"Blutstück" bei den Wiener Festwochen: Aus dem Großmeer entsteht ein Wir

Fünf Darsteller in Kostümen stehen auf einer Bühne vor einem dunklen Hintergrund.
Kim de l’Horizon macht bei den Festwochen aus dem „Blutbuch“ eine Körperbefragung mit Publikum.

Wenn sich gesellschaftliche Debatten um den Körper zu drehen beginnen, dann heißt es anschnallen: Da geht es dann um Fragen der pursten Machtausübung, und rasch um die giftigsten Emotionen. 

Die Themen sind unterschiedlich – sie reichen vom hierzulande gut eingeübten Sexismus über das Kopftuch bis hin zum Verschaffen von Körpern von dort nach hier, vulgo Migration. Zuletzt fand sich im 3-D-Schach des Kulturkampfes ein neues, sehr kleines, wenn auch heftig durchemotionalisiertes Spielfeld, jenes der Geschlechteridentität vom Non-Binären bis zum Trans. Wie weit das, was sich zwischen den Beinen so tut, mit dem übereinstimmen muss, wie man sich selbst wahrnimmt, das wurde zur Entscheidungsschlacht im Zusammenleben hochgejazzt.

Wie immer, wenn auf allen Seiten nur mehr Kampfpositionen nachgeplappert werden, hilft – ein Buch. Jenes von Kim de l’Horizon nämlich. 

Das „Blutbuch“ lässt aus der aufgeheizten Debatte die Luft raus. Kim de l’Horizon spielt mit biografischem Material derart beglückend, dass sich die non-binäre Existenz plötzlich passgenau in eine weibliche Familien-, ja Gesellschaftsgeschichte einfügt, und die laute „Wer einen Penis hat, ist ein Mann“-Debatte als Nebenschauplatz einordnet.

Zwei Personen sitzen auf einer Bühne, eine berührt das Gesicht der anderen.

Achtsamkeit

Das Buch sei aber gescheitert, sagte Kim de l’Horizon selbst auf der Bühne des Volkstheaters; andere sollten durch das Buch gehört werden, das sei nicht gelungen.

Deswegen ist die Bühnenadaption des „Blutbuches“, die nun im Rahmen der Wiener Festwochen zu sehen ist, ganz anders geworden. 

Eine Szene aus dem Theaterstück „Blutstück“ mit vier Darstellern auf einer blauen Bühne.

Es fängt an mit einem umgedichteten Robbie-Williams-Song, „Feel“: „Mein Körper spricht eine Sprache, die ich nicht verstehe“, heißt es darin nun, und genau darum sollte es dann für 100 Minuten gehen, um Körper und all die Fragen, die die so mit sich bringen.

Jede der Performerinnen - sie sind die aufgefächerte Großmeer, die Großmutter, um die sich das "Blutbuch" dreht - bekommt ein Solo, in dem andere Aspekte des Körperhabens thematisiert werden, man singt, sinniert – und klettert in die ersten Publikumsreihen, um dort zu interagieren, nein, eigentlich um Zustimmung abzuholen, und das ist die unerklärlichste Schwachstelle des gemischten, von der deutschen Regisseurin Leonie Böhm inszenierten Abends. Diese Publikumsanimationen bilden immer ein ungutes Machtgefälle ab, das den spontan zum Teil der Aufführung gewordenen Menschen in die Enge treibt, das hätte gerade bei diesem Achtsamkeitsabend auffallen müssen.

Auch, dass Lukas Vögler Körper improvisatorisch klassifiziert – Ausgeh-Körper, Feierabend-Körper –, verwunderte diesbezüglich. 

Sonst geht es um die Vorfahrinnen und die Furcht und die Stärken, die diese vererbten, um Vorder- und Hintertüren (ja, genau) und, mit einer Dosis Therapiejargon, ums Sich-Öffnen trotz der Angst hin zu einem „Wir“, das, dem Applaus nach, auch entstanden ist. 

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