Die Filme basieren auf einem realen Fall, der Entführung und Ermordung des elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler im Jahr 2003. Damals sah eine Behörde erstmals in Europa die Folter als legitimes Mittel an, um zur Rettung eines Kindes ein Geständnis zu erpressen. Daraus entstand eine rechtsethische Diskussion, die bis heute anhält. Schirach geht es dabei um die Grenzen eines Strafrechts, in dem zwar das Recht, aber nicht immer die Gerechtigkeit siegt.
KURIER: Sie spielen den Anwalt Konrad Biegler, der einen Mann verteidigt, der ein Kind entführt haben soll und vielleicht sogar schuldig ist. Wie nahe ist Ihnen die Figur dieses Verteidigers im Zwiespalt zwischen Recht und Rechtsprechung?
Klaus Maria Brandauer: Alles, was ich auf einer Bühne mache, ist nichts anderes als eine Gerichtsverhandlung. So hat es ja angefangen in der Antike, im griechischen Theater. Man sitzt zu Gericht über Menschen. Ganz gleich, ob ich nun Wallenstein, Don Carlos oder Romeo spiele – ich bin sein Ankläger und sein Verteidiger, sein Freund, aber auch sein Feind. Ich habe immer ein ganz besonderes Vergnügen daran, wenn ich zwischen diesen Zugängen hin- und herspringen kann. Bei Shakespeare, Schiller, Goethe oder Grillparzer ist man damit von vornherein gut aufgehoben. Wenn man das nicht tut, wird es schnell eindimensional. Und so habe ich natürlich auch die Figur in dieser Verfilmung von Ferdinand von Schirach angelegt.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem Anwalts- und Schauspielerberuf?
Meinem Vater, der ein deutscher Beamter war, hätte es sicher gefallen, dass ich jetzt sogar einen Strafverteidiger spiele. Er wollte unbedingt, dass ich mich für Jura entscheide. Selbst als ich schon an der Hochschule für Musik und Theater in Stuttgart begonnen hatte zu studieren, bestand er darauf, dass ich ihn jedes Wochenende besuche, um mir die Schauspielerei doch noch auszureden (lacht).
Das ist ihm zum Glück nicht gelungen…
Er war einfach besorgt, wie das alle Väter wären, weil ein künstlerischer Beruf eben keine „g’mahte Wies’n“ für einen ist. Ich habe erst viel später bemerkt, dass er alle Zeitungsberichte und Kritiken über mich ausgeschnitten und gesammelt hat.
Hatten Sie in Ihrer Jugend Vorbilder, die Sie zum Theater gebracht haben?
Meine Theaterleidenschaft wurde nicht durch einen Schauspieler ausgelöst, sondern durch eine Opernaufführung in Verona, die ich mit meinen Eltern besuchte, als wir auf der Rückreise vom Adriaurlaub waren. Es wurde die „Tosca“ gegeben und auf der Bühne stand ein baumlanger schöner Mensch als Cavaradossi: Franco Corelli. Dem glaubte ich alles, und so bin ich vor sechzig Jahren beim Theater gelandet. Mein erstes Interview im KURIER, als ich Anfang der Siebziger gerade nach Wien gekommen war, stand übrigens unter dem Titel: „Corelli ist an allem schuld“.
Was halten Sie von Politikern, die meinen, dass Recht und Gesetze nicht der Gesellschaft dienen sollen, sondern der Politik?
Ganz ehrlich: Gar nichts! Ich möchte hier auf gar keinen Fall einer allgemeinen Politikverdrossenheit das Wort reden, auch wenn es dafür viele gute Gründe gäbe. Ich versuche, hinter jedem Politiker den einzelnen Menschen zu sehen und ihn mit diesen Maßstäben zu messen. Das fällt aber für viele nicht sehr günstig aus. Aufgrund der Macht, die ihr auf Zeit zugestanden wird, hat die Politik auch eine hohe Verantwortung. Wer dem nicht gerecht werden kann oder will, hat da nichts zu suchen, Punkt! Und wer meint, dass er sich Recht und Gesetz zu eigen machen kann, der verspielt nicht nur seine eigene Zukunft, sondern die von uns allen!
Wie sieht ein respektvolles Miteinander zwischen Politik, Recht und Gesellschaft für Sie aus?
In einer Demokratie darf der Respekt der Menschen vor den Politikern auf keinen Fall größer sein als jener der Politiker vor den Menschen. Politiker müssen sich schon durchsetzen, müssen Mehrheiten gewinnen, um handeln zu können. Aber wenn dafür jedes Mittel recht ist, dann ist eine Grenze überschritten. Es geht schon darum, alle Argumente anzuhören und dann abzuwägen, wie man zur besten Lösung kommt. Als junger Mensch habe ich gedacht, dass ich mit den Mitteln des Theaters für eine bessere Welt kämpfen kann. Ob das funktioniert, da bin ich mir zwar schon lange nicht mehr sicher, aber ich mache weiter. Der Rechtsanwalt Biegler, den ich in der neuen Schirach-Verfilmung spiele, sagt einen Satz, den ich voll unterschreiben kann: „Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der nur gut oder nur böse ist.“
Würde es Sie reizen in die Politik zu gehen?
Ich bin aus dem Alter raus, wo es angezeigt ist, über Alternativen und verpasste Chancen zu spekulieren. Das geht auch am Leben vorbei, wir sind als Bürger ja ohnehin durch und durch politische Wesen, auch wenn viele das nicht wahrhaben möchten. Auch wenn wir nichts sagen, sind wir nicht aus der Verantwortung entlassen, Schweigen macht mitschuldig. Das ist der Grund, warum ich jetzt wieder meine Stimme erhoben habe, was die Situation auf Lesbos angeht. Die Lage für die geflüchteten Familien ist aktuell schlimmer, als sie es im Lager Moria je war. Unsere Regierung muss auf die zahlreichen Hilfsangebote aus ganz Österreich reagieren und eine schnelle humanitäre Lösung ermöglichen!
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