Jedermann-Protest: Neue Skandale braucht das Land

Der Heldenplatz, ein prägender Ort für Österreich
Warum künstlerische Aufreger so wichtig und die Reaktionen oft beschämend sind.

Bei der Aufführung selbst ist es so gut wie niemandem aufgefallen: Die Musiker der "Jedermann"-Begleitband spielten, aus Protest gegen den im Publikum anwesenden HC Strache, ein paar Takte aus der "Internationale".

Ein subtiles Statement, in der Theatertradition des Extemporierens eine Selbstverständlichkeit.

Zum Aufreger wurde diese Improvisation erst durch die empörten Reaktionen. Reflexartig und geballt konnte man in Internet-Foren lesen, dass subventionierte Künstler gefälligst den Mund zu halten hätten; dass sie in ihrer Eigenschaft als Künstler generell überbewertet wären; und dass Kunst und Politik zwei grundverschiedene Dinge wären. Geübten Kulturbeobachtern kommen diese Positionen bekannt vor, man denke nur an die Haltung gegenüber Elfriede Jelinek, Hermann Nitsch oder Cornelius Kolig und an diesbezügliche FPÖ-Plakate: "Was wollt Ihr: Scholten, Peymann – oder Kultur?"

Eine neue Dimension erreichte die Debatte erst, als sich das Direktorium der Salzburger Festspiele von seinen eigenen Künstlern distanzierte. Das wäre beim ehemaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann oder beim früheren Salzburger Festspielchef Gérard Mortier undenkbar gewesen. Auch "Jedermann" Cornelius Obonya ging in der Folge auf Facebook auf Distanz zu den Vorgängen auf dem Domplatz.

Nur nicht beißen!

Nun ist freilich jedem überlassen, wie er mit politischen Kommentaren auf den diversen Bühnen umgeht. Aber die Vorfälle zeigen, dass schon eine Petitesse, die nicht einmal bemerkt wurde, ausreicht, um in Zeiten der gelebten Anpassung und freiwillig auferlegter Maulkörbe Erregung und Ablehnung zu erzeugen. Das spricht nicht gerade für reife Diskussionskultur und besonderen Mut.

Immer wieder hört man in Österreich die Klage, dass es zu wenige Künstler gäbe, die sich als Repräsentanten intellektueller Diskussionen auch politisch äußern. Ja, wie sollen sie denn, ohne Rückendeckung und bei Festspielen, die in diesem Jahr auch in ihren Produktionen besonders apolitisch sind?

Dabei wäre es so wichtig, auf den Bühnen dieses Landes wieder Skandale zu erleben. Künstlerische und nicht ökonomische, wie sie im Zuge des Abganges von Matthias Hartmann das Burgtheater erschütterten. Denn die Skandale von einst sind oft die Klassiker von heute. Das sei betont, auch wenn der aktuelle Salzburger Anlass von wirklichen Skandalen meilenweit entfernt ist.

Echte Skandale

Als größter Theaterskandal der Nachkriegszeit gilt die Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" 1988, 50 Jahre nach Hitlers tragischem Einzug auf eben diesem Platz. Die mediale Debatte ist unvergessen, die Aufführung in ihrer präzisen Analyse unvergesslich.

Aber auch schon Jahrhunderte davor gab es Skandale um Stücke, die heute fixer Bestandteil der Spielpläne sind. So wurde etwa 1664 nach der Uraufführung von Molières "Tartuffe" von klerikalen Kreisen ein Aufführungsverbot erwirkt. "Die Räuber" von Friedrich Schiller sorgten 1782 für Tumulte in Mannheim, weil das Publikum das Stück als Aufruf zum Umsturz empfand.

In der Oper gibt es unzählige Beispiele dafür, wie eine konservative Erwartungshaltung des Publikums auf revolutionäre kompositorische Gedanken prallte. Im Konzertbereich sorgte das Watschenkonzert von 1913, dirigiert von Arnold Schoenberg, für ähnliche Aggressionen im Saal, wie sie heute anonym in sozialen Netzwerken ausgelebt werden.

Wenig erstaunlich war gerade Wien oft ein Ort für Empörung im Zuschauerraum, von Nestroy-Stücken bis zu Schnitzlers "Reigen" an den Kammerspielen, bei dem es jedoch schon davor in Berlin zu Ausschreitungen gekommen war.

Bei den Salzburger Festspielen gab es 2001 den größten Skandal der letzten Jahrzehnte, als Hans Neuenfels "Die Fledermaus" im Drogenmilieu inszenierte und manche Besucher daraufhin ihr Geld zurück wollten. Im selben Jahr, dem letzten der Intendanz von Gérard Mortier, wurde anlässlich der Premiere von "Ariadne auf Naxos" radikal thematisiert, wie sehr das Kapital die Kunst beherrscht. Heute gibt es dort eine behübschte Fassung der Kapitalismus-kritischen "Dreigroschenoper", während vor dem Festspielhaus echte Bettler sitzen.

Kommentare