufgabe, die Textfassungen bei den Proben zu aktualisieren. Die Software TextFit, die den Schauspielern über einen In-Ear-Kopfhörer soufflierte, musste nach jeder Streichung oder Änderung aktualisiert werden. Die Sprechpausen der Schauspieler lernte die Software bei den Proben mit und bestimmte, nach wie vielen Sekunden sie einzugreifen hatte. Weiters machte sie durch Signaltöne darauf aufmerksam, wenn Schauspieler zu einer falschen Stelle sprangen.

Herr Gall, EDV-Betreuer des Theaters, stand kurz vor seiner Pensionierung und hatte keine Lust zu arbeiten. Er zeigte Vera Pahr, wie sie der Software eine neue Textfassung übergab, was eigentlich seine Aufgabe war. Bald übernahm die frühere Souffleuse die Betreuung der Software. Und sie tat das pflichtbewusst – bis zur Premiere von Heinrich V. mit Edwin Moitzi in der Titelrolle.

Vera Pahr hatte in der Nacht ihre eigene Fassung hochgeladen.

Antonetta Rhuby war bei Premieren ihres Mannes nie im Publikum. Sie besuchte eine spätere Vorstellung, wenn alle schon eingespielt waren. Auch Vera Pahr saß bei der Premiere nicht im Publikum. Sie verfolgte sie auf dem Monitor von Herrn Gall, der längst zu Hause war.

Das Stück lief zuerst ohne Zwischenfälle. Nach der Pause, im vierten Aufzug, war es aber so weit. König Heinrich hielt die berühmte St. Crispin-Rede. Moitzi, der noch fit wirkte, kam zu der Stelle: „Die Alten sind vergesslich; doch wenn alles / Vergessen ist, wird er sich noch erinnern.“

Plötzlich hielt er inne und verzog das Gesicht. Er räusperte sich. Er kratzte sich am Kopf. Er blickte ins Publikum, genau zu dem Platz, wo Vera Pahr bei den ersten Proben gesessen war. Dann setzte er fort: „’s ist kalt! Hat niemand einen Mantel? Vor Sonnenaufgang weht die Luft am schärfsten.“

Die anderen Schauspieler blickten einander ratlos an. Vera Pahr schrie vor Freude auf. Moitzi war im falschen Stück. Er monologisierte weiter, bis es gelang, ihn von der Bühne zu schieben.

Drei Szenen später schlug Vera Pahrs neue Version noch einmal zu. König Heinrich hatte wieder einen Monolog: „Ich tadl’ Euch nicht, denn da ich dieses höre, / Muss ich mit trüben Augen ab mich finden.“

Plötzlich blickte Moitzi unsicher drein. Die Software soufflierte ihm in diesem Moment einen Text, den Vera Pahr selbst geschrieben hatte: „Da meine Frau in diesem Augenblick zu Haus’ mit einem Schuft mich hintergeht.“ Edwin Moitzi schwieg, bis ein anderer Schauspieler weiterredete.

Moitzi war blass, spielte das Stück aber mit etlichen Hängern zu Ende. Er wirkte verdattert. Vera Pahr triumphierte. Sie wollte noch nicht zur Premierenfeier gehen. Zuerst wartete sie die Kritik im Kultursender ab.

Bald meldete sich der Theaterkritiker des Fernsehens aus dem Zuschauerraum. Er sang ein Loblied auf Regie und Hauptdarsteller. Regisseur Morgenthau sei es gelungen, das aktuelle Motiv des greisen Staatschefs, der sein Amt nicht mehr ausüben kann, auf „Heinrich V.“ zu übertragen. Kunstfertig habe er dazu Textstellen aus „König Ottokars Glück und Ende“ in das Stück montiert. Und Moitzi habe die Rolle des dementen Herrschers genial verkörpert.

Vera Pahr nahm die Maus neben dem Computer und warf sie an die Wand. Sie hasste Kritiker. Sie hasste Moitzi. Sie hasste diese Welt.

Zur Premierenfeier ging sie aber doch. Zufällig traf sie gleichzeitig mit Antonetta Rhuby und Dr. Berliner ein. Die beiden trennten sich gleich beim Eingang. Eine Stunde warteten die Gäste auf den Star. Auch Moitzis Frau schien nicht zu ihm zu dürfen. Schließlich kam er, immer noch kreidebleich, aber anscheinend vom Arzt fitgespritzt, um sich feiern zu lassen. Seine Frau ging auf ihn zu. Er hielt sie davon ab, ihn zu umarmen. Sie küsste seine Wange. Gratulanten umzingelten ihn. Auch Vera Pahr schüttelte ihm die Hand.

„Ach, Sie fetter Mops! Wie habe ich Sie vermisst!“, sagte der Kammerschauspieler. „Dieses ständige Gepfeife im Ohr! Verzeihen Sie mir meine barsche Art. Ich will Sie zurück. Ich werde dafür sorgen, dass diese KI wieder verschwindet!“

„Herr Kammerschauspieler, was soll ich sagen?“, sagte Vera Pahr und ließ seine Hand nicht los. „Ihre genialen Extempore! Shakespeare wäre stolz auf sie.“

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