Barbara Staudinger fordert Holocaust-Museum: "Es ist beschämend"
Noch laufen die Ausstellungen, die Danielle Spera, bis zum Juni Direktorin des Jüdischen Museums Wien, programmiert hat: „Love me Kosher“ (bis 13. November im Palais Eskeles) erklärt mit viel Kunst, dass die jüdischen Schriften „in einem erfüllten Sexualleben eine Voraussetzung für eine glückliche Ehe“ sehen. Und im Museum Judenplatz erzählt man bis 19. März die Geschichte des 1951 vom jüdischen Unternehmer Alfred Weiss eröffneten Cafés Arabia am Kohlmarkt.
Barbara Staudinger, die Nachfolgerin von Spera, hat aber ein Zeichen gesetzt: Sie zeigt im Eskeles-Extrazimmer die Video-Doku „Apologies v 2016.2“ von James T. Hong, in der sich Staatsoberhäupter entschuldigen – beginnend mit dem deutschen Kanzler Willi Brandt, der 1970 vor dem Denkmal des Warschauer Gettoaufstandes auf die Knie fiel: „Sie entschuldigen sich in einem symbolischen Akt der Reue für staatlich angeordnete oder sanktionierte Verbrechen. Sie bitten um Verzeihung und beteuern, dass sie alles tun würden, damit solche Gräueltaten nicht mehr passieren können.“ Doch die Verbrechen gehen weiter.
Staudinger, geboren 1973 in Wien und aufgewachsen in Kaisermühlen, hat keine jüdischen Wurzeln. Sie fühlt sich trotzdem berufen, das JMW zu leiten: „Würde es etwas meiner Arbeit hinzufügen, wenn ich Jüdin wäre? Es geht um das Museum – und nicht um mich. Meine Wurzeln sind unerheblich, da ich mich ja nicht selber ausstelle. Vielmehr geht es um meine Expertise und diese habe ich, denke ich, gezeigt.“
Staudinger studierte Geschichte und Theaterwissenschaften – und konzentrierte sich auf Geschichte von Minderheiten: „Meine Diplomarbeit beschäftigte sich mit protestantischer Identität in der Reformationszeit. Danach wurde ich gefragt, ob ich bei einem Forschungsprojekt zur jüdischen Geschichte mitarbeiten will. Ich sagte ja – und stellte fest, dass sich alles, was mich an Geschichte der Minderheiten, auch der religiösen Minderheiten, interessiert, in der jüdischen Geschichte zusammenfügt. Mir fiel zudem auf, dass man als Historikerin die Geschichte aus einer bestimmten Perspektive, jener der Obrigkeit, untersucht. Das war mir zu wenig. Daher habe ich Judaistik studiert. Mir war die Innenperspektive, die Perspektive aus jüdischer Sicht wichtig. Sie wäre mir ohne Sprach- und Quellenkenntnisse verschlossen geblieben.“
„Was ist jüdische Kunst?“
Nach ihrer Promotion 2001 konzipierte sie etliche Ausstellungen, von 2005 bis 2007 war sie Kuratorin am Jüdischen Museum in München. Die Leitung des JMW war 2009, als eine Nachfolge für Karl Albrecht Weinberger gesucht wurde, keine Option: „Ich fühlte mich damals zu jung und unerfahren.“
Ab 2018 war sie Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg – und nun ist sie in ihrer Heimatstadt zurück. Ein neues Logo wird es nicht geben (zu teuer, zu kompliziert), eine neue Handschrift aber schon. Dazu gehört für Staudinger auch ein selbstkritischer Umgang auf allen Ebenen. Es sei daher eine Selbstverständlichkeit, Provenienzforschung zu betreiben.
