Klein, aber beachtlich: 40 Jahre Kabarett Niedermair
„Humor“. Das sei die Mindestanforderung, die man laut Andreas Fuderer mitbringen sollte, wenn man im Kabarett Niedermair auftreten möchte. „Und dort auftreten, das will jeder“, sagt Kabarettist David Stockenreitner dem KURIER. „Denn das Niedermair hat einen hohen Stellenwert in der Szene. In den Spielplan aufgenommen zu werden, ist nicht selbstverständlich. Umso schöner ist es, wenn man es geschafft hat“, sagt der 33-jährige Kärntner. Er ist einer von wenigen, der es geschafft hat – nun steht er mehrmals pro Jahr auf der kleinen Bühne in der Lenaugasse in Wien-Josefstadt. Das nächste Mal am 9. Jänner.
Laut Betreiber Andreas Fuderer, der mit seinem Freund Fritz Aumayr seit 2011 auch den Stadtsaal in Wien-Mariahilf führt, bekomme man monatlich zehn bis zwanzig Auftrittsanfragen aus dem deutschsprachigen Raum. Vieles davon sei brauchbar, das meiste aber aus unterschiedlichen Gründen nicht fürs Niedermair geeignet. „Von zwanzig Anfragen ist unter Umständen eine geeignet und von den Geeigneten schafft es dann etwa ein Zwanzigstel, sich längerfristig zu behaupten. Die Wahrscheinlichkeit liegt demnach bei etwa 1:400“, schätzt Fuderer. Oder anders formuliert: Es gelingt nur sehr selten.
Sprungbrett
Gegründet wurde die kleine Kabarettbühne hinter dem bekannten Café Eiles vor 40 Jahren von Nadja Niedermair. Die Eröffnung fand am 21. Oktober 1983 statt. Mit einer acht Quadratmeter großen Auftrittsfläche, Ikea-Bestuhlung und einem Toilettenweg direkt vorbei an der Bühne alles andere als pompös, waren Otto Grünmandl, Andreas Vitásek oder Kurt Weinzierl unter den ersten Künstlern, die hier auftraten. Bereits im Frühjahr 1984 fand das erste „Sprungbrett“ statt, eine Chance für den Kleinkunstnachwuchs, die u. a. Josef Hader, Thomas Maurer oder die Truppe Schlabarett rund um Alfred Dorfer, Roland Düringer und Andrea Händler nutzten. Nach einem großen Umbau Anfang der 1990er-Jahre drückte der Kabarettist Karl-Ernst Stangl alias I Stangl dem Niedermair ein Jahrzehnt lang seinen Stempel auf, förderte Leute wie Gery Seidl, Thomas Stipsits oder Severin Groebner, baute die bis heute existierende Kindertheater-Schiene auf und übergab 2001 schließlich an Doris Ringseis. Seit 2004 ist Andreas Fuderer fürs Programm verantwortlich. Aus der Sicht des 54-Jährigen bildet dieses die aktuelle Situation des modernen Kabaretts ab. „Aktuell freuen wir uns besonders darüber, dass endlich mehr Frauen den Weg auf die Bühne finden“, sagt Fuderer. Eine davon ist Maria Muhar. Für die 37-jährige Newcomerin ist das Niedermair eine wichtige Bühne, um in der Kabarettszene Fuß zu fassen. Es sei ein Ort des künstlerischen Austauschs und des Kennenlernens. „Was ich dort als Künstlerin besonders schätze, ist die Möglichkeit, die Bühne tagsüber zum Proben verwenden zu können. So einen Raum zur Verfügung zu haben, ist in einer Produktionsphase unschätzbar viel wert.“
Heimat
In der Kabarett-Szene schätzt man das Niedermair nicht nur als wichtige Bühne zur Stückentwicklung, sondern auch als Karriere-Sprungbrett. „Für mich ist es noch mehr – nämlich Heimat“, sagt Marina Lacković alias Malarina, deren preisgekröntes Programm „Serben sterben langsam“ 2020 im Niedermair Premiere feierte. Für Stockenreitner sei das Haus weder zu klein für bekannte Künstler noch zu groß für Newcomer. Es treffen dort also die verschiedensten Stufen der Karriereleiter aufeinander.
Wer noch nie im Niedermair war, „gehört rechnerisch zur absoluten Mehrheit der Menschheit, hat aber was verpasst“, sagt der Kabarettist Thomas Maurer, der das Niedermair als Petrischale für keimende, als Rampe für durchstartende Talente bezeichnet.
