Captain Cooks „Endeavour“ wurde in Neuseeland nicht nur freundlich willkommen geheißen. Als vergangene Woche ein Nachbau des Schiffs in der Stadt Gisborne anlegte, um des 250. Jahrestags der Landung des britischen Kapitäns zu gedenken, regte sich Protest der Maori-Bevölkerung: Dass der Beginn der Kolonisation offiziell gefeiert werde, sei falsch.
Die Reisen von Cook können heute ebenso wenig als heldenhafte Unternehmungen gelten wie die Tour des Norwegers Thor Heyerdahl, der 1947 mit dem Floß „Kon-Tiki“ über den Pazifik segelte. Im Frühjahr versprach dessen Sohn, Kultgegenstände, die Heyerdahl von der Osterinsel mitgenommen hatte, an ihren Ursprungsort zurückzustellen. Auch in Neuseeland wurden parallel zu den Cook-Feiern Gegenstände aus britischen Sammlungen zurückgeführt: Federführend war dabei die österreichisch-australische Forscherin Khadija von Zinnenburg Carroll, die TBA21-Academy von Francesca Thyssen-Bornemisza förderte ihr Filmprojekt dazu.
Doch die Restitution von Objekten ist nur ein Faktor in der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Denn die Vorstellung von heldenhaften Entdeckern, die in vorgeblich unzivilisierte Weltgegenden vordringen und dort Schätze bergen, ist tief ins populäre Bewusstsein gesickert. Im Fall von Heyerdahls Reise, die einen Buch-Bestseller samt Filmadaption nach sich zog, ging es um eine reale Geschichte, doch zahllose Fiktionen folgten dem Muster.
Cook und Kirk
„Obwohl es mir damals nicht bewusst war, wurden mir die Abenteuer von Captain Cook nicht zuletzt in den Folgen von Star Trek nahegebracht“, schrieb Pulitzer-Preisträger Tony Horwitz in seinem Buch „Blue Latitudes“. „Erst Jahre später wurde mir klar, wie sehr die Serie eine wahre Geschichte nacherzählte. Kapitän James Cook, Kapitän James Kirk. Die Endeavour. Die Enterprise. Cook, der Bauernjunge aus Yorkshire, der in sein Logbuch schreibt, dass er weiter reiste als je ein Mensch zuvor. Kirk, der Bauernjunge aus Iowa, der ein Logbuch führte über die unendlichen Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“
Die österreichische Künstlerin Lisl Ponger zitiert diese Passage in ihrer Videoarbeit „The Master Narrative“, die sie 2017 für das Wiener Weltmuseum schuf. Dort lagert ein großer Teil der von Cook zusammengetragenen Sammlung, erst gestern fand dort eine Tagung über problematische Erwerbungen statt.
Nicht zufällig ersann Ponger auch eine Fotoserie, die um den Schatzjäger Indiana Jones aus Steven Spielbergs Filmen kreist. Die Ambivalenz – hier Eroberungsgeist, dort „reines“ wissenschaftliches Interesse – findet sich in ihm perfekt verkörpert. „Findet Indiana Jones etwas, kann man das Glitzern in seinen Augen sehen“, erklärt Ponger. „Doch bevor ihn die Gier übermannt, sagt er: Das gehört in ein Museum.“
Kapitale Dinosaurier
Das Muster wiederholt sich: Nicht zufällig ist Pongers Bild, in dem der Mann mit dem Hut einen Vorhang zur Seite zieht, an ein Porträt des US-Wissenschafters Charles Willson Peale (1741–1829) angelehnt. Er war Maler, aber auch Dinosaurierforscher – und als solcher erinnert er daran, dass nicht nur die Kultur, sondern auch die Naturgeschichte von gesellschaftlichen Kräften geformt ist.
So erklärt der Autor Lukas Rieppel in seinem jüngst erschienen Buch „Assembling the Dinosaur“, wie eng die populäre Begeisterung für Dinosaurier mit der Geschichte des US-amerikanischen Kapitalismus verwoben ist.
Ausgrabungen im 19. Jahrhundert gingen Hand in Hand mit der Erschließung des Westens durch Bergbau-Unternehmen. Die aus dort gefundenen Fossilien rekonstruierten Saurier waren größer und mächtiger als jene, die man zuvor kannte. Sie eigneten sich gut als Symbol für das ökonomische System der USA – und überstrahlten die Geschichte der Ureinwohner des Kontinents. Die größten Wirtschaftskapitäne finanzierten nicht nur Kulturinstitute, sondern auch Naturgeschichtemuseen – etwa Andrew Carnegie, Namensgeber des berühmten New Yorker Konzertsaals und des längsten Sauriers, der je auf der Erde wandelte, des Diplodocus carnegii.
Gegengeschichten
Heute steht auch das System der scheinbar interesselosen Museums-Wohltäter in der Kritik. Und in der populären Kultur setzen sich langsam Erzählungen durch, die die Helden-Eroberer-Erzählung konterkarieren. So kommt im Marvel-Erfolgsfilm „Black Panther“ (2018) der schwarze Charakter Killmonger (Michael B. Jordan) in ein Museum und spricht mit der Kuratorin über eine afrikanische Axt, die von britischen Soldaten aus Benin mitgenommen wurde. „Zahlten sie dafür einen fairen Preis – oder nahmen sie sie einfach mit, wie sie alles andere mitgenommen haben?“ fragt er.
Auch Indiana Jones hat Nachwuchs bekommen: Im Film „Dora und die goldene Stadt“ (derzeit im Kino) ist die Heldin jung und weiblich, hat keine Lara-Croft-Gestalt und entstammt einer Latino-Familie. Der Film basiert auf der Kinderserie „Dora the Explorer“, die auf die spanisch sprechende US-Bevölkerung zugeschnitten ist. Darstellerin Isabela Moner wurde für den Realfilm in der Quechua-Sprache gecoacht, die von rund acht Millionen Südamerikanern gesprochen wird.
Dass ein solches Umdenken weniger einem moralischen Erwachen als vielmehr der veränderten Zusammensetzung des (Massen-)Publikums geschuldet ist, liegt auf der Hand. Wie Lisl Ponger bemängelt, sind die indigenen Bewohner Amerikas in der Populärkultur nach wie vor unterrepräsentiert.
Dass aber neue Geschichten und neue kulturelle Brennpunkte entstehen, lässt sich nicht leugnen. Und auch die Dinosaurier haben ihre Form verändert: Die Exemplare, die neuerdings durch Naturdokus geistern, wirken nicht mehr wie Elefanten, sondern sind wendig und bunt, viele haben Federn. Die Fossilien, auf deren Basis sie rekonstruiert wurden, stammen häufig aus China.
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