Jüdisches Museum: "Manche Werke haben für Irritationen gesorgt"
Die Ausstellung, mit der sich Barbara Staudinger als Direktorin des Jüdischen Museums Wien (JMW) vorstellt, will vielleicht zu viel: Sie beschäftigt sich nicht nur mit Vorurteilen über Juden, sondern auch mit Missverständnissen unter Juden – inklusive israelkritischen Fragestellungen. Und sie illustriert die vielen Konfliktpunkte mit zeitgenössischer Konzeptkunst, die in einer Kunsthalle richtig verstanden würde, aber bei einem Publikum, das sich an Marc Chagall oder Arik Brauer erfreuen will, auf völliges Unverständnis stößt.
Es hagelte daher Kritik – in erster Linie von jüdischer Seite. Gefordert wurden Konsequenzen, Abänderungen und sogar das Sperren der Schau. Barbara Staudinger gibt sich kompromissbereit, will von ihrem Weg aber nicht abrücken.
KURIER: Danielle Spera, Ihre Vorgängerin, hatte einen alles andere als leichten Start, weil sie die Hologramme prominenter Juden abbauen ließ. Dabei ging Glas zu Bruch, die damalige Chefkuratorin Felicitas Heimann-Jelinek verließ das Haus. Nun gibt es wieder eine riesige Aufregung. Ist sie beim JMW systemimmanent?
Barbara Staudinger: Bei einem Wechsel in der Leitung sind eben die Augen auf das JMW gerichtet. Viele erwarten sich, dass alles anders wird. Und man hat spezifische Erwartungshaltungen. Wenn diese dann nicht genau so eingelöst werden, bergen sie einen potenziellen Konflikt. Aber es gibt keinen mit dem Team.
Sie haben einen neuen Chefkurator bestellt.
Hannes Sulzenbacher ist erfahren im Machen von Ausstellungen für jüdische Museen. Das JMW hat den Wechsel gebraucht, um an internationale Standards anzuschließen.
Er ist aber nur halbtags Chefkurator.
Weil er gleichzeitig QWIEN, das Zentrum für queere Geschichte, leitet. Beides unter einen Hut zu bekommen, ist für ihn eine Challenge. Aber er ist eine große Bereicherung.
Die Aufregung nahm seinen Ausgangspunkt mit der Eröffnung: Sie haben die Musikerin und Sängerin Isabel Frey eingeladen, deren propalästinensische Gesinnung bekannt war. Warum dieser Affront?
Sie hat ein Musikprogramm, in dem sie Stereotype über Juden witzig zerlegt. Das passt perfekt zur Ausstellung. Ich habe sie ja nicht zu einem Vortrag über Israel eingeladen, sondern um gemeinsam mit Benjy Fox-Rosen drei Stücke zu spielen. Ich hätte mir nie gedacht, dass dieser Auftritt skandalisiert werden könnte. Die Israelitische Kultusgemeinde hatte bereits eine Podcast-Folge über deren Musik veröffentlicht. Und Isabel Frey hat schon zuvor im JMW gespielt.
War Ihnen nahegelegt worden, auf Frey zu verzichten?
Nein, aber man hat mir eine Nähe zur BDS (die Kampagne "Boycott, Divestment and Sanctions" kritisiert die israelische Okkupation arabischen Landes, Anm.) unterstellt. Das weise ich entschieden zurück.
In unserem ersten Interview haben Sie auf die Frage "Verunmöglicht die Nähe zur IKG nicht Fragestellungen – etwa zur Siedlungspolitik Israels?" geantwortet: "Als Museum in Wien einen rezenten politischen Konflikt in Israel zu kommentieren, fände ich prinzipiell falsch." Warum haben Sie es trotzdem getan?
Ich habe keinen rezenten politischen Konflikt in Israel kommentiert.
Die "zionistische Expansionspolitik" wird als Faktum erwähnt. Sie bleibe, ist im Katalog zu lesen, "auch im innerjüdischen Diskurs nicht unumstritten". Der Aufschrei von jüdischer Seite war groß. IKG- Präsident Oskar Deutsch hat sich bedankt, dass nach seiner unmittelbar geäußerten Kritik die "antizionistischen Begleitschilder" geändert wurden.
