"Lady Macbeth" in Salzburg: Musik ist Trumpf

Nina Stemme (mit Brandon Jovanovich) als Katerina im goldenen Käfig
Mariss Jansons beschert den Salzburger Festspielen mit "Lady Macbeth von Mzensk" von Dmitri Schostakowitsch einen großen Erfolg.

Am 2. August 2017, nach julianischem Kalender dem 20. Juli, bei zunehmendem Mond im Sternbild des Schützen, begab sich um 18.05 Uhr im Großen Festspielhaus zu Salzburg geradezu Kosmisches: Der Dirigent Mariss Jansons betrat den Orchestergraben, um erstmals in Österreich eine zu Oper zu dirigieren. Gäbe es eine Wertung nur für ihn: Die am Ende dieses Textes zu vergebenden Sterne würden nicht ausreichen, um ihn gebührend zu feiern.

Mariss Jansons erkor "Lady Macbeth von Mzensk" von Dmitri Schostakowitsch für dieses besondere Debüt aus, das Orchester der Wiener Philharmoniker half ihm auf atemberaubend gute Weise bei der Realisierung.

"Lady Macbeth" ist jene 1934 uraufgeführte Oper, die dem Komponisten das Leben in Folge ziemlich erschwerte. Stalin verließ zwei Jahre später, als das Werk bereits als großer Erfolg galt, eine Aufführung desselben, danach erschien in der Prawda der Artikel "Chaos statt Musik" mit einer rezensatorischen Vernichtung, möglicherweise stammte der Text sogar von Stalin selbst.

Jedenfalls hatte Schostakowitsch in Folge allen Grund, auf der Hut zu sein, er wurde mehrfach verhört, schlief, allzeit zur Flucht bereit, nur noch angekleidet.

Erst mit der Uraufführung seiner 5. Symphonie war er vom offiziellen Russland wieder rehabilitiert. Wer in jenem Werk aber genau hinhört, wird erkennen, wie sehr er das Regime im Finale ironisierte, was offenbar unbemerkt blieb. Und wer sich noch genauer damit beschäftigen will, dem sei ausdrücklich "Der Lärm der Zeit" von Julian Barnes empfohlen (auch wenn Schostakowitschs Sohn Maxim wenig von diesem Buch hält).

Mariss Jansons ist zweifelsfrei der Richtige für dieses Werk über die erst gelangweilte, dann verliebte, nie geliebte und zur Mörderin werdende Lady (wobei man sich fragen muss, wofür Jansons nicht der Richtige ist). Er hat Schostakowitsch selbst kennengelernt. Und er erzählte dem Autor dieser Zeilen zuletzt eine Anekdote über eine Begegnung zwischen Schostakowitsch und Mstislaw Rostropowitsch. Ersterer hatte den großen Cellisten eingeladen, weil er mit ihm über etwas nachdenken müsse. Rostropowitsch kam, Schostakowitsch empfing ihn, die beiden setzten sich – und Schostakowitsch sprach, zur Verblüffung seines Gegenübers, eine Stunde lang kein Wort. Danach stand er auf, bedankte sich, es war erfolgreich gedacht worden.

Das Dirigat

Warum diese vermeintliche Abschweifung hier relevant ist: Weil bei Schostakowitsch auch das Ungesprochene, das nicht explizit Komponierte, das hinter den Noten Verborgene zählt. Jansons weiß das nicht nur, sondern geht bei seinem Dirigat derart in die Tiefe, dass man das Nonverbale, Nichttonale allzeit spürt.

Wenn Jansons "Lady Macbeth von Mzensk" dirigiert (das hat er vor Jahren schon in Amsterdam in der Regie von Martin Kušej erfolgreich getan), dann hört man die Wucht dieses genialen Komponisten, aber auch die Zartheit und die Zerbrechlichkeit. Man wird mitgerissen von der Musik gewordenen Sehnsucht nach Liebe (und auch vom komponierten Liebesakt), vernimmt aber sofort auch die Skepsis. Man ist beeindruckt von der Dramatik und der Kraft und taumelt sofort wieder klangtrunken in feinst gestaltete kammermusikalische Räume. Man erkennt die Angst aller Beteiligten vor dem Unterdrücker-Regime, bemerkt aber in vielen Details auch die Ironisierung, die Lächerlichmachung, die Karikierung.

