Jürgen Vogel: "Es gibt kein Leben ohne Schuld"

Jürgen Vogel: "Es gibt kein Leben ohne Schuld"
Der Schauspieler über seinen neuesten Film "Gnade", Wandelbarkeit und Unsympathler.

Vereiste Gefühle in einer eisigen Gegend zeigt der deutsche Regisseur Matthias Glasner in seinem Beziehungsdrama "Gnade". Ein nach Norwegen ausgewandertes Ehepaar, dargestellt von Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr, ist mit seiner Beziehung eigentlich schon am Ende, als ein Unfall passiert, bei dem ein 16-jähriges Mädchen zu Tode kommt. Maria, die Frau, hat das Mädchen in der Nacht überfahren. Das schreckliche Geheimnis, das Maria und Niels fortan teilen, schweißt sie wieder zusammen. Da der Fall offiziell nicht geklärt werden kann und sie wissen, dass sie davonkommen, erteilen sie sich selbst Gnade.

"In der Theorie sollte man Gnade walten lassen", sinniert Jürgen Vogel, der noch selten so raubeinig und zugleich so verletzlich zu sehen war wie als Ehemann im Zwiespalt zwischen Gerechtigkeit und Loyalität zu seiner Frau, im KURIER-Gespräch. "Doch manchmal schafft man es nicht zu verzeihen." Dass Maria und Niels für sich selbst beschließen, Gnade walten zu lassen, findet er in Ordnung: "Es gibt kein Leben ohne Schuld. Wenn Menschen so etwas für sich entscheiden, hat das mit Selbstgerechtigkeit sicherlich gar nichts zu tun. Menschen machen Fehler, und natürlich versuchen sie, sich auch in dieser Fehlerhaftigkeit zu verbinden."

Glück trotz Schuld

Aber glücklich Darf man trotz Schuld glücklich sein, wie das Niels und Maria plötzlich wieder sind? – "Die Frage hat mit dem Film nichts zu tun, finde ich. Deswegen ist sie für mich gar nicht zu beantworten. Menschen versuchen immer, glücklich zu sein oder, besser gesagt, mit schwierigen Situation umzugehen." Vogel warnt vor Vorurteilen: "Die sind immer schwierig und problematisch. Wer sich auf die Reise mit den beiden einlässt, der macht auch seine Erfahrungen damit und lebt mit ihnen mit."

Gedreht wurde das spröde und dialogarme, aber atmosphärisch dichte Drama im norwegischen Hammerfest, wo während des sechswöchigen Aufenthalts permanent zweistellige Minustemperaturen herrschten – "Gefühlte minus 40 Grad durch den eisigen Wind", erinnert sich Regisseur Glasner mit Schaudern. Haben die extremen Verhältnisse am Eismeer den Gemütszustand aller Beteiligten beeinflusst? – "Gar nicht", grinst Vogel, der in einer Szene sogar halbnackt durchs eisige Wasser läuft. "Wir hatten eine wunderbare Drehzeit. Mitunter die besten Dreharbeiten, die ich je hatte." Die unwirtliche Umgebung habe alle erst richtig zusammengeschweißt: "Es war eine total harmonische Stimmung im Team, eingeschlossen alle Norweger, die mitgemacht haben." Die Wucht der Natur zwinge geradezu zum Zusammenhalt: "Wenn dir bei minus 30 Grad die Batterie ausfällt, dann erfrierst du. Aber da sind sofort Nachbarn zur Stelle und helfen dir. Es geht ums Überleben."

Böser Junge

Wie auch hier in "Gnade" spielt Vogel immer wieder unbequeme und grenzwertige Charaktere, nie die Angepassten und Braven. Er protestiert: "Das stimmt so nicht. Wenn man sich meine Filmografie genau ansieht, sieht man auch sehr viele leichte Rollen, die ich gespielt habe." Aber, so räumt er ein, "ich setze halt Prioritäten".

Der Wechsel zwischen Fernseh- und Kinofilmen ist für Vogel unverzichtbar: "Beides hat seinen Reiz, und ich mache beides sehr gern. Ich glaube, dass wir Schauspieler ein ganz breites Spektrum an Möglichkeiten haben. Wir wollen eigentlich alles erleben."
Er habe auch keine Probleme, sich mit seinen Figuren zu identifizieren: "Ich habe generell keine Distanzen zu meinen Figuren. Es ist mir privat auch schon oft so gegangen, dass ich Menschen getroffen habe, die ich anfänglich nicht gut fand und die ich dann später doch sehr mochte."

 

 

Zur Person

Jürgen Vogel ist einer der eigenwilligsten deutschen Schauspieler - Irgendwie hat man das Gefühl, er ist omnipräsent: Im "Tatort" ebenso wie in der TV-Serie "Schillerstraße". In Unterhaltsamem wie "Kleine Haie" oder "Keinohrhasen" so wie in schwer Verdaulichem wie "Die Welle" oder "Der freie Wille". Der gebürtige Hamburger ist ein Workaholic – und ein Chamäleon. Einer, der gern mit schwierigen Charakteren glänzt: Kidnappern, Dealern, Vergewaltigern. "Seine Rollenwahl liest sich wie ein Auszug aus dem Strafregister", ätzte vor Kurzem die deutsche Zeitschrift "Gala".

An der Münchner Schauspielschule hielt es Vogel, Jahrgang 1968, nur einen einzigen Tag aus. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen und ans Kämpfen für seine Ziele gewöhnt, ging er mit 15 von zu Hause weg und schlug sich auch so durch: Zog nach Berlin, wo er sich eine Wohnung mit Schauspielkollege Richy Müller teilte. Gab 1984 sein Schauspieldebüt und war 1985 erstmals im Fernsehen zu sehen: in dem nicht weiter erwähnenswerten Film "Bas-Boris Bode".

Durchbruch als "Hai"

Den Durchbruch schaffte Vogel, der zwischendurch als Koch, Paketausfahrer und bei einem Partyservice arbeitete, 1992 mit Sönke Wortmanns "Kleine Haie". Als besonders fruchtbar erwies sich für ihn die Zusammenarbeit mit Matthias Glasner, dem er, wie er sagt, "überallhin blind folgen würde": Für seine Darstellung eines brutalen Vergewaltigers in Glasners "Der freie Wille" erhielt Vogel bei der Berlinale 2006 einen Silbernen Bären. Als Glasner nun nun das extreme Projekt "Gnade" vorschlug, sagte Vogel sofort wieder zu.

Als Nächstes wird der vierfache Vater, der mittlerweile bei 80 Filmen hält, in Oskar Röhlers neuem Kinofilm "Quellen des Lebens" zu sehen sein. Der Kinostart ist für Anfang 2013 geplant. Und auch im Fernsehen wird der Mann mit den schiefen Zähnen im Jänner wieder zu sehen sein: In der großen Berliner Familienchronik "Das Adlon: Ein Hotel. Zwei Familien. Drei Schicksale".

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