Als 75-Jähriger rüttelt man nicht mehr an persönlichen Grundfesten. Oft sind seine Ansichten gegen Mauern der Verständnislosigkeit geprallt, Kritik und Empörung haben sich in den letzten Monaten um die Person des Münchner Liedermachers Konstantin Wecker angehäuft. Ob er seinen strikten Pazifismus, die Einstellung des „alten Anarchos“, der ein konträres Weltbild in die von Krieg und Gewalt diktierten Zeiten zu zeichnen versucht, nicht doch überdacht hat?
„Nein, ich lege jetzt noch deutlicher meine pazifistische Position dar, bin der Meinung, dass die Idee des Friedenschaffens ohne Waffen auf keinen Fall sterben darf. Sonst hätte die Menschheit gar keine Chance mehr. Nach den Gräuel des Zweiten Weltkrieges und all der folgenden Kriege wurde dieses Thema ja in der Friedensbewegung immer wieder thematisiert – doch jetzt wird es nicht mehr aufgegriffen. Aber wir Künstler haben die Verpflichtung, diese Idee weiterzutragen.“ Unzerstörbarer Idealismus in einer hässlichen Aktualität, oder an Realitätsverlust grenzende Fantasterei? Ansichtssache.
Konstantin Wecker wird man zuhören können. Leibhaftig im Rahmen der „Jubiläumstour zum 75er“ am 29. November im Wiener Konzerthaus, am 1. Dezember im Linzer Brucknerhaus. Ein Album („Utopia Live“) ist bereits auf dem Markt.
KURIER:Ist es nicht utopisch, einen Aggressor wie Putin ohne Waffengewalt und ohne Unterstützung mit Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen zu wollen?
Konstantin Wecker: Zur Klarstellung: Ich stand nie im Verdacht, ein Putinfreund zu sein. Es geht außerdem nicht nur um Putin, sondern darum, eine ganze Kriegsmaschinerie zu stoppen. Es gibt sie ja auch, die russischen und ukrainischen pazifistischen Bemühungen. Man berichtet leider sehr wenig davon. Weil ich ihn gerade lese, was musste ein Stefan Zweig vor dem Ersten Weltkrieg durchmachen, als sogar Intellektuelle vom Krieg begeistert waren. Thomas Mann zum Beispiel, den ich sehr schätze. Die Begeisterung hat sich aber schnell gewandelt.
Es wird sich aber nichts ändern, die Menschheit bekriegt sich, schlachtet sich ab. Warum passiert das?
Weil sie immer wieder psychopathischen Herrschern und deren Gedankenwelt erliegt. Von Caligula bis Trump und Putin, egal, alle der gleiche Typus Mann. Und es kommt noch ein Thema nie vor: 99 Prozent der Menschen, die jetzt nach mehr Waffenlieferungen schreien, würden selbst nie in den Krieg ziehen. Sie schicken andere zum Morden und ermordet werden. Und es gibt auch andere Umstände, die den Wahnsinn fördern.
Welche?
An all dem Grauen, das jetzt passiert, verdienen wieder ein paar Prozent übermäßig viel. Die Energiekrise wäre nicht so heftig, würde man endlich in den großen Konzernen die Gewinne abschöpfen. Ich hoffe, dass sich jetzt viele Leute über diesen Kapitalismus Gedanken machen. Es muss sich etwas ändern.
Mit solchen Aussagen werden Sie in diversen Foren wieder Ihr Fett abkriegen. Wie reagieren Sie darauf?
Einfach meinen Standpunkt vertreten. Ich lese die Kommentare nicht mehr. Früher war ich intensiver auf Facebook. Und immer wenn ich irgendeinen antifaschistischen Text geschrieben habe, kamen die Trolle: Der alte Kokser hat wohl nicht genug Koks gehabt. Die brutalste Beleidigung, nachdem ich mich weiter für den Pazifismus stark gemacht hatte, war der Satz: Stell dich doch mit deiner Gitarre – wohlgemerkt ein Kenner meines Schaffens – vor einen russischen Panzer und lass deine verkommenen Söhne von russischen Soldaten vergewaltigen. Was soll man dazu sagen?
„Ode an das Erinnern“, ist ein Dokumentarfilm über Holocaust-Überlebende, in dem Sie Teile der Filmmusik beisteuern. Überfordert das Thema nicht in diesen dunklen Zeiten?
Nein. Es ist unglaublich wichtig und notwendig, zu erinnern und vor allem aufzuarbeiten. Ich war ja mit der Holocaust-Überlebenden Esther Bejanaro befreundet, habe mit ihr das Lied „Sage Nein“ auf der Bühne gesungen. Was mir aufgefallen ist, dass die Menschen, die so viel Grauenvolles erlebt haben, nicht verbittert waren. Die meisten hatten eine eher liebevolle Botschaft in die Welt getragen. Und ich muss einmal etwas Positives über Deutschland sagen: Hier wurde im Vergleich zu anderen die Vergangenheit ziemlich gut aufgearbeitet.