Enorme Klangskulpturen treffen auf feinste Zeichnungen, sozialistische Realismus-Gebilde auf intellektuelle Analysen. Und zwischendurch meißelt Jansons wie ein Bildhauer zarte Walzerklänge aus dem monumentalen Klotz. Aus dem bedrohlichen Marsch wird clowneske Zirkusmusik.

Die Wiener Philharmoniker folgen ihm bereitwillig und exemplarisch gut. Die Streicherklänge sind ebenso überwältigend wie die Blechfanfaren und die Holzbläser-Motive. Und man staunt über diese präzise, dynamisch höchst differenzierte, farbenreiche Umsetzung. Hier ist ein Meister am Werk, der seinen Beruf uneitel, geradezu bescheiden, mit größter Könnerschaft ausübt, abseits der Marketing-Maschinerie.

Die Regie

Die Inszenierung von Andreas Kriegenburg ist ebenfalls äußerst kraftvoll, wenn auch nicht annähernd so nuanciert. Im Bühnenbild von Harald B. Thor, das die ganze Bühne des Großen Festspielhauses ausfüllt, lässt er Katerinas Welt im goldenen Käfig auf die Tristesse im Plattenbau prallen (wobei man nicht weiß, wem es letztlich schlechter geht).

Katerina Ismailowas Schlafzimmer (diesmal gibt es nur ein Doppelbett, kein Krankenbett) fährt wie eine Schublade aus dem Gesamtkomplex in die Mitte der Bühne und ist ausgestattet wie aus dem XXXLutz-Katalog. Von der anderen Seite fährt ebenso eine Schublade herein, die einmal Schreib-, dann Polizeistube ist.

In diesem Setting zeigt Kriegenburg Katerina als Suchende, die dem Proletarier Sergej ein williges Opfer ist, gemeinsam mit diesem ihren Schwiegervater und ihren Mann ermordet, verhaftet wird und auf dem Marsch nach Sibirien ihre Nebenbuhlerin und sich selbst tötet.

In diesem Cinemascope-Format ist eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung, ein Mord ein Mord, einige Facetten bleiben bei diesem hyperrealistischen Opernkrimi aber auf der Strecke.

Die Personen sind präzise geführt, alles wird aus der Sicht Katerinas erzählt, während der Zwischenmusiken zeigt Kriegenburg auf der Bühne verschwimmende Traumsequenzen. Das ergibt insgesamt eine gute, wenn auch etwas plakative Arbeit. Da war zuletzt die Inszenierung von Harry Kupfer in München (mit dem ebenso erstklassigen Dirigat von Kirill Petrenko und mit der berührenden Anja Kampe als Katerina) vielschichtiger.

Die Sänger

In Salzburg ist Rollendebütantin Nina Stemme eine famose Katerina mit der Kraft der Brünnhilde, mit großer Präsenz, hochdramatischen Ausbrüchen, schön differenzierten ariosen Momenten und manchen Unsauberkeiten in der Höhe. Brandon Jovanovich ist als Sergej ein Feschak, ein zynischer Hallodri – sein Tenor ist durchschlagskräftig und klar in den Spitzentönen. Dmitry Ulyanov ist ein bösartiger Schwiegervater Boris mit mächtigem, gut geführten Bass. Auch die Gestalter der kleineren Partien – von Maxim Paster als Ehemann Sinowi, Andrei Popov als Schäbiger, Stanislav Trofimov als Pope oder Ksenia Dudnikova als Sonetka – sind gut gewählt, der Staatsopernchor singt und spielt beeindruckend.

Der große Trumpf dieser Produktion ist aber die Musik. Diesbezüglich war wohl jetzt schon ein Höhepunkt der Festspiele zu erleben.

KURIER-Wertung:

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