"Ich bin ein Liebhaber der Welt"

Linker, Liberaler, Konservativer? „Ich bin oft nicht einer Meinung mit mir,“ sagt Karl-Markus Gauß über Karl-Markus Gauß
Der Essayist und Herausgeber wird 60 – "die höchste Kunst ist die Lebenskunst".

Die Literatur ist sein Metier – "schreibend werde ich ein besserer Mensch" lautet sein Credo. Karl-Markus Gauß ist eine der wichtigsten Kritikerstimmen Österreichs – was Literatur, aber auch, was den Zustand unserer Gesellschaft betrifft. Am Mittwoch wird der Salzburger Essayist, Feuilletonist, Chronist und Herausgeber 60 Jahre alt.

KURIER: Es heißt, wer als Junger kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer's als Alter immer noch ist, kein Hirn. Sie vertreten mit 60 noch immer linke Positionen und haben erwiesenermaßen Hirn. Wie bringen Sie das unter einen Hut?

Karl-Markus Gauß: Ich habe es nie angestrebt, ein Mensch zu sein, der mit sich immer in schöner Harmonie liegt. Ich hadere vielmehr mit mir, weil ich oft nicht einer Meinung mit mir bin. Was das Sozialpolitische betrifft, stehe ich weiter links als alle Parteien, die ich kenne; was das gesellschaftliche und alltägliche Leben anbelangt, bin ich ein klassischer Liberaler. Und wenn es um bestimmte Lebensformen geht, um kulturelle, aber auch künstlerische Sachen, dann bin ich manchmal so konservativ, dass ich vor mir selber erschrecke. Wie ich das als Mensch zusammenbekommen: nun, mit Selbstironie. Und literarisch? Indem meine Literatur, zum Beispiel meine Journale, von denen es immerhin schon vier gibt, dialogisch angelegt sind. Das heißt, sie sind Aufforderungen zur Auseinandersetzung, zum Gespräch mit dem, was dort behauptet wird, und diese Aufforderung gilt auch für mich selbst. Die Journale sind auch ein streitbares Selbstgespräch.

Wenn Sie gerne mit sich selbst streiten: geht es da auch um Optimismus und Pessimismus? Sie sind ja, was Literatur betrifft, Kritiker, Skeptiker und Förderer gleichzeitig.

"Ich bin ein Liebhaber der Welt"
Ob ich mich gerade gegen etwas empöre oder für etwas einsetze: Ich bin jedenfalls ein Liebhaber der Welt. Der keine Zeile schreiben würde, wenn er davon nicht überzeugt wäre (oder sich selber schreibend immer wieder davon zu überzeugen imstande wäre), dass es die Welt und die Literatur wert sind, dass man bestimmte Dinge radikal verwirft und andere emphatisch preist. Diese Haltung zur Welt ist mir, warum auch immer, schon von meiner Kindheit an mitgegeben. Auch wo ich kritisiere, habe ich ein gewisses Urvertrauen darein, dass meine Kritik mehr ist als eine Bekundung privaten Missmuts oder eine misanthropisch Selbstverliebtheit. Gerade in der Kritik verspüre ich oft eine tiefe Verbundenheit, sogar mit dem, was ich kritisiere, eben weil ich es mir besser wünschte; und überzeugt bin, dass es besser gehen kann.

Oh wie wunderbar ist das! "Ich bin ein Liebhaber der Welt". Herr Gauß, wie ist es Ihnen gelungen, in sechs Jahrzehnten ein solch unzynischer Mensch zu bleiben?

Zynismus ist eine widerwärtige Form von Kritik, die insgeheim mit den schlechten Verhältnissen kollaboriert. Dem Zyniker ist es ja recht, wenn sich die Dinge so schlecht entwickeln, wie er immer schon meinte, dass sie seien. Und wenn ich mich ein wenig hochmütig als Liebhaber der Welt bezeichne, dann sagt das auf jeden Fall auch: dass ich die Welt noch nicht für entdeckt halte. Dass ich mich immer weiter mit ihr beschäftigen möchte. Dass ich hoffe, von ihr noch manchen mir unbekannten Zug zu entdecken. Dass ich mit ihr noch nicht fertig bin; hoffentlich sie mit mir auch noch nicht gar so bald!

