Ferdinand von Schirach: Die Varianten von Schuld und Strafe

Ferdinand von Schirach bei der ROMY-Verleihung 2017
Der Berliner Anwalt hat zum dritten Mal Schicksale skelettiert .

Passt bestens zur Reform der Reform des Strafrechts, weil angeblich höhere Strafen notwendig sind:

Neue Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach, nach "Verbrechen" und "Schuld" steht jetzt "Strafe" im Mittelpunkt (und im Titel), und zum ersten Mal hat man bei ihm das Gefühl, an den Fällen, die erzählt werden, ist nichts echt – zumindest sind sie aufgemöbelt, auf Sensationell hergerichtet.

Gut, man kann sich irren, vielleicht kennt Schirach, Strafverteidiger in Berlin, ja tatsächlich eine Frau, die ihren untreuen Mann mittels der Perlenkette seiner Geliebten ausrutschen und zum Pflegefall werden ließ (und unbehelligt blieb).

Es erinnert halt eher an einen Fln Kinoflm mit Bette Davis.

Schwächen

Oder er weiß um das Geheimnis eines bösen Alten, eines neidigen, eifersüchtigen Mannes, der sich eines Morgens mit vollem Gewicht auf die Stoßstange des Autos seines Nachbarn stellte.

Die Wagenheber knickten um. Unter dem Auto, es war ein Jaguar, lag ... der Nachbar. Er wollte die kaputte Ölwanne austauschen.

Auch hier: ein Toter und keine Strafe für den Täter. Denn es gab keine Zeugen, also war es bloß ein bedauernswerter Unfall.

Über die sowieso härtere Strafe: nämlich dass man so sein muss, wie man ist, dass man mit sich selbst leben muss ... darüber steht hier nichts. In einem früheren Buch hat der Autor festgehalten: "Den Einzigen, denen wir nicht vergeben können, das sind wir selbst. Und daran scheitern wir."

Wieder sind seine "Stories" skelettierte Schicksale. Er schneidet in die Menschen und legt ihre Schwächen frei, manchmal ihre großen Schwächen.

Kein anderer kann zurzeit mit einfachen, klaren, Schulaufsatz-kompatiblen Sätzen derart elegant wirken und beim Lesen große Emotionen auslösen.

Bei seinen Romanen "Der Fall Collini" und "Tabu" gelang das nicht, sie waren üppig, und Ferdinand von Schirach philosophierte.

Ohne einen Fall zu kennen, ist es einfach, hohe Strafen zu fordern. Man wird jetzt zwar nicht, wie im Justizdrama " Terror" – darf man 184 Menschen töten, um 70.000 zu retten? – direkt zum Urtteilen aufgefordert. Aber bei einigen Geschichten kann man’s / wird man’s machen.

Von Schirach nennt "ihn" Meyerbeck. Seine Frau verließ ihn. Nach einem Jahr vereinsamte er total und kaufte eine teure Sexpuppe. Er verliebte sich in sie. Das kommt vor. Immer öfter kommt so etwas vor.

Jemand aus seinem Wohnhaus war über den Balkon in die Wohnung eingestiegen, hatte die Puppe – wie sagt man? – missbraucht, um Meyerbeck zu verletzen, Meyerbeck hat den Täter ausgeforscht und ihn mittels Baseballschäger Schlüsselbein und Rippen gebrochen und Zähne ausgeschlagen.

Der Richter erkannte: Es zwar Rache war, aber nicht wegen einer Silikon- und Stahlkonstruktion. Sondern Rache wegen der Vergewaltigung der Lebenspartnerin.

Eine Bewährungsstrafe reichte da völlig.

Ferdinand von Schirach: „Strafe“ Luchterhand Verlag. 192 Seiten. 18,50 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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