Sein Orchesterstück „Morphonie“, komponiert vom ehemaligen Wunderkind mit 20 Jahren, war all das – und wurde, wie nachfolgende Werke, zum Szene-Skandal. Er schreibe „faschistische Musik“, wurde Rihm in Folge vorgeworfen, wie er der FAZ sagte; ein Urteil, das nur aus dem Gedankensystem der Nachkriegskunst verständlich ist. Die sogenannte Ernste Musik suchte damals im Seriellen, Mathematischen, Rigiden einen Weg, der das Komponieren nach dem Holocaust und seiner radikalen Infragestellung des Humanismus möglich machen sollte. Die Emotion des Tonalen, das sich direkt an die Empfindungen wendet, war in dieser Szene verpönt.
Keine Grabenkämpfe
Rihm hat das aufgebrochen, ohne sich auf diesen ästhetischen Grabenkampf oder eine musikalische Ideologie einschränken zu lassen. Er traf auf Widerstand seiner Kollegen – aber auf ein erleichtertes Publikum, dem er ein umfassendes Angebot machte: Mehr als 500 Werke hinterlässt Rihm, unter den bekanntesten sind seine Kammeroper „Jakob Lenz“, die Bühnenwerke „Die Eroberung von Mexico“, „Die Hamletmaschine“ und „Dionysos“ und, bei der Orchestermusik, „Verwandlung 1–6“, „Nähe fern 1–4“ oder auch „Jagden und Formen“. Rihm wurde mit diesem Schaffen einer der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten.
So gut wie jeden Tag werde irgendwo in der Welt ein Werk von ihm aufgeführt, hieß es 2022 zu seinem 70er, als auch die Salzburger Festspiele Rihm eine Konzertreihe ausrichteten. Der Komponist, der bei Karlheinz Stockhausen studierte und das klassische Repertoire verinnerlicht hatte, wusste auch um die Notwendigkeit, öffentlich präsent zu sein: Den Elfenbeinturm kannte er nur aus der Ferne. Er wusste seine Größe und Artikulationsfähigkeit in Szene zu setzen.
Endlichkeit
Vor Jahren schwer erkrankt, zeigte sich Rihm lange schon mit einem Gehstock. „Die Begegnung mit der eigenen Endlichkeit ist mir seit frühester Jugend nichts Fremdes“, sagte er. „Musik ist ja selbst ein Phänomen, das vergeht. Jeder Ton vergeht. Jeder Mensch, der Musik schafft, geht mit dem Tod um, der zum Leben gehört.“ 72 Jahre alt wurde Rihm, mit ihm verliert die Musik eine unersetzliche Schlüsselfigur.
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