Leben, lieben und sterben zwischen Designer-Jeans

Michael Cunningham wurde mit "The Hours" berühmt und 1999 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet
Michael Cunninghams sanft-ironischer New-York-Roman "Die Schneekönigin"

Da steht er nun mitten im Central Park, das Herz wurde ihm gerade per SMS gebrochen, und er hat eine Erscheinung, die wohl eine göttliche sein muss: "Ein himmlisches Licht erschien Barrett Meeks über dem Central Park, vier Tage, nachdem die Liebe ihm wieder einmal übel mitgespielt hatte."

Leben, lieben und sterben zwischen Designer-Jeans
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Mit seinem neuen Buch "Die Schneekönigin" (erschienen bei Luchterhand) gelingt Michael Cunningham ein atmosphärischer, zeitgeistiger und zugleich intimer New York-Roman über ein ungleiches Brüderpaar, das lernen muss, ohne einander zu leben. Wie selbstverständlich bringt er das Übersinnliche mit dem Alltäglichen zusammen. Das ganz Große, die Liebe und den Tod, mit dem ganz Banalen. Menschen, die obszön teure, absichtlich verschlissene Courtney-Love-Vintage-T-Shirts verkaufen und ihre einst gehegten Erwartungen ans Leben dabei langsam sterben lassen.

"The Hours" – "Die Stunden" machten Cunningham berühmt, brachten ihm 1999 den Pulitzerpreis. Knüpften "Die Stunden" an "Mrs. Dalloway" von Virginia Woolf an, so bedient sich Cunningham nun Andersens Märchen "Die Schneekönigin" als Matrix. Vereiste Herzen hat hier allerdings niemand. Es geht bei ihm wie bei Andersen um Liebe und die Frage, welche Opfer wir bereit sind, für sie zu bringen. Die Konstellation ähnelt Cunninghams erstem, ebenfalls Hollywood-verfilmten Roman "Ein Zuhause am Ende der Welt", der von der Freundschaft zwischen einem schwulen und einem heterosexuellen Mann handelt, der seine eigene Beziehung aufgibt, um seinen AIDS-kranken Freund zu betreuen.

Hier ist es der Mittvierziger Tyler, ein erfolgloser Musiker, der seine krebskranke Lebensgefährtin Beth und seine heimliche Kokainsucht pflegt. Mit seinem kleinen schwulen Bruder Barrett, Jeans-Verkäufer mit Uni-Abschluss, lebt er im New Yorker Stadtteil Bushwick. Es ist das Jahr 2004 und die Gegend von der Gentrifizierung noch weit weg. Heute kommen alle möglichen Kreativen hierher, das stylische Nachbarviertel Williamsburg schwappt herüber, Galerien florieren, Reiche kaufen umgebaute Lofts. Cunningheim zeichnet ein Porträt dieses Brooklyner Stadtteils knapp vor der Wende zum Bobo-Viertel.

Drogen-Umschlagplatz

Hier der neonbeleuchtete Deli, der tatsächlich nur Tarnung für einen Drogen-Umschlagplatz ist, dort das Tattoo-Studio und ein bisschen weiter der hippe Designer-Laden, der verrückt teure Jeans und Skateboards mit Airbrushmotiven verkauft. Auf den Gehsteigen schwatzende polnische Matronen und Übervierzigjährige, die "noch Reste von Punk mit sich herumtragen". Unter ihnen Liz, Tylers beste Freundin, die mit Anfang Fünfzig "immer noch auf die Secondhand-Laden-Cowgirl-Flittchen-Nummer" setzt.

Viel passiert nicht in diesem Erzähluniversum, das sich aus Weltliteratur, Rock ’n’ Roll, Ersatzfamilien und der Angst vor dem konservativen Bush-Amerika speist. Cunningham berichtet von Sinnsuche und lässt die übersinnliche Komponente ganz leichtfüßig anklingen: Barrett ist heimlich katholisch, schon als Bub fand er Jesus äußerst attraktiv. Melancholisch und doch ironisch (die todkranke Beth nennt ihren Chemotherapeuten "Scary Steve") erzählt er von den Dingen des Lebens: Glaube, Liebe, Hoffnung – und im "Fernseher läuft eine DVD mit knisterndem Kaminfeuer".

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