Jelineks "Sonne / Luft" in Graz: Völlig losgelöst von der Erde
Der Steirische Herbst ging eher unbemerkt im strahlenden Spätsommer unter. Als finaler Höhepunkt – das Festival endet heute – fand am Freitagabend als Koproduktion mit dem Grazer Schauspielhaus die österreichische Erstaufführung von Elfriede Jelineks „Sonne / Luft“ statt: als Staunen machende Expedition in unendliche Weiten des Weltalls.
Die mäandernden Texte über die Sonne und die Luft passen von der Thematik her perfekt zum Thema des Festivals, das sich heuer mit der dämonischen Seite unseres Daseins auseinandersetzen wollte (etwa mit der beklemmenden Schau „Demon Radio“ in einem Handymast-Leerstand): „Wird künstliche Intelligenz die Menschheit ersetzen oder erwischt uns der Klimawandel zuerst?“
Die Erstaufführung war zudem Andrea Vilter ein Anliegen. Die neue Schauspieldirektorin – sie folgte auf Iris Laufenberg, die nun das Deutsche Theater Berlin leitet – hatte sich kürzlich mit der Uraufführung des Stücks „Düval und Charmille“ vorgestellt. Das Trauerspiel aus 1778 stammt von der Goethe-Zeitgenossin Christiane Karoline Schlegel und verhandelt einen Femizid. Als Titel für die optisch eindrucksvolle Produktion wurde daher „Von einem Frauenzimmer“ gewählt. Und weil Vilter seit Jahrzehnten Jelinek schätzt, wollte sie hierzulande auch mit der Österreicherin starten.
Die Uraufführung von „Sonne / Luft“ hatte Mitte Dezember 2022 in der Regie des Jelinek-erprobten Nicolas Stemann am Zürcher Schauspielhaus stattgefunden – unter dem Titel „Sonne, los jetzt!“, wie sich der erste Text, ein 20-seitiger Monolog, nennt. Die Sonne, die beim allmählichen Verglühen die Erde vernichtet, wendet sich an ihr lesendes oder hörendes Publikum: „Ich verbrenne die Länder und hinterlasse nichts. “
In der SF-Vision von Regisseur Emre Akal und Dramaturgin Anna-Sophia Güther ist die Erde bereits unbewohnbar. Aber im computergenerierten Werbeclip eines Scientology-Konzerns hat ein neues Kapitel der Menschheit begonnen: Garniert mit vielen Herzen und wunderbaren Naturbildern wird eine glorreiche Zukunft irgendwo versprochen.
Ein bitterer Vorgeschmack
Die Passagiere des überwältigenden Raumschiffs von Mehmet & Kazim – ein riesiges Fenster in Herzform gibt den Blick aufs Weltall mit vorbeigleitenden Kometen frei – nehmen immer wieder die Gehirnwäsche-Botschaft entgegen. Sie fristen aber trotz des Fröhlichmachers „Guten Morgen Sonnenschein“ von Nana Mouskouri ein erbärmliches Dasein in den wie von einem KI-Grafikprogramm ersonnenen, trotz buntester Farben bedrückenden Räumen.
Die fehlende Gravitation führt dazu, dass sie ungelenk und langsam herumgeistern. Andauernd ändern sich Details auf der immerzu rotierenden Drehbühne. Da wird die coole Badewanne (ohne Armaturen!) zum Labortisch oder das plüschige Liebesnest zum Theater. Wirklich anfangen können die Kreaturen aber nichts mit dem Setting. Die Erinnerungen an das Federball- wie Liebesspiel sind eben verblasst. Und so holt man sich im 50er-Jahr-Diner ein Hotdog oder einen Milkshake, ohne genau zu wissen warum. „This is the taste of the future“, verkündet eine Stimme.
Die Sonne lacht sich scheckig
Zumeist aber spricht die Sonne mit verzerrter Stimme (laut Programmzettel „Anna Rausch & KI“) aus dem Off. Sie erscheint auch als Göttin auf einem Bildschirm – hergerichtet als Elfriede Jelinek.
Manche der Handlungen in diesem einstündigen Silent-Movie – untermalt von Eniks bedrohlichem Vokal-Soundtrack – sind völlig unverständlich, aber nicht bloß dadaistisch: Sie beziehen sich, wie man erkennen wird, auf den zweiten Teil. Es gibt zudem eine Art Handlung: Eine der Reisenden wird schwanger, sie gebiert ein Baby – und opfert es der Flammen-Göttin. Die Sonne mit ihren Flecken lacht sich scheckig. Dann herrscht Stillstand an Bord.
In windschiefen Positionen verharrend, geben die drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler – als Ensemble hinreißend – ein paar Brocken aus „Luft“ (70 Seiten) zum Besten. Schlau wird man daraus nicht. Auch Akal dürfte nicht viel damit angefangen haben. Er nimmt die Erde in die Pflicht – und wirft wieder das Wunderwerkl an: „Der Autopilot weiß schon, wo’s lang geht!“ Das Raumschiff dreht sich nun mit dem Uhrzeiger, es geht an Bord viel menschlicher, geradezu ausgelassen zu. Fast ein Happy End. Doch dieses entpuppt sich beim Verbeugen (nach 1 Stunde 40) als Schimäre. Ein Abend mit vielen Wow-Effekten.
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