Liddell ist in jenem Performancebereich ein Star, in dem es viel um eine Wahre-Kunst-Pose geht und darüber, sich ganz in Echt zu entäußern. Das passt schon, der Mensch ist eben ein Wesen, das hauptsächlich aus kaum in Zaum gehaltenen Flüssigkeiten besteht. Deren Hervorbrechen ist, da gibt es in der Freud-Stadt Wien keinen Widerspruch, zumeist mit Lust oder Leid verbunden (oder, natürlich, beidem). Dass das nach Außen gekehrte Innere auch Kunst-Stoff hergibt, das haben uns Nitsch und Drahdiwaberl zur Genüge gelehrt.
Liddells Vermengung von Künstlich und Echt will dezidiert an das wirkliche Leben anknüpfen; Liddell oder ihre Bühnenfigur, die aus Liddells Innenleben besteht, schimpft später etwa über den verbeamteten Kulturbetrieb in Frankreich (der, nur zur Erklärung, eine Fünf-Stunden-Performance von ihr ablehnte, bei der Frauen mit einem Oktopus masturbieren sollten). Ihr Kunst lebt in einem Körper- und Existenzschmerzbereich, der keine Grenzen kennt.
Das ist dann aber auch gleich ein bisserl das Problem am "Liebestod": Liddell startet ihre Performance bereits in ihrem Land jenseits des Regenbogens. Dort, im Ausnahmezustand, steht der Stierkampf - Zentralthema des Abends - mit seiner existentiellen Auseinandersetzung um Leben und Tod für den zu erstrebenden Normalzustand und der Rest vom Leben ist nur laues, ästhetisch wertloses Beiwerk. Im Volkstheater geht es gleich einmal um alles, um verwundete Körper (ein Versehrter spielt in Bezug auf einen Torero eine emotionale Schlüsselrolle) und Grenzbereiche zum Tod (und aus irgendeinem Grund auch um Katzen und Babys, die auf der Bühne "getauft" werden).
Nur scheint Liddell keinen besonderen Wert auf Besuch in diesem Grenzbereich zu legen: Sie legt gleich auf 180 los, ohne dem Publikum die Chance zu geben, mit ihr zu gehen. Man muss also einmal aufholen.
Recht bald desinfiziert sie also ihre Knie, schneidet hinein (ein Sanitäter wurde in den Saal gerufen, weil es jemandem im Publikum daraufhin schlecht ging), sie blutet, und streicht hernach ein Stück Brot über ihre Knie und isst es genüsslich auf. Später umgarnt sie einen künstlichen Stier (zuletzt als Braut, die Assoziationen stehen jedem hier frei); sie jammert und singt (Wagners Oper "Tristan und Isolde" ist ein weiteres Generalthema), sie zeigt dem Publikum einen Körperteil, den man sonst lieber für sich behält, und hält dann einen Monolog darüber, wie selbstbezüglich und vom Publikum abgelehnt ihre Kunst ist.
Hier schnappt es über ein eine selbstreferenzielle Betrachtung des Kunstbetriebs; ihr Publikum seien ohnehin nur Feministinnen und "Schwule" und Doktoranden und "Moderne", also quasi die Bubble, die das Festwochenpublikum eh auch in der Selbstsicht wohl abbildet. Das Publikum fand hier einen gütlichen Henkel, Liddell, die sich sonst durch offensive Sprödheit einer Identifikation verwehrt, einzugemeinden: Man lachte über die drei bis vier inhaltliche Volten schlagende Selbstanzeige der Perfomerin, als hecke man hier gemeinsam ein Geheimnis gegen eine Außenwelt aus.
Liddell aber geht es ums Innere, dort wo es blutet und verwest (in einer eigenartig kurzen Szene wird ein in zwei Hälften geteilter Stier von der Decke herabgelassen und wieder hochgezogen, da ist man vom Nitsch Ausführlicheres gewöhnt). Das ist - neben dem Blut und der Intensität - die eigentliche Herausforderung ans Publikum: Man muss sich sehr, sehr stark dafür interessieren, wie es im Inneren von Frau Liddell aussieht, um Wert aus diesem Abend zu ziehen. Wenn man das nicht tut, sieht man soetwas wie eine unrettbar eskalierte Lesung beim Bachmann-Preis. Das Publikum fühlte sich jedenfalls im Innenleben getroffen und jubelte lautstark.
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