Joachim Meyerhoff: „Es muss immer enden im Schrecken“
Am Vormittag des 13. Dezember 2018 gab das Burgtheater bekannt, dass Joachim Meyerhoff erkrankt sei. Steven Scharf übernehme dessen Part als Lucas in „Medea“ von Simon Stone nach Euripides. Die Premiere finde, wie geplant, am 20. Dezember statt.
Was war passiert? Im Theater hüllte man sich in Schweigen. Angedeutet wurde lediglich, dass es sich um eine ernste Sache handeln würde. Und dass keiner absehen könne, wie lange Meyerhoff ausfallen werde. Daher habe sich Karin Bergmann, damals Direktorin, nicht zu einer Verschiebung, sondern zu einer Umbesetzung entschlossen.
Eine Woche zuvor, am 5. Dezember, hatte der KURIER mit Caroline Peters und Meyerhoff im Pausenbuffet der Burg ein Doppelinterview über das Stück geführt. Es hätte am 16. Dezember in der Sonntagsausgabe veröffentlicht werden sollen. Der Plan war nun hinfällig geworden.
Beim Interview, unmittelbar nach der Probe, war Meyerhoff aufgekratzt – wie immer. Er sprach allerdings viel weniger als Peters. Was natürlich auch daran lag, dass es um die tragische Heldin ging.
In seiner „Medea“ verlegt Stone die Handlung ins Heute: Anna hat in einem Pharmakonzern erfolgreich Medikamente entwickelt. Und nebenbei dem Laborgehilfen, der ihr Mann wird, auf die Sprünge geholfen – wie Medea, die ihrem Jason ermöglichte, das Goldene Vlies zu stehlen. Es gibt aber keinen Dank: Jason wendet sich Glauke, der Tochter des Königs Kreon, zu – und Lucas beginnt ein Verhältnis mit Clara, der jungen Tochter des Chefs.
Anna kommt über ein verräterisches SMS dahinter und rächt sich: Sie gibt ihrem Mann, dem Vater der gemeinsamen Kinder, Gift. Die Dosis ist derart gering, dass Lucas nur krank wird – und nicht zur Geliebten kann. Irgendwann fliegt die Sache auf, Anna kommt in die Psychiatrie.
Das Stück beginnt mit der Entlassung: Anna träumt vom gemeinsamen Familienleben, doch Lucas will nichts davon wissen. Sie wird gedemütigt, er hat sich das Sorgerecht für die Kinder besorgt. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit also, wenn man bedenkt, dass Anna Lucas dessen Masterarbeit konzipiert hatte.
„Wie der Pascha“
Das kommt öfter vor. Meyerhoff erzählte: „Meine Mutter hat meinem Vater komplett die Doktorarbeit geschrieben. Er hatte zwar alles im Kopf, aber nicht die Ruhe, um sich hinzusetzen und das zu strukturieren. Und dann ist er monatelang, Roth-Händle ohne Filter rauchend, jeden Abend im Zimmer auf und ab gegangen und hat die Doktorarbeit diktiert. Wie der Pascha.“
Meyerhoffs Vater war Psychiater – und leitete ab 1972 die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hesterberg (Schleswig-Holstein). Auch der Vater von Peters war ein solcher. Es gab, wie die Schauspielerin erklärte, einen großen Unterschied: „Wir haben nicht in der Klinik gewohnt.“ Aber: „Mein Vater war ein sehr gewissenhafter Mensch. Zu Weihnachten ging der Chefarzt mit der Gattin und den Töchtern von Bett zu Bett und wünschte ein ,Frohes Fest!’. Er hatte so viel Respekt vor jenen, die dableiben mussten.“
„Schreckliche Zeit“
Meyerhoff hingegen hatte, wie er auch in seiner fiktionalisierten Autobiografie beschreibt, permanent Kontakt mit den Patienten. Beim Interview sagte er: „Das war auch die Idee jener Zeit: Im Landeskrankenhaus ein Teil dessen zu sein – und es zu öffnen. Mein Vater trug keinen Arztkittel mehr, sondern Cord, er sah immer aus wie Günter Grass. Der Versuch, etwas in der Psychiatrie zu ändern, war linksliberal. Trotzdem war es eine schreckliche Zeit. Denn auch wenn mein Vater etwas gegen die Überbelegung getan hat, war es die Hochzeit des Sedierens und der Psychopharmaka. Die wurden von der Psychiater-Riege knallhart verschrieben.“
Peters und Meyerhoff hatten bereits zuvor, 2016, in „Bella Figura“ zusammengespielt. In dieser Komödie von Yasmina Reza wird ein Ehemann beim Tête-à-Tête erwischt. „Im wirklichen Leben ist es natürlich einfacher, die lustige Geliebte zu sein als die betrogene Ehefrau“, sagte Peters.
Die Männer hingegen ähneln sich: Sie sind die Betrüger. Und eigentlich ziemlich schwach. „Es ist da wie dort die Erbärmlichkeit, die sich so reinschmiert in ein Leben. Und die ist trostlos. Dieses Kleingeistige: Das ist bitter in diesen beiden Figuren“, sagte Meyerhoff.
