Justizirrtum: 16 Jahre zu Unrecht in Haft wegen Vergewaltigung einer Autorin

Justizirrtum: 16 Jahre zu Unrecht in Haft wegen Vergewaltigung einer Autorin
Recherchen nach Netflix-Dreh sorgten für nachträglichen Freispruch. Autorin Alice Sebold war 1981 Opfer einer Vergewaltigung gewesen.

Aktenzeichen XY, aber neu: True Crime, also die Beschäftigung mit echten, meist ungelösten oder komplexen Verbrechen, hat sich für Podcasts und Streamingdienste als überaus erfolgreiches Format etabliert. Manche Produktionen legen den Finger gezielt auf Unebenheiten im Rechtssystem. Und manche Produktionen können diese Unebenheiten sogar überwinden. Auch nun wieder wurden in Folge eines Netflix-Drehs Indizien aufgedeckt, die beweisen, dass jemand unschuldig 16 Jahre im Gefängnis gesessen ist. Der Fall ist dabei komplexer als andere – denn hier geht es um ein Verbrechen, das zwei Leben verbindet, aber auch um jenen komplizierten Ort, an dem sich Realität und Literatur treffen.

Bestseller und Autobiografie

Alice Sebold ist Bestsellerautorin, ihr Buch „The Lovely Bones“ wurde millionenfach verkauft und von Peter Jackson verfilmt. Es geht darin um die Folgen – persönliche, familiäre, gesellschaftliche – einer Vergewaltigung, wie auch in Sebolds autobiografischem Debüt „Glück gehabt“.

Sebold wurde selbst 1981 brutal vergewaltigt.

Verurteilung und Haft

Später erkannte sie den Mann wieder, er wurde verhaftet und verurteilt. 16 Jahre saß er ein, danach fiel es ihm schwer, wieder auf die Beine zu kommen.

Doch Anthony J. Broadwater war unschuldig. Sein Verfahren war derart fehlerhaft, dass seine Verurteilung nun, nach bald 40 Jahren, rückwirkend aufgehoben wurde.

Recherche für Netflix

Den Ausgangspunkt für diese Neubetrachtung brachte laut New York Times die geplante Verfilmung von „Glück gehabt“ für Netflix. Produzent Timothy Mucciante bemerkte Diskrepanzen zwischen der Autobiografie und dem Script – und engagierte, nachdem er die Produktion verlassen hatte, einen Privatdetektiv.

Der sammelte Beweise für Broadwaters Unschuld. Ein Anwalt brachte den Fall erneut vor Gericht. Und zwei Lebensgeschichten mussten umgeschrieben werden.

„Es tut mir leid“

Broadwater, der immer auf seiner Unschuld bestanden hatte, zeigte sich erleichtert. Auch darüber, dass sich Sebold bei ihm öffentlich entschuldigte. „Es tut mir leid“, schrieb sie, insbesondere, dass Broadwater „das Leben zu Unrecht geraubt wurde, das er hätte leben können“. Sie versuche zu verstehen, wie das passieren konnte – und damit umzugehen, dass ihr wirklicher Vergewaltiger ungeschoren davongekommen ist. Broadwater sei Opfer eines „fehlerhaften Systems“. „Glück gehabt“ soll nun umgeschrieben werden, das Filmprojekt bei Netflix ist abgeblasen.

Viele Fragen bleiben.

Sebold hatte bei der polizeilichen Gegenüberstellung Broadwater nicht erkannt. Die Art, wie damals Indizien gegen ihn gesammelt wurden, ist wegen unzureichender Aussagekraft längst eingemottet worden. Trotzdem wurde er verurteilt, und es liegt nahe, hier auch wieder auf die Schieflage der US-Gerichtsbarkeit gegenüber Schwarzen zu verweisen. Insbesondere, da der Fall nun innerhalb weniger Tage aufgerollt wurde, während andere Justizopfer umsonst auf rechtliche Hilfe warten.

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