Diese Talentförderung hat aber auch seinen Preis. Nach den Corona-Wirren der letzten Jahre befinde man sich laut Fuderer finanziell in einem Findungsprozess. „Die Stadt Wien schießt jährlich zwar 120.000 Euro an Förderung zu, aber es bräuchte das Doppelte“, sagt Fuderer, dem der Humor hoffentlich noch lange nicht ausgeht.
Interviews
Der KURIER hat bei zwei Kabarettistinnen und zwei Kabarettisten nachgefragt, was das Besondere am Niedermair ist. Den Anfang macht David Stockenreitner.
KURIER: Wann sind Sie zum ersten Mal im Niedermair aufgetreten?
David Stockenreitner: Das war Anfang 2020
Welche Rolle, welchen Stellenwert hat das Niedermair in der österreichischen Kabarettszene?
Das Niedermair hat einen wahnsinnig hohen Stellenwert. Jede*r Kabarettist*in will dort spielen. In den Spielplan aufgenommen zu werden, ist nicht selbstverständlich.
Umso schöner ist es, wenn man es geschafft hat.
Was bedeutet das Niedermair für Sie? Was verbinden Sie mit dem Niedermair?
Mit dem Niedermair verbinde ich die Namen der besten Kabarettist*innen Österreichs.
Wie wichtig ist es, dass man als Künstler solche Orte wie das Niedermair vorfindet?
Das Niedermair ist weder zu klein für bekannte Künstlerinnen und Künstler, noch zu groß für Newcomer. Es treffen also die verschiedensten Stufen der Karriereleiter aufeinander. Vor allem, wenn an einem Abend mehrere Künstler nacheinander auftreten, bietet sich die Möglichkeit, unmittelbar voneinander zu lernen.
Was zeichnet diese Bühne aus, was unterscheidet es von anderen Spielstätten?
Ich bin mal im Niedermair gestolpert und hingefallen. Wir Menschen mit Körperbehinderung markieren durchs Hinfallen unser Revier und deshalb fühle ich mich dort richtig zu Hause. Denn: Im Niedermair zu spielen ist eine Sache. Aber ich habe den Boden gespürt. Wer kann das schon von sich behaupten?
War das Niedermair für dich eine Art Karriere-Sprungbrett?
Ich bin kein guter Springer. Das Niedermair war für mich ein Karriere-Ziel. Nicht das einzige, aber ein sehr großes.
Was kann man im Niedermair und sonst nirgendwo machen?
Man kann im Niedermair vom Backstagebereich direkt auf die Bühne gehen, ohne über Stufen oder Treppen steigen zu müssen.
Für mich als Menschen mit Körperbehinderung ist das sehr nice.
Wer noch nie im Niedermair war, ist …
… wahrscheinlich nicht in Wien wohnhaft. Und auf jeden Fall kein Kabarett-Fan.
INFOS: David Stockenreitner wurde soeben mit dem Großen ScharfrichterBeil (deutscher Kleinkunstpreis) ausgezeichnet. Die nächsten Termine im Niedermair sind am 9. Jänner, am 5. März und am 7. Mai.
Maria Muhar
Wann sind Sie zum ersten Mal im Niedermair aufgetreten?
Maria Muhar: Am 8. Oktober 2022
Welche Rolle, welchen Stellenwert hat das Niedermair in der österreichischen Kabarettszene?
Das Niedermair war und ist für viele Künstlerinnen und Künstler eine wichtige Bühne, um in der Kabarettszene Fuß zu fassen. Neben den Vorstellungen, ist es auch ein Ort des künstlerischen Austauschs und des Kennenlernens.
Was bedeutet das Niedermair für Sie? Was verbinden Sie mit dem Niedermair?
Speziell im Jahr vor meiner Premiere bin ich phasenweise mehrmals die Woche ins Niedermair gegangen. Ich finde es für die eigene Arbeit oft sehr hilfreich das künstlerische Handwerk anderer Kabarettistinnen und Kabarettisten zu analysieren und daraus übergeordnete Fragen an die eigenen Konzepte abzuleiten. Abgesehen davon genieße ich es einfach ins Kabarett zu gehen und an die Sitze im Niedermair habe ich mich auch schon (fast) gewöhnt (lacht).
Wie wichtig ist es, dass man als Künstlerin solche Orte wie das Niedermair vorfindet?
Sehr. Was ich dort als Künstlerin auch schätze ist die Möglichkeit, die Bühne tagsüber zum Proben verwenden zu können – also solange es sich nicht mit den Probenzeiten anderer Kolleginnen und Kollegen oder einer der Kindertheater-Vorstellungen spießt. So einen Raum zur Verfügung zu haben ist in einer Produktionsphase unschätzbar viel wert! Darüber hinaus gibt es auch technisch viele Möglichkeiten, was die Umsetzung von unterschiedlichen künstlerischen Stilen und Formaten fördert.
