"Keine koordinierte Verantwortungslosigkeit": documenta wird neu aufgestellt

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Deutschlands Kulturministerin Roth will, dass der Bund inhaltlich mitredet. Ex-Kuratoren der Kunstschau sollen Findungskommission bilden

 Bei der documenta fifteen in Kassel sollte sich 100 Tage lang alles um Kunst drehen. Stattdessen wurde die neben der Biennale in Venedig bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst wegen immer neuen Antisemitismus-Vorwürfen zum Politikum. Im Zuge des Eklats waren Rufe nach einer tiefgreifenden Strukturreform der documenta laut geworden.

Deutschlands Kulturstaatsministerin Claudia Roth Möglichkeiten will nun die Möglichkeiten staatlichen Handelns ausloten. „Ich möchte eine Klärung über die Fragen: Was heißt eigentlich Kunstfreiheit? Wo sind die Grenzen? Was ist kuratorische Verantwortung? Wo hat sich der Staat gefälligst rauszuhalten? Also wo ist die Grenze staatlicher Einflussnahme? Wo ist es in unserer Demokratie eindeutig geregelt?“, sagte Roth der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin. Aktuell werde dazu ein Gutachten in ihrem Haus ausgewertet. Der Bund hatte sich 2018 aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen, die Ausstellung aber weiterhin mit 3,5 Millionen Euro gefördert. „Eine weitere finanzielle Beteiligung des Bundes bedingt auch eine inhaltliche. Es muss dann auch eine Form der Mitsprachemöglichkeit geben. Wir sind gerade dabei, das zu klären", so Roth zur dpa.

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Die Hauptträger der Schau sind indes die Stadt Kassel und das Bundesland Hessen. Ein Sprecher der Stadt teilte mit, die Stadt strebe keine Veränderung ihrer Gesellschafteranteile an der documenta an.  Aus dem hessischen Kunstministerium hieß es, die Stadt Kassel und das Land Hessen hätten sich im Sommer „auf das gemeinsame Ziel verständigt, die Verfehlungen beim Thema Antisemitismus auf der documenta fifteen und die strukturellen Defizite aufzuarbeiten." Der Expertenbericht, dessen Veröffentlichung nun ansteht, soll Details ausführen. 

Neuer Findungsmodus

Auch die Findungskommission der documenta fifteen war im Zuge des Antisemitismus-Eklats um die Schau in die Kritik geraten. Die acht Mitglieder hatten die Wahl der umstrittenen Kuratoren verteidigt und sie unterstützt.  Die künstlerischen Leitungen der documenta in Kassel werden alle fünf Jahre von einer Findungskommission bestimmt. Erstmals sollen nun ehemalige Künstlerische Leiter der Schau einen Vorschlag für die Zusammenstellung der Findungskommission benennen.

Wie documenta-Geschäftsführer Ferdinand von Saint André kürzlich mitteilte, zählen dazu Rudi Fuchs (documenta 7, 1982), Catherine David (documenta X, 1997), Roger M. Buergel (documenta 12, 2007), Carolyn Christov-Bakargiev (documenta 13, 2012) und Adam Szymczyk (documenta 14, 2017). Die künstlerische Leitung der documenta fifteen, das Kuratorenkollektiv Ruangrupa, hatte auf eine Beteiligung verzichtet.

"Trauriger Schleier" gegen multiple Perspektiven

Roth spricht von einem tiefen, traurigen Schleier, der über dieser documenta liege und über dem, was an Ängsten, an Verletzungen entstanden sei bei Jüdinnen und Juden und an Entsetzen bei allen. „Es darf künftig nicht mehr so eine Art koordinierte Verantwortungslosigkeit geben, bei der plötzlich gar niemand mehr verantwortlich ist“, betonte sie.

Das zehnköpfige Kuratorenteam Ruangrupa selbst sieht die documenta fifteen indes nicht als gescheitert. „Dass in der Öffentlichkeit vor allem über Antisemitismus gestritten wurde, ist nichts, was ich bedaure - es ist wichtig!“, sagte Reza Afisina kürzlich im Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“. Es mache keinen Sinn, Kuratoren aus dem Ausland einzuladen und ihnen dann erst mal zu erklären, was gehe und was nicht, sagte sein Kollege Iswanto Hartono. „Wenn Sie auf der documenta nur die deutsche Perspektive haben wollen, brauchen Sie keine internationalen Kuratoren zu holen. Laden Sie einfach Deutsche ein: deutsche Kuratoren, deutsche Künstler, keine Probleme, keine Diskussion. Aber wenn Sie ein internationales Format wollen, dann müssen wir diskutieren.“

Die sechzehnte documenta soll vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfinden.

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