Vielleicht war "zynisch" das falsche Wort. Viele Menschen werden aufgrund der Erfahrungen, die sie im Lauf des Lebens machen, verbittert oder enttäuscht. Sie hingegen gehen mit einer erstaunlichen Freude und Offenheit an die Dinge heran. Dabei ist doch nicht nur Politik, sondern auch Kulturarbeit, wie Sie sie leisten , "Bohren harter Bretter."

"Ich bin ein Liebhaber der Welt"
Da möchte ich mich jetzt aber nicht besser machen, als ich bin. Manche Menschen haben auch Anlass, verbittert zu sein, weil ihnen beständig Unrecht widerfährt. Warum sollte jemand, der studiert hat und es trotz bester Qualifikationen nicht über Praktika hinausbringt, mit der Zeit nicht verbittert werden? Oder ein Autor, dem es einfach nicht gelingt, die öffentliche Wahrnehmung zu bekommen, die ihm vielleicht durchaus zusteht? Aber auch ihnen wäre natürlich geholfen, wenn sie darüber nicht in Verbitterung gerieten. Denn Verbitterung ist ja letztlich der letzte Triumph, den das "System" über den feiert, den es besiegt hat. Ich habe das, was ich in den letzten dreißig Jahren getan habe, als Autor von Büchern, als Verfasser von Zeitungstexten, als Herausgeber einer Zeitschrift, als Intellektueller, der sich manches Mal in öffentlichen Streit begeben muss, natürlich nicht immer nur genossen. Manchmal bekommt man beim Schreiben nichts weiter, und das ist kein angenehmes Gefühl. Manchmal muss ich beim Zusammenstellen der Zeitschrift Texte verschieben, deren Verfasserinnen schon sehnsüchtig darauf warten, dass er endlich erscheint. Und oft bekommt man es, wenn man sich für eine bestimmte politische, soziale, kulturelle Sache in die Schanze wirft, mit Gegnern zu tun, die unfair oder schlichtweg auch unwürdig sind. Aber dennoch: Ich finde, der Beruf des freien Autors, der diese von mir angedeutete breite Palette an Entfaltungsmöglichkeiten zur Verfügung hat, ist herrlich. Ich schreibe gern, ich lese gern, ich helfe gern und ich streite gern. Ein österreichischer Schriftsteller, den ich schätze, hat einmal gesagt: Ich lebe, um zu schreiben. Ich habe, als ich es gehört habe, sofort gespürt, da stimmt etwas nicht. Und bin daraufgekommen, dass ich die Sache umdrehen muss: Ich schreibe, um zu leben. Um besser, klüger, mutiger, freier zu werden, schreibend. Und die höchste Kunst ist die Lebenskunst. Der auch die Schreibkunst dient.

Sie sind Reiseschriftsteller, Essayist, Chronist, Kritiker und Herausgeber. Welcher dieser Berufe ist Ihnen der liebste?

Ich betrachte alle diese Tätigkeiten als Teile ein und desselben Berufes, ein und derselben Art, auf der Welt zu sein.

Herr Gauß, zum Geburtstag darf man sich etwas wünschen. Was würden Sie gerne über sich lesen?

"Gauß ist immer so höflich, uns nicht zu langweilen."

Literatur und Kritik

Der Schriftsteller Karl-Markus Gauß (*14. Mai 1954, Salzburg), studierte Germanistik und Geschichte und ist Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“. Der mehrfach ausgezeichnete Literaturhistoriker (u.a. Österr. Kunstpreis für Literatur) hat über 20 Bücher geschrieben, u.a. über Exilliteratur und über Minderheiten

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