Staudinger will sich auch der Frage stellen, warum die Brandmarkung von Juden durch jüdische Museen fortgesetzt wird. Denn sie präsentieren zum Beispiel ausschließlich jüdische Künstler – oder stempeln Künstler als Juden ab, obwohl sich diese nicht als solche definieren. „Eine spannende Frage, die mich schon lange beschäftigt“, sagt Staudinger. „Heutzutage würde kein Mensch zulassen, dass eine Identität über ihn gestülpt wird.“
Aber wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? „Indem ein jüdisches Museum das Problem anspricht. Es muss sich in jeder Ausstellung fragen: Was ist jüdisch? Und: Was ist jüdische Kunst? Wenn der Künstler Jude ist? Klammer auf: Wenn ja, nach welcher Definition? Nach den Nürnberger Rassengesetzen? Klammer zu. Oder wenn das Thema in welcher Hinsicht jüdisch ist? Oder gibt es diese Kategorie überhaupt? Ist es wichtig, das zu kategorisieren? Meines Erachtens geht es beim Ausstellen von Kunst um die Kunst – und nicht allein um die Biografie des oder der Kunstschaffenden. Und wenn ich die Biografie eines Künstlers thematisieren will, ist es vielleicht besser, dies mit Fotos aus dem Familienalbum zu machen.“
Um genau diese Dilemmata geht es auch in der ersten von Staudinger verantworteten Schau – sie trägt den Titel „100 Missverständnisse über und unter Juden“ und wird am 29. November eröffnet: „Das Museum wird sich also selbstkritisch fragen, wie es selbst dazu beiträgt, Stereotype und Missverständnisse zu bedienen. Die Ausstellung prüft die These, dass viele Vorurteile auf einem Missverständnis fußen. Ein Missverständnis ist zum Beispiel, dass Juden moralisch höher stehen müssten, weil sie etwas aus dem Holocaust gelernt haben. Die Ausstellung ist zudem eine gute Gelegenheit, die eigene Sammlung zu hinterfragen: Stützen Objekte der Sammlung Vorurteile oder falsche beziehungsweise problematische Bilder von Juden?“
„Das wird spannend!“
Die Schau wird bis 4. Juni laufen, danach widmet sich das JMW der Frage: „What colour are the Jews?“ Es geht um Kolonialismus: „Das wird spannend!“ Und auch über eine neue Dauerausstellung will Staudinger nachdenken, da die gegenwärtige zehn Jahre alt ist: „Ich will jetzt nichts niederreißen, aber ich sehe dieses Datum als Starschuss.“ Ausgangspunkt des Sinnierens soll die Frage sein, ob es überhaupt eine Dauerausstellung braucht. Denn die Realisierung kostet viel Geld, und es gibt weniger Platz für Wechselausstellungen.
Barbara Staudinger selbst befürwortet eine Dauerausstellung, das Palais Eskeles erscheint ihr aber zu klein dimensioniert: Sie wünscht sich einen Neubau – in der Leopoldstadt, in der sich das Getto befand: „Ein jüdisches Museum muss im 2. Bezirk sein.“ Staudinger ist aber Realistin: „Jetzt ist wohl nicht die richtige Zeit dafür. Es ist auch nicht dringend. Aber es braucht eine Perspektive.“
„Wo ist das Holocaust-Museum?“
Staudinger plädiert zudem für ein Holocaust-Museum: „Viele unserer amerikanischen Besucher sind enttäuscht, weil der Holocaust in der Dauerausstellung nicht breit dargestellt wird. Unsere Mitarbeiterinnen sagen dann: ,Wir sind ein jüdisches Museum.‘ Worauf die Frage kommt: ,Und wo ist das Holocaust-Museum?‘ Eigentlich müsste man antworten: ,Österreich ist zwar zusammen mit Deutschland das Täterland, aber leider ist uns das Thema nicht wichtig genug. Es gibt bloß im Hinterhof des alten Rathauses eine doch recht versteckte Ausstellung des Dokumentationszentrums des österreichischen Widerstands.‘“
Was sie mit Nachdruck sagen will: „Der Holocaust bleibt aktuell. Ein eigenes Museum ist nicht länger wegzuargumentieren. Es ist beschämend, dass es derart lange wegargumentiert wurde.“
Nachsatz: „Und wenn es einem, ich polemisiere jetzt, wirklich leidtut, was im Nationalsozialismus passiert ist, dann errichtet man es auf dem Heldenplatz.“ Dort, in der Neuen Burg, befindet sich das Haus der Geschichte der Republik, das in Wechselausstellungen oft die NS-Zeit thematisiert: „Das reicht nicht!“
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