Trotzdem zeigt auch „Medea“: Es ist nach wie vor eine Männerwelt. „Absolut!“, betonte Peters. „Frauen fallen noch immer viel leichter auf der Karriereleiter wieder nach unten. Und die Begabung spielt gar keine Rolle. Denn Anna ist die intelligentere und einfallsreichere Pharmakologin.“
Zum Schluss bringt Anna sich und ihre Kinder um. Wäre es nicht logischer, wenn sie ihren Mann töten würde? Peters argumentierte mit dem Mythos – und der Unvermeidlichkeit dessen, was passiert. Anna würde die ganze Zeit auf ein Zeichen warten, das diese Unvermeidlichkeit abwendet. Aber Lucas setzt kein Zeichen. Der Tod der Kinder würde ihm, so Peters, drastisch vor Augen führen: „Er hätte das alles verhindern können. Aber er hat es nicht getan. Und das soll er lernen. Und Anna fordert ihn auch zum Selbstmord auf: Komm mit uns mit! Sie meint: Denk einmal nach – und dann jag’ dir eine Kugel durch den Kopf.“ Meyerhoff ergänzte bloß: „Es muss immer enden im Schrecken.“
Wir redeten auch über die Zukunft. Peters hatte sich entschlossen, unter Martin Kušej, dem künftigen Direktor, am Haus zu bleiben. Und Meyerhoff? „Ist zu früh. Muss noch gucken. Auch wie das weitergeht mit dem Schreiben.“
„Neuorientierung“
Wie könnte es weitergehen? „Klar will ich weiterschreiben.“ Aber die Tetralogie „Alle Toten fliegen hoch“, die ihn die letzten Jahre begleitet habe, sei beendet: Meyerhoffs Icherzähler, ein junger Schauspieler, hört mit dem Theater auf.
In der Wirklichkeit begann dann Meyerhoffs Durchbruch, er bekam mit Christiane von Poelnitz zwei Kinder und folgte ihr ans Burgtheater. Doch als Autor wollte er diese Zeit nicht verarbeiten. Um niemanden aus der Gegenwart hineinzuziehen. „Und da braucht man schon eine Neuorientierung“, sagte Meyerhoff. „Ich bin – Gott sei Dank! – kein Schriftsteller, der sich darüber definiert, dass er alle zwei Jahre ein Buch schreiben muss. Und dass er kein Schriftsteller ist, wenn er nicht schreibt.“ Daher: „Vielleicht spiele ich auch nur.“
Sich ein Thema zu suchen, lehnte er kategorisch ab: „Das hat so einen komischen Beigeschmack, wenn man sich die Frage stellt: Worüber könnte ich denn jetzt schreiben? Das hatte ich ja nie in meinem Leben. Denn alles, worüber ich schrieb, war da und vor Augen. Also: Mal gucken!“
Und dann erklärte er doch eine Möglichkeit: „Ich könnte die Biografie in die totale Fiktion treiben. Vielleicht bin ich mittlerweile so gut im biografischen Erzählen, dass man den Unterschied zur Fiktion gar nicht mehr merken würde. Am Ende des vierten Romans ist er 30. Im Grunde könnte er jetzt alles machen. Also: Vielleicht fängt er an, ein Eigenleben zu führen. Vielleicht ist das auch völliger Quatsch. Keine Ahnung. Mal sehen.“
Aber es ergab sich: Sein Buch „Hamster im hinteren Stromgebiet“, das am 10. September erscheint, beginnt damit, dass er in der Küche einen Schlaganfall bekommt. Im Interview mit der Zeit sagte er: „Das Erstaunliche war: Ich wusste sofort, was mir widerfährt. (…) Meine linke Körperhälfte verschwand, sie wurde wegradiert innerhalb von drei, vier Minuten, und von dem Moment an war kein Tag mehr wie zuvor.“
„Oft ein Strohhalm“
Doch ganz so stimmt das wohl nicht. Meyerhoff hatte immer wieder Soloprojekte bestritten: „Das war für mich ganz oft ein Strohhalm“, sagte er im Interview am 5. Dezember 2018. Eine Überlebensstrategie – etwa in Bielefeld, wo er todunglücklich war. Oder später, als er am Burgtheater mit seinem Schicksal haderte: Der damalige Direktor Klaus Bachler gestattete ihm, „Alle Toten fliegen hoch“ als sechsteilige Performance-Reihe zu realisieren.
Und so kam es, dass sich Meyerhoff mit dem Nachlass von Ignaz Kirchner beschäftigte, der am 26. September 2018 mit 72 gestorben war. Mit Kirchner hatte Meyerhoff mehrfach zusammengearbeitet – und die beiden waren irgendwie Freunde geworden.
„Weiter, immer weiter!“
Ende April 2019, etwas mehr als vier Monate nach dem Schlaganfall, erlebte das Projekt „Land in Sicht“ im Akademietheater seine Uraufführung. Es handelte sich dabei um eine Hommage an Kirchner, auch wenn Meyerhoff dauernd, jedenfalls bis zur Pause, über sich sprach. Er monologisierte im Wahnsinnstempo, die Anekdoten sprudelten nur so heraus. „Weiter, immer weiter!“ war das halsbrecherische Motto. Nur über seinen Schlaganfall verlor Meyerhoff kein Wort. Und dann ging er nach Berlin.
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