Letztes Projekt des Nobelpreisträgers: die Speisekammer aufräumen

Letztes Projekt des Nobelpreisträgers: die Speisekammer aufräumen
Das letzte Buch des schwedischen Dichters Tomas Tranströmer (1931 – 2015) ist Autobiografie und Werkstattbericht.

Marcel Reich-Ranicki war einer von vielen, die den Nobelpreis 2011 für den Schweden Tomas Tranströmer nicht ernst nahmen.
„Keine Ahnung, wer das ist“, hat er gesagt. Und auf die Nachfrage, ob er Verständnis für die Wahl habe: „Ich glaube nicht.“
Auch im KURIER herrschte nicht gerade Euphorie, denn wieder war Philip Roth nicht der Sieger; und den Hinweis, Tranströmer habe bloß um die 150 kurze Texte  geschrieben, sein Gesamtwerk passe auf 250 Buchseiten, konnte sich kaum jemand verkneifen.

Alltag

Als der Münchner Hanser Verlag sämtliche 163  Gedichte  veröffentlichte, durfte man sich angesichts der wunderbaren Bilder, die beim Meditieren helfen, für ironische Bemerkungen genieren ...
„Ich erwache davon, dass jemand wimmert wie ein Welpe in einem Korb
jemand stößt mit der Schnauze an eine Tür.
Es ist der Alltag.“
Tranströmers letztes Projekt war es, gemeinsam mit Ehefrau Monica den Inhalt der Vorratskammer in der Küche der Stockholmer Wohnung durchzuschauen. Hier war der Platz für seine Manuskripte, Briefe, Tagebücher, Zeitungsausschnitte – für die „Randgebiete der Arbeit“.
So heißt auch das kürzlich auf Deutsch erschienene Buch, Autobiografie und Werkstattbericht, sein letztes Buch. Dass es gedruckt wurde, hat er nicht mehr erlebt.
Es dokumentiert, wie Tranströmer – hauptberuflich Psychologe in einer Jugendstrafanstalt – zum Meister der Zurückhaltung wurde, ein Herr der Langsamkeit und General des Schweigens (solche Titel verlieh man ihm).
Mehr als drei, vier Gedichte pro Jahr schrieb er selten. Denen, die sich darauf einlassen, lässt er beim Verstehen alle Freiheiten. Er selbst fand nicht immer gleich den Sinn des Geschriebenen. In seinen Texten sah der Dichter ganz allgemein Orte der Begegnung: wenn die Nacht zu Tag kentert / Natur trifft Technik / die Musik einer Kirchenorgel geht in Straßenlärm über ...
Wecken wollte er.

Gegengewicht

Aus der Vorratskammer seiner Literatur: „Die Dichtung ist ein Atemloch ... Ein Gegengewicht gegen die manipulative Klischee- und Propagandasprache der Politiker.“
Jemand geht hin und her wie ein Pendel – aber er erträgt den Klang der Uhr nicht. Gedanken stehen still wie Mosaikplatten im Palasthof. Die dunkle Fledermaus verlässt das Gesicht. Rehspuren im Schnee sind keine Wörter, sondern Sprache ... Wer Tranströmer gelesen hat, nimmt ihn fortan mit.
 Er habe Gott vorüberlaufen gesehen, hat er einmal erzählt. Aber nur von der Seite.
Sicher sei er sich da auch nicht.

 

Tomas
Tranströmer:

„Randgebiete der Arbeit“
Herausgegeben von Magnus Halldin und Wolfgang Butt. Übersetzt von Wolfgang Butt. Hanser Verlag. 256 Seiten. 28,80 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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