Kunstwelt-Ranking sieht documenta-Kuratorenteam an der Spitze

Contemporary art exhibition documenta fifteen
Das Magazin "Art Review" misstraut den Mächtigen - und wählte dennoch die "mächtigsten Personen" der Kunstwelt

Die "Liste der 100 einflussreichsten Personen in der Kunst", die alljährlich vom britischen Magazin "Art Review" herausgegeben wird, ist ein Anachronismus und ein Widerspruch. Denn einerseits bedient sie die Lust an Rankings, an Hierarchien und jene Medienlogik, die Lust an Wettrennen hat. Und auch wenn Personen im Kunstfeld so tun, als wäre die Liste nicht wichtig, schaut doch jeder darauf, möglicherweise wird die eine oder andere Postenvergabe dadurch beeinflusst.

Andererseits steht "Art Review" Hierarchien stets sehr kritisch gegebüber. Das Gremium aus Kritiker*innen, Künstler*innen und Kurator*innen, das die Liste zusammenstellt, ist erstaunlich intransparent, doch es lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass es aus Menschen besteht, die dem aktuellen Kunstdiskurs - mit seinem Fokus auf der Aufarbeitung kolonialer, rassistischer und sozialer Ungerechtigkeit - nahe stehen.

So kommt es, dass die Mächtigen in der Sicht von "Art Review" immer wieder die sind, die Machtstrukturen herausfordern. In der am Donnerstag veröffentlichten Liste rangiert daher das umstrittene Kuratorenteam der documenta in Kassel, ruangrupa, auf Platz eins. Auf Platz zwei folgt Cecilia Alemani, Kuratorin der eben zu Ende gegangenen Biennale Venedig. Und auf Platz drei folgen: Gewerkschaften. Diese haben im laufenden Jahr insbesondere im US-amerikanischen Raum mit Streiks und Protesten auf die häufig ungerechte Bezahlung von Beschäftigten des Kunstbetriebs hingewiesen.

Antisemitismus kein Hinderungsgrund

Die Kontroverse um antisemitische Bildinhalte und Positionen, die die mediale Wahrnehmung der "documenta" über weite Strecken dominierte, war kein Grund für die "Art Review"-Gruppe, von einer Top-Platzierung ruangrupas abzusehen. Explizit nominiert wurden sie für ihren dezentralen Umgang mit Entscheidungen, dem so genannten "lumbung"-Konzept.

"Macht sammelt sich heute nicht mehr nur bei denen, die fest an der Spitze von Hierarchien verankert sind, sondern auch bei denen, die die normale Art und Weise, wie Dinge gemacht werden, durcheinanderbringen", heißt es in der Begründung der Jury. Und mit Hinblick auf das so verursachte Chaos: "Wenn es eine Lektion aus ruangrupas großem Experiment mit der documenta gibt, dann ist es die: Als mächtige, hierarchische Organisation kann man nicht so tun, als würde man Delegation, Kollaboration und Machtverteilung gutheißen, und sich dann wundern, wenn die Ereignisse nicht mehr unter Kontrolle hat."

Keine Österreicher im Ranking

Unter den ersten zwölf Platzierungen finden sich die in Berlin lebende Hito Steyerl (Platz vier), die ihre Arbeit von der documenta zurückgezogen hatte. Steyerl setze sich in ihren Arbeiten „mit Witz und Intelligenz“ mit den drängendsten Themen der Zeit wie Krieg, künstliche Intelligenz oder Cyber-Überwachung auseinander. Auf Platz sechs sieht das Magazin den Fotografen Wolfgang Tillmanns, auch für seine Retrospektive „To Look Without Fear“ im New Yorker Museum of Modern Art. 

Ihr künstlerisches Wirken auch für die Black Community ist bei Fred Moten auf Platz fünf und dem siebten Rang für Simone Leigh mit eingeflossen. Beim US-amerikanischen Kunsttheoretiker Moten würdigt „ArtReview“ dessen Bandbreite. Seine Landsfrau Leigh war gemeinsam mit der britischen Künstlerin Sonia Boyce die erste Schwarze, die für ihre Arbeit bei der Biennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen geehrt wurde.

Figuren der österreichischen Szene spielen in dem "Art Review"-Ranking keine Rolle mehr. Im Vorjahr hatte man noch WHW, das Leitungsteam der Kunsthalle Wien, im Ranking gefunden. Auch Thaddaeus Ropac, international einflussreicher Galerist, war lange Dauergast - er bewohnt aber einen Teil des Kunst-Universums, das vom "Art Review"-Teleskop kaum mehr in den Blick genommen wurde. Dass Großgaleristen wie David Zwirner (Platz 9), Iwan & Manuela Wirth (Platz 17) und Larry Gagosian (Platz 20) heuer wieder weiter vorne rangieren, spricht dafür, dass es zumindest Stimmen im Gremium gibt, die auch den Marktaspekt würdigen.

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