Was zeichnet diese Bühne aus, was unterscheidet es von anderen Spielstätten?
Für mich ist die Diversität des Programms hier immer spannend: neben ein paar altbekannten Hasen und big names stehen Newcomer, von denen man vielleicht erst wenig gehört hat. Es ist einfach eine sehr abwechslungsreiche Bühne und das ist wohl mit ein Grund warum oft ein relativ junges Publikum anzutreffen ist.
War das Niedermair für dich eine Art Karriere-Sprungbrett?
Ja.
Was kann man im Niedermair und sonst nirgendwo machen?
Tagsüber ins Kindertheater gehen und abends ins Kabarett; sich wie in einem Kleinkunst-Flugzeug fühlen; am Dienstag zwei Kabarettvorstellungen hintereinander anschauen; viele neue Künstlerinnen und Künstler in kurzer Zeit kennenlernen
Wer noch nie im Niedermair war, ist …
... vielleicht zu beneiden, weil er oder sie noch einiges zu entdecken hat.
Maria Muhar: "Storno". Die nächsten Termine im Niedermair: 12.01.2024 | 26.02.2024 | 30.03.2024 | 29.04.2024
Thomas Maurer
Wann sind Sie zum ersten Mal im Niedermair aufgetreten?
Thomas Maurer: 1988
Welche Rolle, welchen Stellenwert hat das Niedermair in der österreichischen Kabarettszene?
Das Niedermair ist immer teils Petrischale für keimende, teils Rampe für durchstartende Talente gewesen und kommt dieser Aufgabe erfreulicherweise immer noch nach.
Was bedeutet das Niedermair für Sie? Was verbinden Sie mit dem Niedermair?
Ohne das Niedermair bzw. dessen damalige graue Eminenz I Stangl wäre ich schlicht nicht Kabarettist geworden. Mich hat es damals eine reine Rauschlaune ins Lokal gespült, und ehe ich mich‘s versah, hatte ich schon einen Vertrag unterschrieben, zu dessen Einhaltung ich mein erstes Programm schreiben musste.
Wie wichtig ist es, dass man als Künstler solche Orte wie das Niedermair vorfindet?
Ohne Bühnen, auf denen man (sich) ausprobieren kann, gäbe es das gesamte Metier nicht. Das solche Orte von Leuten betrieben werden, die eine Leidenschaft für das Genre und das Entdecken von Talent haben, versteht sich eigentlich von selbst, ist aber trotzdem nicht selbstverständlich. Man sollte hie und da „Danke“ sagen. Danke.
War das Niedermair für dich eine Art Karriere-Sprungbrett?
Definitv
Wer noch nie im Niedermair war, ist …
... gehört rechnerisch zur absoluten Mehrheit der Menschheit, hat aber was verpasst.
Thomas Maurer: "Zeitgenosse aus Leidenschaft". Die nächsten Termine im Niedermair: 07.01.2024 | 12.02.2024 | 08.04.2024 | 26.05.2024 | 10.06.2024
Malarina
Wann sind Sie zum ersten Mal im Niedermair aufgetreten?
Malarina: 20. August 2020, 22 Uhr, Serben sterben langsam
Welche Rolle, welchen Stellenwert hat das Niedermair in der österreichischen Kabarettszene?
Das Niedermair ist für mich und viele andere Künstlerinnern und Künstler unsere Heimatbühne. In der Szene ist das Niedermair die wichtigste Aufbaubühne, aber als solche sehe ich sie nicht. Für mich ist es Heimat.
Was bedeutet das Niedermair für Sie? Was verbinden Sie mit dem Niedermair?
Mit dem Niedermair verbinde ich mein Debüt und all die Panik und Freude die ich an jedem Abend durchlebte.
Wie wichtig ist es, dass man als Künstler*in solche Orte wie das Niedermair vorfindet?
Enorm wichtig. Ohne kleine, renommiere Bühnen gibt es keinen Weg in die Szene für Newcomer*innen. Trotz des Renommees bekommt man als Künstler*in auch mit wenig Erfahrung und Referenzen eine Chance, wenn das Haus an das Material glaubt.
War das Niedermair für dich eine Art Karriere-Sprungbrett?
Auf jeden Fall! Ein wichtiges Sprungbrett.
Was kann man im Niedermair und sonst nirgendwo machen?
Im Niedermair kann man Backstage die Türe öffnen, vor dem Publikumsausgang, und so jeder und jedem persönlich eine gute Nacht wünschen-
Wer noch nie im Niedermair war, ist …
… klaustrophobisch?
Malarina: "Serben sterben langsam". Nächster Termin im Niedermair: 08. Mai 2024.
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