Kim, nonbinäre Titelfigur des Buches, entwirft eine fünfteilige Geschichte des Weiblichen. Um sich zu verstehen, um die Frauen ihrer Familie - Meer, also Mutter, und die an Demenz erkrankte Großmeer, also Großmutter - und ihre Verwundungen zu verstehen, um die blutreichen vergangenen Leben ihrer weiblichen Vorfahren zu verstehen. Es geht hier um Verwundungen und die Lust daran, um das Patriarchat und die Leben, die den Frauen verwehrt wurden, und am Schluss geht es um einen Befreiungsschlag eines Menschen, der sich zwischen all den Geschlechterwunden dem Schrecken beider Historien verwehrt.
Regisseur Paul Spittler teilt diesen inneren Monolog auf fünf Performerinnen und Performer auf, die vorderhand verschiedene Aspekte der Queerness abbilden, aber auch hier verfließen die Grenzen. Das Buch purzelt von der schonungslosen, aber freundlich bleibenden Innenschau zur Ansprache der Großmeer zur Recherche über einen Nazi-Gartenspezialisten; all das wird getreu auf der Bühne rezitiert, man bewundert die Bewältigung der Textmengen. Konflikte werden im wahrsten Sinne des Wortes zugedeckt.
Dicke rote Riesenwollfäden werden zuerst zum wärmenden Pulli und dann zu jenen Fäden, in denen sich auch die Erzählung verstrickt, mit Absicht und weil es nicht anders geht, das Leben ist immer kompliziert.
Die Namen der autofiktiven Vorfahrinnen - vergewaltigt, unterdrückt, an der Liebe gehindert, eingesperrt fürs Kinderkriegen - Kims werden an die Wand geschrieben, als könnte man deren Leben so bewahren, es wird gesungen und getratscht und einander widersprochen. Es geht um das Weibliche und auch die Brutalität, die den Ungewöhnlichen entgegengebracht wird, damals und heute. Es geht um das Verschwiegene in Familien und den Schmerz, den das Nachfragen bringt. Es geht darum, dass Biografien alle fiktiv sind - auch von jenen, die normal tun.
Schon gelöst die Pausensituation, in der die Performer weiter performen, da weiß man aber schon, dass es eine Stunde weniger auch getan hätte, es werden fast drei werden. Am Ende hat man eine szenische Lesung mit einem Plus hintendran erlebt, die so stimmig erscheint, dass man sich fragt, wie das "Blutbuch" bei den Festwochen zum "Blutstück", also zum Theater werden soll. Herzlicher Applaus.
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