Kommentar zur Handke-Diskussion: Vertreibung aus dem Paradies
In der Woche seit der Nobelpreisbekanntgabe hat jeder sein Stückchen Bitterkeit in der Debatte um Peter Handkes Serbien-Ausritte gefunden. Und wenn die Diskussion noch eine Woche so weitergeht, wird sie statt bitter giftig sein.
Die Abfolge war altbekannt, geradezu prototypisch auch für den Literaturnobelpreis: Auf Freude folgt Kritik. Und ja, vor drei Jahren haben wir heftig diskutiert, ob Bob Dylan die Auszeichnung verdient hat.
Während aber reine Kunstdiskussionen beruhigend schnell versickern, hat sich die Kritik an Handke in der Realität festgebissen.
Es geht um Kriegsverbrechen und die Stellung, die der Autor dazu eingenommen hat. Es gibt Betroffene und mit ihnen Sympathisierende, die sich mit jedem Recht kritisch äußern.
Es ist auch eine wichtige Diskussion mitgelaufen über die etwaigen Verpflichtungen der Literatur, die sich selbst der Realität öffnet, gegenüber den Menschen. Es gibt jene, die das ablehnen, und die sich dahingehend geäußert haben. Und nein, Handke kann diese Debatte, wie er es in Griffen versucht hat, nicht einseitig beenden.
Und dennoch: Man kann Handkes Serbienposition vehement ablehnen – und von der schulterschließenden öffentlichen Empörungseinigkeit, die sich gegen einen Künstler auch aufbauscht, zunehmend betroffen sein.
Handke sah sich selbst, in unverständlicher Fehlwahrnehmung, in Serbien als Medien- und Autoritätsverabscheuer, der gegen Vorverurteilungen und einseitige Medienerzählungen anritt.
Geschenkt, solche Ein-Personen-Medienkritiker gibt es heute im billigen Hunderttausender-Pack, nicht zuletzt auf Twitter und Facebook. Und gerade dort schaukelt sich der Sturm gegen Handke immer weiter aus eigener Energie auf.
Was zählt es da, dass Handke selbst das Massaker von Srebrenica später als „das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das nach dem Krieg begangen wurde“, bezeichnet hat?
Dass er eben nicht aus Loyalität zu Milosevic gehandelt habe?
Sind wir jetzt wieder gut?
Natürlich nicht. Die Diskussion ist nicht mehr einfangbar. Von Handke kursieren längst Spott-Memes, die zugleich lustig und bedenkenswert sind. Muss man hier festhalten, dass in gefährliche Gassen kommt, wer – egal welcher Motivlage geschuldet – Künstler an den Pranger stellt? Das zu schreiben scheint genauso überschüssig wie die Debatte um Handke.
Der ist, bei aller Wertschätzung für sein Werk, eine höchstens achtelöffentliche Figur. Überhaupt: Jeder von uns wäre unter ordentlichem Druck, auch nur drei der zehn letzten Nobelpreisträger zu nennen. Und ja, jede Biografie – darauf verwies Eva Menasse in einem schlauen Text in der Zeit – besteht aus nicht viel anderem als aus Brüchen und Wunden und offenen Fragen. Wer würde diese gegen alle anderen verteidigen können?
Es ist ja ironisch, dass genau der Nobelpreis an den Innerlichkeitskünstler Handke eine Fehlstelle aufdeckt: Es fehlen Sorgsamkeits- und Verhältnismäßigkeitsmechanismen in Diskussionen im Sozialmedienzeitalter. Darüber sollten wir, ganz unbitter, als Nächstes diskutieren, aber dann bitte ernsthaft.
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