Im Maschinengemurmel: Philippe Parrenos KI-gesteuerte Kunstausstellung
Ein Gemurmel, ein Zischen, ein Zwitschern erklingt in den hohen, dunklen Sälen. In einem Raum ragt ein Pfahl bis durch die Glasdecke, ein gläsernes, blasenartiges Ding – ein Affe? eine Qualle? ein Roboterspecht? – gleitet daran nach oben und nach unten. Die Stimme, die aus einigen Lautsprechern dringt, kommt einem bekannt vor, aber zu verstehen sind ihre Äußerungen kaum, und wenn, dann nur bruchstückhaft.
Nein, hier reden vielmehr die Maschinen miteinander, als Museumsbesucher wandelt man durch die Räume wie durch einen Wald, nur dass die Lebewesen hier Sensoren und Kameras haben, mit Spiegeln, Leuchten und Mikrofonen agieren und interagieren.
Keine Simulation
Als „vollständig KI-gesteuerte Ausstellung“ wird die spektakuläre Schau „Voices“ des französischen Kunststars Philippe Parreno vom Münchner Haus der Kunst angepriesen. Wer noch immer denkt, Künstliche Intelligenz würde sich darin erschöpfen, täuschende Bilder mit Kunst-Anmutung zu produzieren, wird hier eines Besseren belehrt.
Der Roboter lauscht
Dabei setzt Parreno im Grunde nur etwas fort, das er in Kunsthallen und bei Biennalen weltweit seit Langem praktiziert: Er erweitert Ausstellungen um ein theatralisches und choreografisches Element, begreift seine Schöpfungen weniger als Bilder und Skulpturen denn als Akteure. Erfolgreich war die Installation „Anywhen“, die er 2016 in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern realisierte. Die Münchner Schau entstand in Kooperation mit dem Leeum-Museum in Seoul, das der Stiftung des Samsung-Konzerns gehört.
Die technikbegeisterten Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die Aktionen des Kollektivs „Experiments in Art and Technology“ (E.A.T.) und die von Marcel Duchamp ersonnenen und vom Ausstellungsmacher Harald Szeemann weitergedachten „Junggesellenmaschinen“ bleiben dabei im Rückspiegel präsent.
Doch der Roboter, der mit Glasröhren voller blinkender Leuchtstäbe am Plafond eines Saals im Haus der Kunst hin- und herfährt, hat davon vielleicht noch nichts gehört: Er hört eher auf Lautsprecher, die durch die Ausstellung verteilt von den Decken hängen und jene KI-generierte Kunstsprache raunen, die das gesamte Arrangement zusammenhält. Dass die ARD-Nachrichtensprecherin Susanne Daubner dem Künstler ihre Stimme als Rohmaterial zur Verfügung stellte, sorgt für das seltsame Gefühl, etwas Vertrautes und zugleich Fremdes zu hören.
Parreno gelingt es hervorragend, jene Verunsicherung spürbar zu machen, die in Technikdebatten immer wieder mitschwingt: Was, wenn der Mensch nicht mehr im Zentrum steht? Was, wenn sich die Maschinen von uns entkoppeln? Dabei beschwört das Arrangement keine Roboter-Apokalypse, sondern entführt in einen Schwebezustand, in dem vor allem die menschliche Sprache an ihre Grenzen gerät.
Die Skulptur halluziniert
Zugleich ist die Ausstellung durchaus als konventionelle Abfolge einzelner Werke zu begreifen: Da ist die Wand, durch die immer wieder Sprachfetzen dringen, die möglicherweise vom KI-Prozess „halluziniert“ wurden. Es läuft eine Projektion von Parrenos Tate-Film „Anywhen“, in der sich der detaillierte Blick auf einen Tintenfisch mit wunderschönen technikgenerierten Bildern abwechselt, die nur ganz sanft an Lavalampen erinnern. Anderswo schwenkt ein riesiger Lautsprecher-Korb durch den Raum, flankiert von anderen flirrenden und flüsternden Objekten.
Die Landschaft spürt
Vor allem ist da aber der enorme Videoscreen im zentralen Saal, der eine weite, trockene spanische Landschaft zeigt, in der wiederum Windräder und andere Sensoren auszumachen sind: Es ist ein Landschaftsbild, das hört und spürt. Ein Regisseur ist abgeschafft, die Montage der einzelnen Einstellungen entsteht maschinell in Echtzeit, ist zu erfahren. Das „Hirn“ der Ausstellung, ein großer Computer, steht am Ende einer Raumflucht.
Doch es gibt auch Menschen. Ob ich etwas habe, das mich persönlich beschäftigt, fragt eine junge Frau, die zuvor der Techno-Qualle am Pfahl in lauten Soprantönen etwas vorgesungen hat, um sie zum Klettern zu bewegen. Der Rezensent durchschaut die Aktion als Werk des Performance-Künstlers Tino Sehgal, der mit Parreno des Öfteren kooperiert, so auch hier.
Mich beschäftigt die Frage, ob mein Schnupfen bald weggeht, antworte ich ganz unphilosophisch. Die „Antwort“ kommt wenig später durch eine Flimmer-Sprachwand: Ich möge ruhig und besonnen bleiben, dann wird der Schluckauf weggehen, sagt die ARD-Sprecherinnenstimme. Ich muss an die antiken Orakel nennen, deren Gebrabbel von Priestern erst übersetzt werden mussten.
Doch habe ich Schnupfen, keinen Schluckauf. Hat ein Mensch oder die Maschine den Fehler gemacht? Die Maschinenpoesie hat mich mit einem Mal wieder auf den Boden der banalen Sprachassistenten-Probleme katapultiert.
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