...was in Italien nicht so gut gelungen ist, wie das die letzten Wahlen zeigen ...
Ich bin ja oft in der Toskana, habe mich da mit meinen italienischen Freunden bemüht, auch in Italien den Faschismus aufzuarbeiten. Aber es gibt noch immer Mussolini-Plätze oder Statuen, auf Demos marschieren Leute mit Hitlergruß, und niemand tut etwas dagegen. Fast alle Länder haben Dreck am Stecken. Wie haben etwa Engländer und Holländer ihren Kolonialismus bekämpft?
„Ode an das Erinnern“
Konstantin Wecker, am 1. Juni 75 Jahre alt geworden, hat für den epischen Dokumentarfilm (Überlebende der Schoah erzählen ihre Geschichte) von Robert Hofferer Filmmusik komponiert und getextet. Auch Ina Regen ist zu hören, Iris Berben leistet einen schauspielerischen Beitrag. Co-Produzent ist der Linzer Georg Redlhammer.
Der Film soll seine Premiere beim Filmfestival 2023 in Cannes feiern.
Aber auch in deutschen Militärkreisen gab’s rechte Tendenzen. In Österreich wird eine SS-Uniform präsentiert, Neonazis mischen sich in Demonstrationen ...
Genau deshalb bleibt es wichtig, nichts zu vergessen und deutlich gegen solche Verblendeten vorzugehen. Gleichzeitig muss man überlegen, wie es so einem jungen Menschen ergehen muss, der diesem Irrglauben verfällt. Welch schreckliches Elternhaus, welch schreckliche Umgebung muss er gehabt haben. Ich hatte unglaubliches Glück, antifaschistische Eltern gehabt zu haben. Nicht selbstverständlich in meiner Generation.
Ihr Lied „Willy“ war in den Siebzigern ein klares politisches Statement gegen rechte Gewalt ... Zu Zeiten des „Willy“ war ich vor allem bekannt als politischer Sänger. Danach kam ich mit einer sehr stillen Platte, „Liebesflug“, heraus. Shitstorm gab es damals noch nicht, aber ich habe viele Briefe gekriegt, die mir mitteilten: „Wir zerstampfen deine Platte, wir zerreißen deine Bücher, wir scheißen drauf.“ Die Presse hat mich zerrissen: „Jetzt knödelt er von Liebe.“ Ein paar Jahre später hat man gesehen, es war richtig, das durchzustehen.
Utopia heißt die letzte Platte. Die Hoffnung auf das Unmögliche als von Poesie bestimmtes Produkt einer langen Entwicklung? Wenn ich jetzt ganz viel Menschen verlieren würde und nur eine Handvoll übrig blieben, werde ich meine Utopie nicht aufgeben. Meine Lieder waren immer klüger als ich. Und die meisten meiner Texte und Gedichte habe ich nicht mit meiner Ratio geschrieben, ich habe sie einfach nur rausgelassen.
Wie funktioniert das?
Als junger Mann bin ich einer Machogeneration entsprungen. Ich hatte so einen leichten Zuhältertouch, mit Goldkettchen und so. Furchtbar peinlich mein Aussehen im Nachhinein. In meinen Liedern war ich aber nicht so. Das habe ich Gott sei Dank auch zugelassen. Völlig erschüttert kamen Leute zu mir und haben gefragt: Was, du hast diese Lieder geschrieben? Ich glaube, jeder Mensch hat Zugang zu einer spirituellen Tiefe, wenn man es zulässt. Wir alle könnten darauf zugreifen, aber meistens verbietet es die Ratio.
Was darf man 2022 von Ihrem Auftritt erwarten?
Seien wir ehrlich. Im Publikum sitzen ja wenige 18-Jährige, sondern Menschen, die mit mir Jahrzehnte lang durch die Konzerte gegangen sind.
Also es ein persönlicher, poetischer Lebensrückblick? Oder mahnende Worte, mit denen sie noch immer wachzurütteln versuchen?
Beides. Natürlich wird’s auch ein kritisches Resümee meines bisherigen Lebens. Ich rede von meiner Suchtzeit, singe „Manchmal weine ich sehr“. Das Lied erzählt, ich befände mich in der Psychiatrie. Da hätte ich damals wirklich hingehört. Aber meine Sucht und Eitelkeit haben es nicht zugelassen, meine Poesie schon. Ich habe viele Dummheiten in meinem Leben gemacht, nur welcher 75-Jährige kann das nicht von sich behaupten. Aber viele Texte, die ich vor 50 Jahren schrieb, haben noch heute Gültigkeit, sollen weiterhin wachrütteln. Nicht umsonst heiß’ ich zufällig Wecker.
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