Joachim Ringelnatz: Erzähle aus dem Inmirland

Maler, Dichter, anarchischer Clown, notorischer Alles-ins-Gegenteil-Verkehrer: viel Leben in 51 Jahren
Eine neue Biografie erzählt von den Abgründen des ewigen Schabernacks.

Meine Liebe wird mich überdauern und in fremden Kleidern dir begegnen", rezitierte die dänische Schauspielerin Asta Nielsen aus seinem Gedicht "An M.", als Joachim Ringelnatz am 20. November 1934 begraben wurde.

Sie, die gute Freundin, in der er "eine große Barfußmädchenseele" gesehen hatte, richtete diese Zeilen an Ringelnatz’ Frau Leonharda, von ihm zärtlich-verschroben "Muschelkalk" genannt.

Muschelkalk lebt nicht mehr, niemand, der Ringelnatz kannte, lebt noch, aber vergessen ist er nicht, schreibt Hilmar Klute in seiner Biografie "War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz" über den Schriftsteller, Maler und Kabarettisten Joachim Ringelnatz und zitiert dessen Schüler Peter Rühmkopf: "Sein luftiger Mythos ist einfach nicht aus der Welt zu kriegen."

Spleeniger Dichter

Man kennt ihn als literarischen Erfinder, Kindskopf, spleenigen Typen, leibhaftigen Schabernack, der alles ins Gegenteil verkehrte. Dichter grotesker Lyrik ("Ein männlicher Briefmark") und (tief-)sinniger Aphorismen ("Der Nachruf ist meistens besser als der Ruf"). Mit seinem 1924 erschienenen Berlin-Roman "…liner Roma…" schuf er einen der ersten deutschsprachigen Großstadtromane.

Auch wenn nicht jeder den Verfasser kennt – Joachim Ringelnatz’ Lebensweisheiten spuken heute noch im kollektiven Gedächtnis herum. Die Abgründe dieses Mannes mit den schelmisch-traurigen Augen, die allerdings sind nur wenigen bekannt.

In seiner auf eigene Weise sehr poetischen Biografie beschreibt der Essayist Hilmar Klute eben jene Unbekannten dieses sensiblen Künstlers und Zeitdiagnostikers, der ein etwas eigenartiger, und doch sehr liebenswürdiger Mensch gewesen sein dürfte. Der sich stets ein wenig fremd blieb, seine Kunst jedoch "als großes Geschenk" empfunden haben muss. In seinem Gedicht "Pfingsten" spricht Ringelnatz vom "Inmirland" aus dem er Lieder sänge. Und dieses "Inmirland", schreibt Klute, "gehört nicht nur dem Ringelnatz, aber wer kann uns schöner aus diesem fremdfernen Land erzählen als er?"

Klutes Weg zu Ringelnatz, geboren am 7. August 1883 in Sachsen als Hans Bötticher, war so einfach wie ungewöhnlich. Ringelnatz steht im Berliner Telefonbuch. Dort lebt heute der Sohn aus der zweiten Ehe der Witwe des Dichters, Muschelkalk. Sie hinterließ Manuskripte, Briefe und Erinnerungen. Klute konnte aus diesem privaten Nachlass ebenso wie aus den Archiven schöpfen, bevor er Ringelnatz’ Leben hinterher reiste. Zu den Städten, die Ringelnatz berühmt machten und ins Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts.

Betrunkener Matrose

Geboren als Sohn eines dichtenden Tapentenentwerfers in Sachsen, war der kleine Mann mit der enormen Nase noch kurz vor seinem Tod der Mittelpunkt der Berliner Bohème. Zu seinem 50. Geburtstag kamen 130 Schauspieler und Künstler.

Als Kabarettist gab er den betrunkenen Matrosen und begeisterte sein Publikum mit anarchistischem Spaßprogramm. Schon bevor er zum Pseudonym Joachim Ringelnatz fand (nach dem seemännischen Namen für das glücksbringende Seepferdchen), publizierte er Romane und Lyrik, war Hausdichter im Münchner Lokal Simplicissimus, befreundet mit Künstlern wie Erich Mühsam und Frank Wedekind.

Joachim Ringelnatz: Erzähle aus dem Inmirland
RINGELNATZBIO
Doch Ringelnatz misstraute dem Ruhm, kannte die Abgründe der Seele – "fremdfern" war ein Lieblingswort. Seine düsteren Gemälde offenbarten ihn, ebenso wie viele seiner Bücher, als radikalen Künstler. Nicht zuletzt die Zeit als Seemann hinterließ Narben – er hatte, nachdem er wegen einer Tätowierung der Schule verwiesen wurde, bei der Handelsflotte angeheuert und den Krieg als Marinesoldat verbracht.

In den Zwanzigern wird er im Berliner Kabarett "Schall und Rauch" berühmt, hat als Maler und Dichter Erfolg. Doch die Zwischenkriegsjahre sind von Inflation und wachsender Kunstfeindlichkeit geprägt. 1933 erteilen die Nazis Ringelnatz Auftrittsverbot, seine Bücher werden aus Bibliotheken entfernt. Am 17. November 1934 stirbt der fast völlig mittellose Ringelnatz in Berlin an Tuberkulose.

INFO: Hilmar Klute: „War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz.“ Galiani. 240 Seiten. 20,60 Euro. ab Februar.

Kommentare