Die Formulierung war missverständlich, die Erwähnung der israelischen Siedlungspolitik legte eine falsche Interpretation des ausgestellten Kunstwerks von Danielle Durchslag nahe. Das ist leider durchgerutscht. Daher die Abänderung. Auch für die Fotocollage von Alan Schechner (ausgemergelte Buchenwald-Insassen samt "Diet Coke"-Dose, Anm.) gilt: Es handelt sich um eine künstlerische Aussage, aber nicht um die Meinung des Museums.
Victor Wagner, Präsident der B’nai B’rith Österreich, kritisiert die Thematisierung der Mauer zum Westjordanland im Zusammenhang mit dem Vorurteil, dass Juden "nichts aus der Schoa gelernt" hätten.
Die Arbeit von Ken Goldman – zwölf Mauerelemente aus Olivenholz, stellvertretend für die zwölf Stämme Israels – hat eine fast romantische Geste. Sie birgt die Hoffnung, dass die Elemente einmal, nach dem Fallen der Mauer, ein "Israel Souvenir" werden könnten.
Es wird also doch ein "rezenter politischer Konflikt" kommentiert. Wagner befürchtet, dass man das JMW auf "skandalträchtiges Terrain" drängt, wenn "berufsmäßige Israelkritiker als Berater am Werk gewesen sein" sollten.
Die Mauer ist kein "rezenter politischer Konflikt". Was ich mit meinem Satz gemeint habe: Ich sehe das JMW nicht als den richtigen Ort, um tagesaktuell die Politik in Israel zu kommentieren, also zum Beispiel die neue Regierung.
Wagner meint, dass "hochsensible, teilweise schmerzliche" Themen aufgegriffen würden, die aufgrund der Komplexität in der Ausstellung nicht befriedigend abgehandelt werden können. Ähnlich argumentiert auch Deutsch: "Ein großer Teil des jüdischen Publikums empfindet die Ausstellung in ihrer jetzigen Form als untragbar."
Ich verstehe, dass es Ängste gibt. Aber sie sind unbegründet. Es gibt keine Evidenz dafür, dass die Ausstellung Antisemitismus hervorrufen würde. Und ich erhalte auch keine Rückmeldungen, dass ein großer Teil des Publikums ein Problem mit der Ausstellung hat. Meine Erfahrung ist, dass viele Besucher sehr positive Erlebnisse haben. Manche Kunstwerke haben aber für Irritationen gesorgt, daher ziehen wir eine weitere Kontextualisierungsebene ein und gehen ausführlicher auf die Objekte ein.
Bei Ihrer Pressekonferenz zu "100 Missverständnisse unter und über Juden" sagten Sie: "Diese Ausstellung steht programmatisch für die Neuausrichtung des JMW." Es gibt daher die große Sorge, dass es in dieser Tonalität weitergehen wird. Deutsch fordert Konsequenzen ein, Paul Lendvai sogar das Schließen der Ausstellung, also Cancel Culture. Werden Sie sich beugen?
"Programmatisch" meint, dass wir einen anderen Zugang zu Themen wählen. Ich bin angetreten, ein vielfältiges Programm zu machen, das gesellschaftspolitisch relevant ist. Auch der Wunsch der Politik in der Ausschreibung war Veränderung. Diesen Weg werden wir gemeinsam weitergehen.
Die Schau "What colour are the Jews?" haben Sie aber auf unbestimmt verschoben …
Weil das Konzept noch nicht ausgereift ist. Es braucht mehr Recherche. Wir canceln die Ausstellung nicht, wir verschieben sie. Was wir ab Ende Juni stattdessen zeigen, wissen wir noch nicht. Wir werden in Ruhe darüber nachdenken.
Barbara Staudinger, 1973 in Wien geboren, ist seit Juli 2022 Direktorin des Jüdischen Museums. Sie studierte u. a. Geschichte und Judaistik. Ab 2018 leitete sie das Jüdische Museum Augsburg Schwaben. Ihre erste große Ausstellung (bis 4. Juni) für das JMW spürt im Palais Eskeles "100 Missverständnissen über und unter Juden" nach: Sie "hinterfragt und parodiert sie oder begegnet ihnen mit einem augenzwinkernden Lachen" (jmw.at)
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