Tiger, Panter und der "Ernst des Lehms"

Tiger, Panter und der "Ernst des Lehms"
Der Berliner Satiriker und Gesellschaftskritiker wurde vor 125 Jahren geboren. Seine Schriften sind bestechend modern, seine Sprache ist präzise,beißend komisch und tieftraurig.

Es ist selten klug, mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von Kurt Tucholsky um sich zu werfen.

Obwohl seine klare, präzise Sprache dazu verlockt. Kurt Tucholsky war einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker des 20. Jahrhunderts. Und was er schrieb, ist noch heute so bestechend, dass seine Aphorismen und Gedanken oft in sozialen Foren strapaziert werden.

Von Petitessen wie "Woher kommen die Löcher in den Käse?" über Grundsätzliches wie "Was darf die Satire? – Alles" zu Betrachtungen über das Wort "eigentlich", das kein Wort, sondern "eine Lebensauffassung" sei, bis zu politischen Glossen wie "Der bewachte Kriegsschauplatz ", aus der oft zusammenhanglos der Satz "Soldaten sind Mörder" zitiert wird (Tucholsky war selbst Soldat im Ersten Weltkrieg).

Kurt Tucholsky lässt sich trefflich zitieren, doch ob man damit trifft, ist fraglich. Denn der feinsinnige Beobachter war viele in einer Person. Und manchmal auch das Gegenteil davon. Er war politischer Schriftsteller und Humorist; er war bürgerlich, und er war links. Er war Autor frivoler Couplets, und er schrieb mit "Rheinsberg" und "Schloss Gripsholm" zwei der entzückendsten Liebesgeschichten seiner Zeit.

Der Ernst des Lehms – man wusste nie, wie ernst er dem am 9. Jänner 1890 in Berlin geborenen Tucholsky war.

Note "mangelhaft"

In der Schule attestierte man dem aus einem großbürgerlichen jüdischen Berliner Haushalt stammenden späteren Schriftsteller Schwierigkeiten mit Deutsch-Aufsätzen. Wenige Monate, bevor seine ersten satirischen Texte publiziert wurden, bekam er die Note "mangelhaft" in Deutsch, musste die Schule verlassen und maturierte dank eines Privatlehrers.

Er wurde Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der legendären Berliner linksdemokratischen Wochenschrift Die Weltbühne, war Kabarettautor, Liedtexter, Lyriker und politischer Aktivist; lebte in Berlin, Paris und Schweden; mehrmals verheiratet, oft verliebt, selten monogam. Vielschichtig als Mensch wie als Autor, spürte Tucholsky die Spannungen seiner Zeit und sagte voraus, was Furchtbares geschehen würde. Er verstand sich als linker Demokrat, stand aber dem Kommunismus – nach einer vorrübergehenden Annäherung – kritisch gegenüber.

Seit den politischen Morden der Weimarer Republik war ihm klar: Gefahr drohte nach dem Ersten Weltkrieg von einer politischen Halbwelt am rechten Rand der Gesellschaft. Erich Kästner bezeichnete den Zeitgenossen rückblickend als "kleinen dicken Berliner, der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte."

Der Regimekritiker und Verächter jeglichen Militarismus und Nationalismus war in manchem bürgerlich: Stets bestens gekleidet, wirkte er äußerlich nie wie ein klassischer Revoluzzer. Der radikale Pazifist und geradezu bestürzend frühzeitige prophetische Warner trug maßgeschneiderte Dreiteiler.

Über die Schizophrenie von Hass und Liebe schrieb er im Buch "Deutschland, Deutschland über alles" und bekannte er in einer Liste, die er 1928 in der Vossischen Zeitung publizierte: Kurt Tucholsky hasst "Deutschland" und liebt Deutschland.

Als weitere Autoren dieser Liste fungieren Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser– Namen, die aus Fallbeispielen aus der Studienzeit des promovierten Juristen Tucholsky stammten. Jedes dieser Pseudonyme publizierte in Zeitschriften, schrieb Bücher und hielt Reden.

"Kurt Tucholskys Werk ist ein vielstimmiger Fortsetzungsroman seiner Homunculi und damit der verschienenen Rollen seiner selbst", schreibt Rolf Hosfeld in seiner Biografie "Tucholsky. Ein deutsches Leben" und zitiert die Schriftstellerin Claire Goll: "Tucholsky war von einem ungeheuren tragischen Witz". Der zu Depressionen neigende Pessimist habe darauf geantwortet: "Ich habe das Lachen eines Clowns, aber innen weint es."

Alberne Zärtlichkeit

Tiger, Panter und der "Ernst des Lehms"
Tucholsky von Rolf Hosfeld
Dass alles vergänglich ist, wusste er früh. Den Wochenendausflug, den der Jus-Student Kurt Tucholsky und die Medizinstudentin Else Weil, genannt Claire Pimbusch, 1911 nach Rheinsberg unternahmen, verarbeitete er im Bändchen "Rheinsberg". Es machte ihn schlagartig berühmt. Eine scheinbar unbeschwerte Episode voll alberner Zärtlichkeiten, die doch Anklänge jener Wehmut hat, die ihm später zu eigen wurde. Ob er nicht eine Fortsetzung schreiben wolle, drängte man ihn. "Lieber nicht", aber "eine Erinnerung muss wohl erlaubt sein", schrieb er Jahre später in einer Neuauflage. Er staune immer noch, wie sich erwachsene Menschen mit solchem "Klimbim" die Zeit vertreiben könnten. "Ich bitte Sie, der Ernst des Lehms".

Was diese kostbare literarische Kleinigkeit, dieses "Bilderbuch für Verliebte" tatsächlich war, war ihm jedoch klar: "Was in dem Buch da ist: das weiß ich schon. Eine bessere Zeit, und meine ganze Jugend," schrieb er 1920.

1930 verlegt Tucholsky seinen Wohnsitz nach Schweden, schreibt noch einen Welterfolg: Schloss Gripsholm. Bald darauf verstummt er publizistisch. Weltbühne-Chefredakteur Carl von Ossietzky wird wegen der "Kriegsschauplatz"-Glosse verhaftet und angeklagt, Tucholsky, chronisch krank, bleibt in Schweden, leidet an Depressionen und Gewissensbissen.

Am 21. Dezember 1935 stirbt er an einer Überdosis Schlaftabletten. Einer der letzten Einträge in seinem Notizbuch: "Er ging leise aus dem Leben fort, wie einer, der eine langweilige Filmvorführung verlässt, vorsichtig, um die anderen nicht zu stören."

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