Kritik: Stöhnen vom Notenblatt und Schmusen mit dem Tod

„Sexpositivity“ bedeutet vereinfacht ausgedrückt: Alles, was Menschen auf der Suche nach Lust und Freude miteinander machen, ist in Ordnung, solange alle Beteiligten erwachsen und freiwillig dabei sind. Und ja, das schließt alle Geschlechter und Nichtgeschlechter mit ein, auch Menschen mit Behinderung, und ja, auch Porno und Sexarbeit.
Sexpositivity hat daher natürliche Feinde im rechten Denkspektrum, wo Sex Mama und Papa vorbehalten ist. Und auch auf der linken Seite des Gartenzauns, wo Sex gerne als Werkzeug patriarchaler Unterdrückung gesehen wird.

Die Performance „Joy“ von Michiel Vandevelde, die am Samstag im Wiener Volkstheater Festwochen-Premiere hatte, beruft sich ausdrücklich auf die Gedanken der Sexpositivity.
Die Premiere ist die Fortsetzung der Pride-Parade mit anderen Mitteln, einige Zuschauer wechselten offenbar direkt vom Ring auf die Zweierlinie, das Publikum war hörbar gut gelaunt.
Zu Beginn stellen sich die Darstellenden vor und definieren ihre Vorstellung von Sexualität und Freude: „Ich will kommen, wie ich will, mit mir, mit einer anderen Person, oder mit mehreren Menschen gleichzeitig!“ – „Mein Name ist Maia, ich bin Escort, ich fick das Patriarchat, aber nicht gratis.“ – „Ich bin der Choreograf, und ich neige der Ansicht zu, alles ist Sex.“ Auch die Zuschauer dürfen etwas sagen: „Ich möchte Menschen ohne Masken treffen!“

Die Vorstellung ist in neun Kapitel geteiltes Bewegungstheater: Ein ungemein zärtlicher Akt mit einer behinderten Darstellerin, ein Faunsballett mit Anal-Plug, vom Notenblatt gelesenes Porno-Stöhnen (sehr lustig!), Schmusen mit dem Tod. Am Ende steht fröhliches Schlammringen im Farbgatsch.
Fazit: Eine fast rührend ernsthafte, keineswegs obszöne Inszenierung.
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